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Geht Gomulka nach Natolin?

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Am 8. Dezember 1956 hat eine aus Vertretern des Staates — Minister Sztachelski und dem damaligen Mitglied des Politbüros, dem seither ausgeschalteten Jerzy Morawski — und des Episkopats — die Bischöfe Klepacz und Choromahski — bestehende gemischte Kommission ein Übereinkommen geschlossen, das die Beziehungen zwischen der Polnischen Volksrepublik und der Römisch-Katholischen Kirche dieses Landes regeln sollte. Zu den wesentlichen Bedingungen dieses Modus vivendi gehörte die Wiedereinführung eines fakultativen Religionsunterrichts an den staatlichen Schulen. Am 21. Jänner 1961 sollte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Polens, der PZPR, im Rahmen einer Schulreform beschließen, den Religionsunterricht an allen niederen und mittleren Schulen — an den Hochschulen besteht er ohnedies nicht; die theologischen Fakultäten sind aus den Universitäten ausgegliedert und entstaatlicht — aufzuheben. Es schien keinem Zweifel zu unterliegen, daß dieser Beschluß in der nächsten Session des Sejm (Reichstag) mit erdrückender Mehrheit angenommen werden wird. Das Dutzend katholischer Abgeordneten hätte sich mit leisen Protesten begnügen müssen,

Kardinal Wyszynski hat sofort seine tapfere und deutliche Einsprache vollzogen. Sie allein hätte den Verlauf der Dinge kaum geändert. Wenn Mitglieder des Klerus von der Kanzel her das Vorgehen der herrschenden Gewalten kritisierten, wären sie vor den Richter geschleppt und zu empfindlichen Strafen verurteilt worden. Soweit der anfängliche Sachverhalt eines Geschehens, dessen Wichtigkeit weit über die polnischen Grenzen hinausreicht.

Es bezeigt zunächst die Lust zu einem Wortbruch, das Verleugnen eines gültigen Vertrags, der einseitig durch einen der beiden Kontrahenten aufgehoben wird, dem die äußeren Machtmittel zu Gebote stehen. Daran vermag kein an sich vom kommunistischen Standort aus noch so logischer Motivenbericht zu rütteln. „Die Veränderungen im Inhalt des Unterrichts“,'heißt es im Referat an das 7. Plenum des Zentralkomitees, „beruhen nicht nur auf dem Beseitigen rückschrittlicher Ansichten und Tendenzen, sondern auch auf der Einführung eines erkenntnismäßigen und erzieherischen Inhalts, der auf der wissenschaftlichen Basis des Marxismus-Leninismus gründet. Die Schule ist in Polen eine Laienschule. Ihre Aufgabe ist es, aufgeklärte, von Vorurteilen freie und rationalistisch denkende Staatsbürger zu erziehen. Die Religion betrachtet unser Staat als Privatsache der Bürger. Die staatlichen Behörden bereiten Eltern, die wünschen, daß ihre Kinder die Grundsätze der Religion lernen, keine Hindernisse. Es liegt jedoch im Interesse eines erfolgreichen Ablaufs des Unterrichts, im Interesse aller, der Gläubigen und der Ungläubigen, daß die Kinder den Religionsunterricht außerhalb der Schule erhalten. Der Religionsunterricht in der Schule bringt eine erzieherisch und gesellschaftlich schädliche Scheidung der Kinder mit sich. Sie schafft die Grundlage zu Fanatismus und Unduldsamkeit, indem sie den religiösen Glauben den Wahrheiten der Wissenschaft gegenüberstellt und dadurch der Schule die Erfüllung ihrer hauptsächlichen und fundamentalen Pflicht erschwert, die Jugend mit dem Rüstzeug modernen Wissens zu wappnen und sie zur Be-

rufsarbeit vorzubereiten. Mit Befriedigung muß man feststellen, daß immer mehr Eltern, auch gläubige, Verständnis für die Bedürfnisse und für die Prinzipien der Schule bezeigen und daß sie den Religionsunterricht außerhalb des Schulkreises als die richtigste und

vorteilhafteste Lösung ansehen."

Abgesehen von allen diesen selbstsicher vorgetragenen Thesen, über die zu streiten nicht Zweck dieses Tatsachenberichts sein kann, bleibt die doppelte Frage unbeantwortet: zunächst, haben die volksdemokratischen polnischen Staatslenker im Dezember 1956 alle diese Argumente gegen den Religionsunterricht an Staatsschulen nicht gekannt, als sie das Abkommen mit der Kirche schlossen? Sodann, reichen spätere einem von zwei Kontrahenten aufsteigende Bedenken dazu aus, um hernach — unter dem Vorwand, dies sei eigentlich gerechter und es liege sogar im Interesse des Partners — einen Vertrag einseitig aufzuheben und eine Leistung zu verweigern, für die der andere Unterfertiger schon zahlreiche Vorleistungen erfüllt hat?

Die Dinge entpuppen sich bei näherem Zusehen weit einfacher. Vor einem Lustrum glaubten die im Kampf wider die „Natoliner“ an die Macht gelangten Männer um Gomulka die Unterstützung der Kirche 'und der katholischen Massen brauchen zu können, ja nötig zu haben. Heute sitzen sie fest im Sattel, wenigstens solange Chruschtschow im Kreml gebietet. Da ist der Religionshaß wieder hervorgebrochen, der auch bei einem sonst gemäßigten Politiker wie Cyrankiewicz tief sitzt und den auch Gomulka nicht verleugnen kann. Die Leute aus der engeren Umgebung des heutigen Ersten Parteisekretärs, die auf dauernde Harmonie mit der Kirche Wert zu legen schienen, etwa der frühere Unterrichtsminister Bienkowski oder der vorhin erwähnte Jerzy Morawski, sind verdrängt worden. Es ist auch durchgesickert, daß man von Moskau her sehr auf eine Beendigung eines dort als un-j natürlich beurteilten Zustandes erpicht gehe.

Schon verzeichnete man Einzelvorfälle, die offenbar als Warnung an die Gegner in einem eventuellen neuen künftigen Kulturkampf gedacht sind. Zum Beispiel die Presseangriffe gegen Kardinal Wyszynski, so mehrfach in der Gewerkschaftszeitung „Glos Pracy" und im Organ der Staatsjugend „Szandar Mlodych“, und zuvor die Abschaffung zweier Feiertage. Notorisch waren des weiteren die Drohungen mit zwei Verfügungen, die fühlbar ins kirchliche Leben einschnitten: die Einberufung künftiger Priester zum Heeresdienst mit der Waffe und das Anziehen der Steuerschraube gegenüber dem ohnedies finanziell übel gestellten Klerus.

Sehr betrüblich muteten dabei die aufdringlichen Huldigungen an, die seitens der sich katholisch gebärdenden Kollaboranten der „Pax“-Gruppe erfolgen, so auf deren zum 15. Jahres

tag ihrer Begründung veranstalteten Feier, bei der es von Sozialismus (sprich: Kommunismus), von Antiimperialismus, Sowjetbegeisterung usw. nur so troff und eine Ergebenheitsdepesche an Gomulka gesandt wurde.

Nun hat sich aber, für den Fernerstehenden unerwartet, plötzlich gezeigt, daß die Kontakte der „Pax“ mit den Herrschenden doch einiges Gute mit sich bringen können und, was die Eingeweihten weniger überrascht, daß im Schoße der polnischen PZPR religionsfeindliche Maßnahmen, die auf Widerstand breiter Schichten und auf peinliche, derzeit kaum erwünschte Rückwirkungen im Ausland stoßen würden, nicht ohne weiteres einmütig gebilligt werden.

Der von kirchenfeindlichen Fanatikern dem Zentralkomitee vorgelegte Vorschlag auf Beseitigung des Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen hat bei zahlreichen Mitgliedern dieses Parteiparlaments energischen Widerspruch ausgelöst. Nicht etwa aus Sympathie für die Gewissensfreiheit

oder gar für die Kirche, sondern aus taktischen Erwägungen. So findet man denn in dem von Preise am 25. Jänner veröffentlichten Beschluß zur Schulreform kein Wort über die Aufhebung des Religionsunterrichts. Und am Folgetag war zu lesen, Piasecki, Hag- majer und Reiff, die Führer der „Pax“, seien am Vortag von Gomulka, im Beisein Kliszkos, Strzeleckis und des Kirchenministers Sztachelski, empfangen worden. Man erfuhr, daß sie ihre Bedenken gegen die geplante Drosselung des Religionsunterrichts vorgebracht und gewisse Zusicherungen erhalten hätten, vermutlich auch das Versprechen, ein Dutzend „katholischfortschrittliche“ Abgeordnete neben der vom Primas inspirierten Gruppe des „Znak“ bei den bald stattfindenden Wahlen zum Sejm zu bekommen.

Bei dem Tauziehen zwischen wütenden Kirchenfeinden und eher toleranten, rein politisch denkenden Skeptikern in der polnischen Kommunistenpartei haben offenbar die ersteren wieder einmal die Oberhand gewonnen. Sich darüber zu -wundern oder voreilig freuen, ist wenig Anlaß. Es sei dahingestellt, ob der unleugbare Erfolg der „Pax“ Grund zur Freude bietet. Erstaunlich aber ist er jedenfalls.

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