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Viel Regen und ein Strahl Sonne

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Die Fülle des lauten politischen Geschehens auf dem Erdenrund hat die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von einem zähen Kampf abgelenkt, der in seiner Art kaum geringere Bedeutung hat als die Ereignisse im Kongo oder auf Kuba. Es handelt sich um die wieder aufflammende scharfe Auseinandersetzung zwischen Kirche und staatlichen kommunistischen Macht-habern in Polen. Man täte gleichermaßen unrecht, in ihnen nur eine die Katholiken betreffende rein religiöse Angelegenheit zu erblicken, wie ihre nicht nur innenpolitische, sondern auch weltpolitische Wichtigkeit zu verkennen. Es geht da um nichts weniger als darum, ob Polen mit seinen 30 Millionen Einwohnern, ungeachtet der ihm aufgelegten marxistischen Herrschaft, von einer wesenhaft christlich gesinnten Bevölkerung bewohnt werden wird wie bisher, und ob der Kommunismus dort nichts als eine oberflächliche Hülle bleiben wird oder ob sich der Bolschewismus so tief in Denken und Empfinden der Nation einnisten wird wie in der UdSSR.

Der „Osservatore Romano“ hat vor einiger Zeit in einem aufsehenerregenden Artikel seines pölitisclierl rverdikte%V ÄlesVändrini vö'ir?T^fM 1960 auf die mannigfachen Symptome eines konzentrischen' Angriffs gegen die Kirche hingewiesen. Dabei wurden einerseits die Tätigkeit kommunistischer und nichtkommunistischer Wortführer eines sehr streitbaren Atheismus, wie des als Liberalen geltenden Präsidenten der PAN (Akademie der Wissenschaften), Professor Kotarbinski, seines Zeichens ein Philosoph, anderseits zwei, allerdings an Wirkensstärke einander ungleiche Gruppen von katholisch etikettierten Politikern angeschossen, die aufs lauteste das gegenwärtige Warschauer Regime unterstützen und die dabei die halsbrecherischesten dialektischen Kunststücke anwenden, um diese Haltung zu rechtfertigen. Leider ist dem führenden Publizisten des vatikanischen Organes das Unglück geschehen, aus mangelnder Vertrautheit mit osteuropäischen Dingen und aus allzu großem Vertrauen in einige trübe Quellen manche Irrtümer in Einzelheiten zu begehen. Das hat den in ihrem Kern durchaus zutreffenden Darlegungen Alessandrinis viel von ihrer Stoßkraft geraubt und dazu Gelegenheit geboten, an derlei Entgleisungen anknüpfend, eine lärmende Gegenpropaganda zu ermöglichen. Die nichtkatholische kommunistische oder „parteilose“ polnische Presse fiel über ihn her, weil er über die „Caritas“-Leitung irrige Angaben gemacht, dem Abgeordneten Frankowski Autorschaft an einer nie veröffentlichten Broschüre zugeschrieben und den weitbekannten Chef der Kollaboranten, Boleslaw Piasecki vom „Pax“-Verlag, der Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzungsbehörden im zweiten Weltkrieg beschuldigt hatte, was freilich der objektiven Wahrheit zuwiderlief. Alessandrini war in der Wahl seiner Gewährsmänner nicht genügend vorsichtig gewesen. Doch die Hauptthesen seiner Schilderung sind unanfechtbar und gegen sie haben denn auch die empörten oder empört tuenden Protestler nichts vorzubringen gewußt.

Auch nicht die von Piasecki zusammengetrommelten hervorragenden und persönlich tadelfreien katholischen Schriftsteller — Frau Zofia Kossak, Jan Dobraczyfiski, beide im deutschen Sprachraum wohlbekannt —, Wlady-slaw Jan Grabski (Sohn eines christlich gesinnten Ministerpräsidenten der Vorkriegszeit) und Adolf Bochenski, Bruder des als leidenschaftlicher Widersacher und als Kenner des Bolschewismus notorischen Dominikaners Joseph M. BocheÄski in Friburg, der Rektor der Posener Universität und Völkerrechtler Professor Klaf-kowski samt dem, zwar hochbegabten, aber etwas zwielichtigen Zukrowski. Sie haben in einem offenen Brief an den „Osservatore Romano“ nur mit Erfolg nachweisen können, daß Piasecki (der vor dem zweiten Weltkrieg zu einer, in ihrer Rassenideologie der NSDAP verwandten, extremen Rechtspartei gehört hatte) während der Okkupation dem unterirdischen Widerstand gegen die deutsche Besetzung tapferen Beistand geleistet hatte. Das, und nur das, bezeugten ferner eine Reihe einstiger militärischer Führer der polnischen Resistance. Alessan-drini gestand in einem Artikel vom 31. Juli freimütig diesen Irrtum und andere Versehen ein, die er anfechtbaren Quellen entnommen hatte. Während nun er mit diesem Bekenntnis ein schönes Beispiel journalistischer Anständigkeit lieferte, nahmen in Polen sowohl die „Pax“-Leute und deren Zeitschriften als auch die gesamte nichtkatholische Presse, sichtlich auf ein Losungswort von oben hin, die Artikel des „Osservatore Romano“ zum Anlaß einer großen, bis nun andauernden Pressekampagne. Gleichzeitig häufen sich amtlich bestellte Veröffentlichungen von der Art einer Aktensammlung über „Der Vatikan und die polnisch-deutschen Beziehungen 1918 bis 1939“, wo durch willkürlich ausgewählte Zitate aus der diplomatischen Korrespondenz sogar der so polenfreundliche und antinazistische Pius XI. als Bewunderer und Komplice Hitlers nachgewiesen werden soll. Die seelsorgerische Betreuung der zur Olympiade in Rom weilenden Sportler wird dazu benützt, um den Heiligen Stuhl der schwärzesten Pläne gegen Volkspolen zu zeihen. Alle diese Pressefehden und Propagandatricks wären kaum zu beachten, bildeten sie nicht offenkundig den Teil einer, sorgsam geplanten Offensive, um den zum größten Ärger der Kommunisten unausrottbaren Einfluß der Kirche und der Geistlichkeit zu beseitigen.

Mit allen Mitteln bemüht man sich, den 1956 vertragsmäßig zugesicherten Religionsunterricht an öffentlichen Schulen zu sabotieren. Der Lubliner Katholischen Universität — der einzigen im gesamten Bereich der Volksdemokratien —, den Ordinariaten, den Klöstern und Pfarreien werden schikanöse Steuern auferlegt. Die Zensur der katholischen Presse ist wieder sehr streng und kleinlich geworden. Auch aus dem mit dem Primas Fühlung haltenden „Tygodnik Powszechny“ sind ernstliche Kritiken der inneren, geschweige der auswärtigen Politik des Regimes verschwunden, mit Ausnahme der noch zugebilligten, in der Form zwar zahmen Verteidigung des kirchlichen Standpunktes in Fragen der Moral — Ehe; Geburten-' kontrolle, freie Liebe — und der Kindererziehung oder des Disputs über die Rolle der Kirche in der Vergangenheit. Der Neubau von Kirchen wird gehemmt. Man entsinnt sich der Vorfälle in Nowa Huta, der Industriegroßstadt bei Krakau, wo durch die Polizei das den Ort eines künftigen Gotteshauses bezeichnende Kreuz entfernt werden sollte, was Tausende von Gläubigen verhinderten.

Gomulka hat damals in einer heftigen Rede dies als Akt von „Huliganen“ (Gesindel) gebrandmarkt. Er und seine heutigen engsten Freunde, wie der zeitweise ebenfalls zu einer Symbiose mit der Kirche geneigte Kliszko, sind auf einen entschieden antikirchlichen Kurs eingeschwenkt. Ungeachtet aller Zurückhaltung Kardinal Wyszynskis und der meisten Bischöfe wird die Atmosphäre immer drückender.

Der Primas selbst mußte bei den dreitägigen Marienfeiern Mitte August in Czestochowa seine langmütige Mäßigung aufgeben, um durch eine ebenso würdige wie entschlossene Rede die Rechte der bedrohten Kirche zu unterstreichen. Eine Viertelmillion Wallfahrer hatte sich eingefunden, um an dem Fest, an der Prozession, den Predigten und den Messen teilzunehmen. Die Polizei konnte nicht mehr, als den ungeheuren Zulauf möglichst behindern und schließlich dieser großartigen Manifestation zusehen, wollte man nicht arge Zusammenstöße provozieren. Am 26. August ist an derselben Gnadenstätte die alljährliche polnische Bischofskonferenz zusammengetreten. Der Primas wird hier, im Kreise des Episkopats, Gelegenheit gehabt haben, die ernste Lage der Kirche zu untersuchen und ein Aktionsprogramm zu besprechen, das jeder Möglichkeit gilt, doch noch immer das friedliche Nebeneinander mit dem wieder aggressiv gewordenen kommunistischen Staat — das Miteinander hat sich als Illusion erwiesen — dem Kampf vorzieht, der weder vom kirchlichen noch vom allgemein-nationalen Standort aus zu begrüßen wäre. Doch der Milde, der Nachgiebigkeit sind Grenzen gesetzt, wenn es sich darum handelt, die Seele eines Volkes und des einzelnen zu retten, die innere (und ein Minimum äußerer) Freiheit zu verteidigen.

Sind diese Grenzen bereits unwiderruflich überschritten oder müssen sie es, mit schicksalhafter Notwendigkeit, in naher Zukunft werden? Es gibt immerhin noch einige Anzeichen, die dem Episkopat dem Klerus und den Massen der Gläubigen Hoffnung gestatten, daß es nicht zum Allerschlimmsten kommen werde; daß der kalte Krieg auf geistigem Gebiet, gleich dem auf rein irdischem, nicht allzu heiß auflodere und daß es noch einmal zu einem Waffenstillstand zweier an sich unversöhnbarer Gegner gedeihe. Das eigentliche religiöse Leben der Polen ist unbehindert, wenn auch an dessen unmittelbaren Grenzen die Störungen sich häufen. Die staatlichen Machthaber haben getrachtet, den Zuzug zur großen Marienkundgebung in Czestochowa einzuschränken, doch sie haben die Feierlichkeiten nicht verboten. Und dieses Marienfest mit seiner imponierenden Herrschau, über eine Viertelmillion Menschen, war als Ersatz für die unmöglich scheinende Teilnahme am Eucharistischen Weltkongreß in München gedacht, der kurz vorher beendet worden war. Nicht als ob die polnische Regierung Reisen zu dieser internationalen Zusammenkunft des Katholizismus untersagt hätte. Allein Kardinal Wyszyiiski selbst und mit ihm die Bischöfe haben es für klüger gehalten, nicht nach Westdeutschland zu fahren. Wie sie sich auch dort verhalten hätten, die kommunistische Propaganda hätte ihnen daraus einen Strick gedreht und sie der Konspiration mit den amerikanischen, westdeutschen und vatikanischen Erzfeinden Polens geziehen. So begnügte sich der Primas damit, ein würdiges Schreiben en das Kongreßpräsidiiinj in München zu schicken, das zwischen den Zeilen die Hintergründe des Fernbleibens taktvoll durchblicken ließ und das dabei die Verbundenheit der polnischen Katholiken mit der Weltkirche bekräftigte.

Übrigens war die polnische Presse katholischer Färbung die einzige östlich des Eisernen Vorhangs, die — sparsam und sachlich — über den Eucharistischen Weltkongreß berichtete. Die anderen Zeitungen enthielten sich wenigstens grober Angriffe. Nur hie und da las man einige hämische Bemerkungen, die dem polnischen Mann von der Straße indirekt glauben machen wollten, in der bayrischen Hauptstadt habe unter frommer Verkleidung eine Hetztagung gegen den Kommunismus stattgefunden, womit natürlich auch eine Vorbereitung zum Überfall auf Polen verknüpft sei. Trotz allem ist das Klima zwischen katholischer Mehrheit und kirchengegnerischer regierender Minderheit bei weitem nicht so verdorben wie in den anderen Volksdemokratien: Ungarn ausgenommen, wo — seit 1957 als einziges Beispiel dieser Art — sich die Beziehungen zwischen Episkopat und Kirche einerseits, den kommunistischen Staatslenkern anderseits in den letzten Jahren einigermaßen entspannt haben. Man mag also, mit ein wenig Optimismus, auch auf den religiösen Sektor behutsam die zagenden, nicht verzagenden Trostworte des Nationallieds anwenden: „Noch ist Polen nicht verloren!“

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