Lesen wir zunächst einmal in den „Thesen“, die das Zentralkomitee der PZPR auf seiner den kommenden Parteitag vom 15. Juni 1964 vorbereitenden Session am 15. März beschlossen hat: „Die friedliche Koexistenz der Staaten mit voneinander verschiedenen Systemen, die wir erstreben, verleiht dem ideologischen Kampf eine besondere Bedeutung. Es- kann keine friedliche Koexistenz zwischen sozialistischer und bürgerlicher Ideologie geben ...“ Indem sie unterstreicht, daß die Partei sich für den Inhalt der nationalen Kultur verantwortlich fühlt, „stellt sie unter anderem fest: Wir
Längst ist es ins allgemeine Bewußtsein übergegangen, daß in Polen seit geraumer Zeit ein Experiment versucht wird, das einerseits seinesgleichen nicht hat und auch nicht haben kann, weil es durch die Besonderheiten seines Schauplatzes, durch die „polnischen Specifica“, bedingt ist, anderseits die Probe auf ein Exempel darstellt, das unter wechselnden Voraussetzungen weltweite Aktualität besitzt. In den letzten Monaten ist diese Rolle des polnischen Katholizismus in seinem Verhältnis zum kommunistisch geleiteten Staat aufs stärkste in den Blickpunkt des Weltinteresses gerückt, da
Während der Dauer der ersten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils mochte es vielen Opti-r misten, die ihre Wünsche für Wirklichkeit nehmen, scheinen, es bahne sich in Polen mit Riesenschritten eine baldige Verständigung, eine schlackenfreie Symbiose von Staat und Kirche an. Mancherlei Anzeichen sprachen dafür. Wenn nicht alle, so konnten doch 25 von insgesamt 65 Bischöfen die Fahrt nach der Ewigen Stadt antreten. Zuhause blieben die vom Alter Gebeugten, Schwerkranke, in den meisten Diözesen ein in Abwesenheit des Oberhirten waltender Weihbischof und endlich ein paar dem
Im Zeichen des Zweiten Vatikanischen Konzils und nicht ohne Zusammenhang mit der Entwicklung der allgemeinen Weltpolitik hat sich auf dem Gebiet der Beziehung von Staat und Kirche in Polen eine Wandlung vollzogen, die sowohl an sich als auch wegen ihrer symptomatischen Bedeutung genaue Beachtung erhescht. Dieser Umschwung soll weder überschätzt noch als bloße taktische Episode des kalten Krieges abgetan werden. Seine Grenzen und seine nicht mehr auszulöschende Wirkung müssen um so mehr dargelegt werden, als man im deutschen Sprachraum und schon gar weiter westwärts — nicht so in
In einer Rede, die er am Vorabend des neuen Staatsfeiertags in Danzig gehalten hat, schmetterte Gomulka eine statistische Jubelouvertüre hinaus, in der jede Zahl wie ein Posaunenton des Jüngsten Gerichts über das frühere kapitalistisch-feudale Polen klang. Ums Achtfache haben sich seit der Befreiung des Landes von fremder Zwangsherrschaft die industrielle Produktion, ums Dreifache das Nationaleinkommen vermehrt. Es wirken heute 300.000 Techniker, 20.000 Agronomen, 50.000 Ärzte und vor allem 200.000 Lehrer, 19.000 Professoren an höheren und hohen Schulen — siebenmal mehr als 1945.
In den letzten Wochen hat man in Polen ein eigenartiges Phänomen beobachten können. Die kommunistisch gelenkte Propaganda bemüht sich, den Heiligen Vater gegen Kardinal Wyszynski auszuspielen und den Primas zur Zielscheibe der gegen die ihre Zeit nicht verstehenden klerikalen Kreise gerichteten Angriffe zu machen. Das Unterfangen ist recht plump, und es zeigt wieder einmal, daß die Marxisten der strengen Moskauer Obödienz unfähig sind, Denken und Fühlen der Katholiken zu begreifen, ja überhaupt sich vom Wesen, von der Struktur, von Motiven und Zielen der Kirche und ihrer Oberhäupter
Von Chruschtschow zu Gomulka führt ein vertraulicher Weg. Sie treffen einander häufig bei den mannigfachen großen Parteikonferenzen. Stets tritt der polnische Erste Sekretär mit mehr als dem üblichen Eifer für den Standpunkt seines sowjetischen Genossen ein. Im Jänner war wieder eine derartige Begegnung erwartet worden, und zwar unter vier Augen in der Waldesstille eines Jagdhauses des Urwalds von Bialowieza. Zur allgemeinen Überraschung wurde die Entrevue mehrmals verschoben. Darüber begannen westliche Diplomaten und Journalisten in Warschau zu raunen, die schon vorher über eine
Nein, das wäre wirklich in keiner anderen Volksdemokratie möglich ge- wesenl In seiner Nummer vom 20. August veröffentlichte das Organ der katholischen Gruppe, „Znak“, die bekanntlich dem Primas Kardinal Wyszynski nahesteht, einen Artikel über die „Berliner Angelegenheit“, der den „polnischen Standort“ in ebenso nüchterner wie klarer Form darlegt und der sich erheblich von den gleichgeschalteten Stimmen der gesamten Ostblockpresse unterscheidet. Schon die Person des Verfassers dieser groß aufgemachten und an der Spitze der weithin beachteten Wochenschrift abgedruckten,
Er ist sehr eigenartig, dieser be- sondere Weg, den zu beschreiten Gomulka bei seiner Machtfibernahme ver- hieB und den er, ungeachtet allei Vorb’ehalte von den mannigfach- sten Seiten gegen die dabei ver wendeten naKerflmStHbd 11 dud heute noch fortsetzt. Freilich dar man nicht' Vergbilbn, dafi'd l’l e Vdlks- demokratischen Wege ins „dritt Rom", also nach Moskau, fuhren Immerhin zeichnet sich der polnischi durch seine „Specifica“ aus. Dazu ge horen zum Beispiel die sorgsam be achteten aufieren Formen einer parla mentarischen Scheindemokratie, wi denn fiberhaupt sich das offentlichi
Man hat den Sejmwahlen vom 16. April mit weit geringerer Spannung entgegengesehen als den vorangegangenen im Jahre 1957. Damals handelte es sich darum, festzustellen, inwieweit das im „Polnischen Oktober“ an die Macht gelangte Regime Gomulkas auf die Unterstützung der Nation rechnen durfte.In den vier Jahren, die seit damals verflossen sind, haben sich die „Dogmatiker“, zum mindesten äußerlich, mit Gomutka ausgesöhnt — oder abgefunden — und mit Ausnahme ihrer ersten Garnitur sind die meisten früheren Würdenträger der Bierut-Ära auf irgendwelche gute Posten zurückgekehrt.
Am 8. Dezember 1956 hat eine aus Vertretern des Staates — Minister Sztachelski und dem damaligen Mitglied des Politbüros, dem seither ausgeschalteten Jerzy Morawski — und des Episkopats — die Bischöfe Klepacz und Choromahski — bestehende gemischte Kommission ein Übereinkommen geschlossen, das die Beziehungen zwischen der Polnischen Volksrepublik und der Römisch-Katholischen Kirche dieses Landes regeln sollte. Zu den wesentlichen Bedingungen dieses Modus vivendi gehörte die Wiedereinführung eines fakultativen Religionsunterrichts an den staatlichen Schulen. Am 21. Jänner 1961
Seit nun sechs Wochen drängen sich unübersehbare Scharen vor den polnischen Kinos, wo ein Spitzenfilm der heimischen Produktion läuft: „Die Kreuzritter.“ Dieser Film, den bisher an die drei Millionen Zuschauer gesehen haben, also etwa die Hälfte der dem Alter nach zu seinem Verständnis befähigten Bewohner der polnischen Großstädte und Mittelstädte, ist eben ein mit raffinierten künstlerischen Mitteln arbeitendesPropagandainstrument, das nach der Absicht seiner Hersteller einen doppelten Zweck verfolgt: dem an seiner Vergangenheit hängenden und bis tief hinab in Proletariat und
Die Fülle des lauten politischen Geschehens auf dem Erdenrund hat die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit von einem zähen Kampf abgelenkt, der in seiner Art kaum geringere Bedeutung hat als die Ereignisse im Kongo oder auf Kuba. Es handelt sich um die wieder aufflammende scharfe Auseinandersetzung zwischen Kirche und staatlichen kommunistischen Macht-habern in Polen. Man täte gleichermaßen unrecht, in ihnen nur eine die Katholiken betreffende rein religiöse Angelegenheit zu erblicken, wie ihre nicht nur innenpolitische, sondern auch weltpolitische Wichtigkeit zu verkennen. Es geht da
In den Tagen vom 21. zum 24. Juli waren die polnischen Zeitungen vordringlich nur mit einem Thema beschäftigt, mit dem fünften Plenum des Zentralkomitees der herrschenden Kommunistischen Partei (PZPR). Da wurde das neu Investitionsprogramm für das Lustrum 1961 bis 1965 erörtert und gepriesen. Der „Auszug“ aus dem Referat über dieses nächste Ziel auf dem polnischen Weg zum marxistischen Paradies nahm rund 1500 Druckzeilen in Anspruch. Der Kommentare und der Reden war kein Ende. Hernach mußten Parteimitglieder und Parteilose noch zahlreiche Versammlungen mit Geduld ertragen, in denen
Der landesunkundige Beobachter kennt sich Krakau berichtet, die von der Zurücknahme der in den einander widersprechenden Nachrichten längst erteilten Bewilligung zum Bau einer neuen über die gegenwärtige Lage des polnischen Ka- Kirche und von der beabsichtigten gewaltsamen tholizismus nicht mehr aus. Da wird von Un- Entfernung eines Kreuzes ausgingen, das den ruhen in der Industriesiedlung Nowa Huta bei künftigen Platz des geplanten Gotteshauses bezeichnet. Man erfährt, daß über ebendiese Angelegenheit bisher durch die polnische Presse nicht geschrieben werden durfte. Weit mehr
Das Erscheinen der „Kleinen polnischen Enzyklopädie“ war für Polen ein mit ungeduldiger Spannung erwartetes Ereignis. Die erste Auflage des etwa dem Volks-Brockhaus oder, noch eher, dem Kleinen Herder vergleichbaren Handbuchs des allgemeinen Wissens war, in der Höhe von 50.000 Exemplaren, noch vor der Ausgabe vergriffen. Der nachfolgenden, textlich unveränderten Auflage harrte ein gleiches Schicksal. Sie verschwanden im Eiltempo in den breiten Massen des bildungshungrigen Leserpublikums. Gegenwärtig dürfte die Zahl der in den wenigen Monaten seit der Vollendung des Lexikons
Nicht die amtlichen Verlautbarungen, nicht die Debatten im Sejm, bei denen auch die Sprecher der nichtkommunistischen Gruppen sich einer Selbstzensur unterwerfen, sind für das heutige Polen bezeichnend, sondern die Vielfalt der Geschehnisse und der Tatsachen, aus denen sich das tägliche Leben der Nation zusammensetzt. Immer wieder stoßen wir auf zweierlei Beobachtungsmaterial, das zueinander im krassen Widerspruch zu stehen scheint und das dennoch miteinander koexistiert: auf die Fortdauer einer von allen Umbrüchen kaum berührten Tradition und auf die tiefen Wandlungen, die sich trotzdem
Das kommende Gipfeltreffen hat bereits eine wichtige Doppelwirkung ausgelöst, die man, wird dies vorgezogen, auch als Nachwirkung von Camp David bezeichnen kann. Sie bekundet sich in Polen, das gewissermaßen als Test, als Versuchsobjekt für eine weltumfassende Politik der Entspannung und der Koexistenz oder, wie das Herter bescheiden-unheimlich definiert hat, des gemeinsamen Ueberlebens dient. Das Warschauer Regime begrüßt den zwiefachen Aspekt dieser Probe mit uneingeschränktem Vergnügen; die polnische Nation betrachtet ihn-mit gemischten Gefühlen, je nachdem, ob er sich nach außen
Ein Fest aus Anlaß des Trienniums des polnischen Oktober wäre wahrlich fehl am Orte gewesen. In immer schnellerem Tempo sind die Hoffnungen verflogen, die damals die Polen, und nicht nur sie, an den Sturz der unmittelbaren Erben Bieruts und an die Entfernung des verhaßten Rokossowski geknüpft hatten!Es schien zu schön, um wahr zu sein. Und dennoch hielt der neue Kurs einige Zeit das, was er versprach. Die Freiheit des gedruckten und noch mehr die des gesprochenen Wortes war für ein volksdemokratisches Land erstaunlich. Die geistigen Kontakte mit dem Westen wurden nicht behindert. Den
Jedem, der in den letzten Jahren Gelegenheit hatte, mit breiten Schichten in Deutschland oder Polen unmittelbaren Kontakt zu pflegen, aber auch mit maßgebenden Politikern, Wirtschaftsleuten und „Kulturschaffenden“ zusammenzutreffen, sind zwei zueinander in schroffem Widerspruch beharrende Tatsachen bewußt geworden: der Erbhaß zwischen Deutschen und Polen ist, wir sagen nicht: verschwunden, doch im Schwinden begriffen, man wünscht eine ehrliche Versöhnung, doch es scheint unmöglich, zu ihr zu gelangen, und die aufrichtigen Befürworter einer sowohl im Interesse der beiden Völker als-
Auf einem Warschauer Flugfeld landet eine sowjetische Maschine. Ihr entsteigt zorngeröteten Antlitzes der Erste Sekretär der Kommunistischen Partei der UdSSR Chruschtschew. Polnische Genossen erwarten ihn, darunter auch Gomulka. Der eben angekommene Moskauer Potentat zeigt mit dem Finger auf den heranschreitenden polnischen Kommunistenführer und fragt, zum Sowjetbotschafter gewandt: „Wer ist denn der da?“ Keine Angst, diese Episode gehört einer jüngsten Vergangenheit an, über die im gesamten Osten Europas Nachrichtensperre verhängt ist. Das war ein „Un-Ereignis“ (um die
Seit dem fast drei Jahre zurückliegenden Oktoberumbruch ist in Polen manches von den damaligen Zugeständnissen verwässert worden; ihr Wesentliches aber blieb erhalten. Diese beiden unbestreitbaren Tatsachen bilden den Schlüssel zum Verständnis der heutigen inneren Situation Polens. Seine auswärtige läßt sich ohne welterschütternde Katastrophen nicht ändern: die Volksdemokratie, die mit friedlichen Mitteln nicht zu beseitigen ist, muß im sowjetischen Bannkreis verharren. Wider derlei Verhängnis mit, notwendigerweise untauglichen Mitteln anzukämpfen, hieße jene heroischen Torheiten
War es eine, Bekennern des Marxismus nicht anstehende, unbewußte Neigung zur Zahlenmystik, die auf dem dritten Parteitag der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei dem Politbüro, deren oberstem Organ, eine Mitgliederzahl von zwölf statt bisher neun bescherte? Jedenfalls sollten die neu Hinzutretenden die zuverlässige Mehrheit Gomulkas innerhalb dieses Polen regierenden Kollektivs verstärken und ihn Vor jeder Ueberraschung durch unsichere Kantonisten schützen.Das Ausland kennt von dem Dutzend der den polnischen Staat lenkenden Parteigewaltigen nur Gomulka und den durch dessen Plan berühmt
Im März haben sich im Kongreßsaal des Warschauer Kulturpalastes die Vertreter der kommunistischen Parteiorganisationen ganz Polens zur dritten Tagung der herrschenden PZPR versammelt. Mehr als 1400 an der Zahl, hatten sie sechs Punkte zu erledigen: Referate über die allgemeine Lage von Wladislaw Gomulka, über die Tätigkeit der Revisionskommission, über die wirtschaftliche Entwicklung und über deren Richtlinien für die Jahre 1959 bis 1965, über die Agrarpolitik und über Aenderungen im Parteistatut (von Zombrowski), endlich die Neuwahl des Zentralkomitees und des zentralen
In einer der letzten Nummern des „Sztandar Mlodych“, des Organs der kommunistischen Jugend Polens, die bekanntlich von wenig erprobter Linientreue ist und deren individualistisch - bürgerlich - idealistische Abirrungen nur zu oft die Entrüstung der Moskauer Zions-wächter erregt, war am Schluß der Beschreibung eines angeblich in Vietnam lebenden Fisches folgendes zu lesen:„Am bemerkenswertesten ist aber, daß er gegenüber der roten Farbe sehr empfindlich ist. Es genügt, vor ihm einen roten Fetzen zu bewegen . .. und er wirft sich sofort auf diesen, der als Lockung um eine Angelrute
Darüber waren sich die Kenner der Verhältnisse von vornherein klar, daß der Umschwung, den der „polnische Frühling“ vom Oktober 1956 bedeutete, wesentlich an das Bestehen eines guten Einvernehmens zwischen dem Staat und dessen derzeitigen Lenkern einerseits, der katholischen Kirche anderseits geknüpft war. Die sonstigen Errungenschaften der historischen Tage von vor bald zwei Jahren — Lockerung der wirtschaftlichen Bedrängnisse, Verschwinden des Polizeidrucks, größere Freiheit, zu reden, zu schreiben und zu drucken, mehr äußerliche Achtung der polnischen Eigenstaatlichkeit
„Der beste Propagandist sind die Tatsachen. In betreff unserer Zusammenarbeit mit Volksungarn sind sie besonders zahlreich und beredt.“ So begann ein Auflageartikel, der am 17; Juni 1958 im nun wieder gehörig an die Kandare genommenen Organ der polnischen Intelligenz, dem „Zlycie Warszawy“, zu lesen war. Er sollte die Begleitmusik zu den üblichen Feiern darstellen, die am folgenden Tag aus Anlaß des zehnten Jahrestages der Unterfertigung des polnisch-ungarischen Freundschaftspaktes veranstaltet wurden. Die „Stunde der Wahrheit“, die Ueberwindung des Zwangs zur politischen
Der geistvolle, vielumstrittene und streitbare polnische Kritiker, Publizist und Politiker Kisie-lewski hat kürzlich von den scheinbar miteinander unvereinbaren Gegensätzen gesprochen, die nebeneinander im polnischen Räume wohnen. „Ein kommunistisches und dennoch katholisches Land, das im Bereich der lateinischen Kultur lebt. Ein überlieferungsmäßig religiöses Land, das eine westlich erzogene Intelligenzschicht besitzt und das dennoch, dem Experiment des sozialistischen Aufbaus anheimgegeben, im Ostblock beharrt.“ Man kann derlei Gegenüberstellung schier endlos fortsetzen. In der
Daß Jugend keine Tugend kennt, ist allerorts als Weisheit derer, die nicht mehr jung sind oder die das niemals waren, dem Schatz politischer Erfahrungssätze einverleibt. Studenten aber waren und sind zu allen Zeiten Sturmvögel der Revolution gewesen, wenn es nämlich darum ging, der Freiheit eine Gasse zu bahnen. Daß hernach, nur zu oft, statt der Gasse die Gosse zum Mittelpunkt des Umsturzes wurde, das gehört zu den immer wiederkehrenden Tragikomödien der Weltgeschichte; aus denen dann die glücklich Sitzenden und bisher die Macht Besitzenden neue Argumente für die Wahrheit des oben
Als im 17. Jahrhundert ein polnischer Publizist mancherlei Mißstände seines Vaterlandes in einer lateinisch abgefaßten Schrift anprangerte, wurde er heftig angegriffen: man solle doch nicht in einer westlich der heimischen Grenzen verständlichen Sprache derlei Dinge erörtern, das sei polnischen Pamphleten vorzubehalten. Es gibt auch heute Vertreter ähnlicher Ansichten, denen es insbesondere schwer auf die Nerven geht, wenn im Westen Klagen über und Anklagen gegen den in Polen wieder stark zunehmenden Antisemitismus laut werden. Die einen befürchten eine schädliche Rückwirkung auf
Die Flitterwochen Polens mit der wiedererlangten geistigen Freiheit sind vorbei und es beginnt ein stürmischer Alltag, in dem sich die Nation gegen mannigfache am Horizont aufziehende Unwetter behaupten muß. Dabei gilt es, die Wetterfestigkeit des in den Oktobertagen von 1956 eilig errichteten Baues zu erproben. Wird er allen Gefahren trotzen, die an seinen Grundfesten rütteln? Die gegenwärtigen Staatslenker scheinen sich das gleiche Motto auserkoren zu haben, wie einst, nach italienischem Renaissance-Vorbild, der polnische Dichterfürst: bisogna essere volpe e leone, es tut not, zugleich
Seit dem Oktoberumbruch von 1956 besitzt Polen wieder e i n Oberhaupt in der Person des durch keine formelle Verfassungsbestimmung, doch durch die Macht der Tatsachen zu dieser Stellung des leitenden Staatsmanns berufenen Ersten Sekretärs der herrschenden PZPR. Nach dem Zwischenspiel, das für einige Monate den wenig bedeutenden Ochab in diesem Amte gesehen hatte, genießt nun Gomulka eine Autorität, wie sie der nur auf fremde Bajonette sich stützende Bierut trotz seiner, faktisch nur durch Moskauer Befehle eingeschränkten Gewalt nie besessen hatte. Gewiß, der Held des Widerstandes gegen
Nicht ohne Bangen hat man dem 20. Jänner 1957 entgegengesehen, dem Tag, an dem die polnischen Wähler zur Urne schritten, um ihren neuen Reichstag, den. Sejm, zu küren. Man wußte überall, worum es diesmal sich handelte. Nicht etwa um eine ideologische Auseinandersetzung zweier Systeme, um einen Kampf der Parteien, um wirtschaftliche, politische Fragen, sondern ganz einfach um die Existenz des polnischen Staates und im Zusammenhang damit um die Entscheidung, ob bei einer Wiederholung der ungarischen Tragödie in größerem Umfang Europa, der Westen neuerlich betrübter, passiver Zuschauer
Ein völliger Wandel in der Situation des polnischen Katholizismus zeichnete sich erst dann am Horizont ab, als die Gestalt Wladyslaw Gomulkas üyden Vordergrund rückte, also seit der PosenerErhebung vom 28. Juni 1956. Von ihm wußte man, daß er zwar persönlich, wie jeder überzeugte und konsequente Kommunist, ein Bekenner des monistischen Materialismus war, daß er aber erstens die Kirche als sittliche Macht betrachtete, zweitens „die Tatsache der Zugehörigkeit einer sehr erheblichen Majorität des polnischen Volkes ... und des kommunistischen Parteivolkes ... zum Katholizismus“ als
Als sich am 20. Oktober in Warschau die Sowjetgewaltigen von den polnischen Genossen kühl verabschiedeten, da hatte man das Gefühl, erzürnte Eltern seien enttäuscht und erbittert von einem Besuch beim verlorenen Sohn, der in schlechte Gesellschaft geraten sei. Und man erwartete, auf den Blitzbesuch werde Kanonendonner folgen.Als sich am 18. November, bei schneidender Kälte, die polnischen Genossen von den Sowjetgewaltigen in Moskau mit warmer Herzlichkeit verabschiedeten, da bemerkte man zunächst einen kleinen genealogischen Irrtum. Es waren nicht etwa gestrenge Eltern, die über einen
Polen und Ungarn sind Vettern, vereint beim Trunk und im Kampf.“ So verkündet es ein Sprichwort und so lehrt es auch die Geschichte. Nationale Ueberlieferung, gesellschaftliche Struktur, Lebensgewohnheiten und vor allem ein über die sprachlichen Unterschiede hin bei beiden Völkern ähnliches Temperament, gemischt aus hochfliegender Romantik und erdnahem Realismus: das waren, und das sind, die dauernden Tatsachen, auf denen eine nie erschütterte, bei Nachbarn seltene Freundschaft beruht, die sich vielleicht aufs überzeugendste und aufs tragischeste in den ach gar häufigen Zeiten des
Noch i s t Polen nicht gewonnen, müssen wir den voreiligen Optimisten im Westen zurufen, die bereits einen völligen Umschwung in Warschau vollzogen wähnen und die sich über Gomulka in ähnlichen Illusionen wiegen wie seinerzeit über Tito. Noch hat Polen nicht gewonnen, wird sich mit besorgtem Mitgefühl ein jeder sagen, dem über die weltanschaulichen und weltpolitischen Differenzen hinaus die Sache der jetzt um ihre Freiheit und um ihre Unabhängigkeit kämpfenden Männer am Weichselstrand als eine der gesamten Menschheit am Herzen liegt.Diese beiden Grundwahrheiten soll sich der
Am 12. März 1956, kurz vor Mitternacht, ist in Moskau, wohin er als Führer einer Ab-oidnung der PZPR. der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei, gekommen war, deren Erster Sekretär Boleslaw Bierut gestorben; er hatte am 20. Kongreß der sowjetischen Kommunisten teilgenommen. Wenige Stunden nach dem Tod dieses kämpferischen Schülers Lenins und Stalins erschien beim Direktor des Warschauer Amtes für Religionsangelegenheiten — wie es in einer offiziellen Aussendung heißt — „der Sekretär des polnischen Episkopats, Bischof Z. Choromallski, und überbrachte im Namen des polnischen
Immer klarer wird es, daß der Tod Bieruts in Polen eine mächtige Bewegung ausgelöst hat, die zwar von den neuen Parolen des 20. Kommunistischen Parteitages in Moskau den Ausgang nahm und die sich in den Rahmen einer koordinierten, vom Kreml her befohlenen und von ihm gelenkten Schwenkung der sowjetischen Außenpolitik einfügen sollte, die aber in der größten der europäischen Volksdemokratien ihre besonderen Wege beschreitet. Mit elementarer Wucht wendet sich gegen den Polizeidruck, gegen jederlei Gleichschaltung der entfesselte Ingrimm der hier weit mehr als in anderen Satellitenstaaten
Wie so häufig, haben die westlichen Beobachter — und vor allem die vermeinten Sachkenner — lange nichts von den Dingen bemerkt, die sich hinter einem weithin durchlöcherten, eher blechernen denn eisernen Vorhang in den Volksdemokratien seit etwa einem Jahre abspielen. Polen, dessen Kommunisten sich, mit einigem Fug, dessen rühmten, ihre Revolution sanft und ohne blutige Opfer vollzogen zu haben, kann als Musterbeispiel für eine Entwicklung dienen, die sich sozusagen in aller Halböffentlichkeit vollendet hat. Ob auch als gültiges Exempel für die anderen Satelliten der Sowjetunion,
Eine Volksdemokratie gibt es, die bis auf den heutigen Tag den von Byzanz ererbten Doppeladler im Wappen führt — Albanien. Eine andere, die größte der osteuropäischen Republiken, hat ebenfalls das überlieferte Emblem ihres Staates beibehalten, den einköpfigen, lateinisch-westlichen Adler — Polen. Im Gegensatz zum schwarzen Adler des alten Reichs und Preußens ist er weiß geblieben, allerdings im roten Felde, auf dem er seit Jahrhunderten schwebt. Er blickt auch nach rechts wie eh und je, wenngleich es die der Heraldik Unkundigen dünken mag, er habe die Augen nach links gerichtet.Im
Umjubelt von einer mehrtausendköpfigen Menschenmenge, die nach östlichem Brauch zu Ehren des illustren Gastes ein Meeting abhält, nimmt Tschu En Lai, Chinas Ministerpräsident, während seines Warschauer Staatsbesuches die ihm reichlich gezollten Huldigungen und den höchsten Orden des ihn gast-freundlich empfangenden Landes entgegen. Das stereotype unergründliche Lächeln verschwindet nicht vom Munde des Abkommen eines uralten Mandarinengeschlechtes, als er die heutige Weltgeltung Polens in wohlgesetzter Rede rühmt und im Gespräch einige polnische Worte an seine Bewunderer richtet.
In seinem großartigen Ideendrama „Die Ungöttliche Komödie“ hat der polnische Dichter Zygmunt Krasinski mit seherischer Gewalt den Kampf geschildert, den der politisch auf die revolutionären Massen sich stützende atheistische Materialismus und der mit den Kräften des Beharrens verbündete Katholizismus einander liefern würden. Mehr als ein Jahrhundert, bevor dieses gigantische Ringen der Geister in seinem Vaterlande Wirklichkeit wurde, hat es der geniale Romantiker vorhergesagt. Befand er sich aber im Recht, als er ohneweiters die Gegenüberstellung vornahm: hier die alt-geheiligte