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"Der Kirche den totalen Kampf ansagen"

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Die antireligiöse Kampagne in der Tschechoslowakei hat derzeit eine noch nie dagewesene Intensität erreicht. Es vergeht kein Tag, an dem kein antireligiöser Artikel in der Presse erscheint. Die Autoren dieser Artikel berufen sich auf die Resolution des 14. Parteitages der Kommunistischen Partei der CSSR und auf ein vom Präsidium des Zentralausschusses der Kommunistischen Partei der Slowakei angenommenes Dokument. Dieses Dokument, das detaillierte Anweisungen für den antireligiösen Kampf enthält, wurde jedoch in der Presse nicht veröffentlicht. Die Verfügungen dieses Dokumentes betreffen lediglich die Slowakei, wo das religiöse Problem noch immer ein „Problem der Massen“ ist.

Die Preßburger Tageszeitung der kommunistischen Jugend, „Smena“, sagte bereits zu Beginn des Jahres eine ideologische, politische und pädagogische Offensive an. Eine Offensive „gegen Altertümlichkeit, Schlamperei und Bequemlichkeit, gegen kleinbürgerliche Manieren und religiöse Vorurteile, gegen Kosmopolitismus und Heuchelei, im Kampf für ein hohes Niveau der kommunistischen Erziehung“. Einige Zeitschriften stellten den Kampf gegen Religion mit dem Kampf gegen Pornographie auf dieselbe Stufe. Der slowakische Unterrichtsminister Chochol versprach, in den Schulen allmählich atheistische Klubs einzurichten, die der „Vertiefung der weltanschaulichen Erziehung“ dienen sollen.

Der Kongreß der sozialistischen Jugend der Slowakei in Bratislava, bei dem sich Mitte September 497 Delegierte trafen, und auch der gesamtstaatliche Kongreß in Prag, Ende September, wurden zur Tribüne für antireligiöse Erklärungen.

Schon vor dem Kongreß verkündeten einige Delegierte in der „Smena“, was sie auf dem Kongreß sagen wollten. Die Delegierte Maria Benci-kovä schrieb, sie halte die ideologische Erziehung der Jugendlichen, besonders in kleineren Dörfern, für notwendig und vordringlich. Dies sei darum so wichtig, weil Burschen und Mädchen auf dem Lande, die nach Beendigung der Pflichtschule zu Hause bleiben, sich bei den Eltern, die in vielen Fällen noch religiös veranlagte Bürger seien, ihre Anschauungen, Gewohnheiten und ihre Art des gesellschaftlichen Lebens, aneigneten. Der Delegierte Matlovic betonte auf dem Kongreß, daß die Hochschulabsolventen in Bratislava zwar gute Fachmänner seien, was aber ihr Interesse an weltanschaulichen, philosophischen und ökonomischen Problemen betreffe, so sei dies oft minimal. „Wir sind uns dessen bewußt“, erklärte Matlovic, „daß es auf den Hochschulen viele religiös veranlagte Hörer gibt. Darum bemühen wir uns, diese Tatsache zu beseitigen, und darauf gründet unsere ganze ideologisch-erzieherische Arbeit.“

Der neugewählte Präsident des slowakischen Zentralausschusses des Verbandes der Sozialistischen Jugend, Zozulak, sprach sich in seinem Referat für ein sinnvolles Ausnützen der Jugendklubs, der Turnverbände, der sportlichen und touristischen Unternehmungen sowie aller Möglichkeiten auf dem Gebiet der Kultur aus, „damit wir mit solcher anziehender Tätigkeit den religiösen Raum verengen und den Einfluß der religiösen Ideologie auf das Bewußtsein der Jugend paralysieren. Je vielseitiger unsere Tätigkeit auf diesen Gebieten sein wird, je mehr wir uns ihr im sozialistischen Verband der Jugend widmen, desto kleinerer Raum bleibt für das Verbreiten von Ideen, die, wie immer sie auch maskiert sein mögen, im Grunde nicht fortschrittlich und nur antisozialistisch sind.“

Noch am Anfang des Schuljahres drückte „Pravda“ Beunruhigung über die Tatsache aus, daß rund 46 Prozent derselben Schüler und Studenten, die sich in allen anderen Gegenständen während des Unterrichts marxistische Ideen aneigneten und die aus dieser Sicht zu denken und zu handeln lernten, von ihren Eltern in den Religionsunterricht geschickt würden. „Diese Eltern werden sich offenbar dessen nicht bewußt, daß sie damit ein Chaos im Denken der Kinder und Jugendlichen verursachen, daß sie ,doppelgesichtige' Menschen mit verbogenen Charakteren erziehen.“ Obwohl der Religionsunterricht in der Volksschule von der 2. bis zur 7. Klasse behördlich gestattet ist, wird versucht, mit allen möglichen Mitteln die Zahl der Schüler, die den Religionsunterricht besuchen, zu verringern. Einschüchterung der Lehrer und Eltern, das Bedrängen der Väter auf den Arbeitsstellen, eigenständiges Vorgehen von Direktoren, die Anmeldungen zum Religionsunterricht zerreißen oder sie nicht zur Kenntnis nehmen und ähnliches mehr, sind auf der Tagesordnung.

Die Lehrer sind gegenwärtig größtem Druck ausgesetzt. „Pravda“ beschwert sich, daß es leider unter den Lehrern noch solche gebe, die „zweigesichtig“ auftreten. In der Schule und in der Öffentlichkeit ge-bärdeten sie sich wie Anhänger des Marxismus-Leninismus, insgeheim aber verkündeten sie idealistische Philosophie in verschiedenen Formen und besuchten heimlich sogar kirchliche Feiern. Man müsse wohl nicht betonen, was für einen Einfluß solch ein Verhalten auf die Charakterbildung der Jugendlichen habe ... Ein Lehrer — so wird festgestellt —, der keine positive Einstellung zum Marxismus-Leninismus habe, erziehe die Schüler zu Heuchelei und Unehrlichkeit, er sei daher nicht fähig, die Aufgaben zu erfüllen, die ihm die sozialistische Gesellschaft stelle. Parteiorgane, Organisationen und die Schulverwaltungen stünden vor der ernsten Aufgabe, durch ihr politisches Wirken, durch ideologische Schulung und weitere Maßnahmen zu erreichen, daß alle Lehrer konsequent auf dem Standpunkt einer wissenschaftlichen Weltanschauung stünden.

Uber die genauen Maßnahmen liegen nur Vermutungen vor. So kann man das Bemühen der staatlichen Stellen dazu rechnen, die Anmeldungen der Kinder zum Religionsunterricht möglichst tief zu halten. Für das Schuljahr 1972/73 brachte diese Maßnahme eine 4,5prozentige Senkung der Teilnahmeziffern. Als eine der „weiteren Maßnahmen“ kann man vielleicht auch die Gehaltserhöhung der Lehrer anführen. Die Presse betonte bei dieser Gelegenheit, daß damit von den Lehrern verlangt werde, sich gewissenhafter der sozialistischen Erziehung der Jugendlichen zu widmen. Auch die Erzeugung von Angstpsychosen ist eine der „weiteren Maßnahmen“. Dazu gehört das Ausfüllen von Fragebögen, in denen die Lehrer anführen müssen, ob und wann sie ihre Kinder taufen ließen, ob sie sich an Meßfeiern beteiligen, wer aus der Familie sich daran beteiligt, wer ein kirchliches Begräbnis hatte und wann. Außerdem müssen die Lehrer in einem ausführlichen Lebenslauf angeben, wer von ihren Verwandten sich im Ausland aufhält, ob er auf legale Weise dorthin gelangt ist oder nicht, welcher Art die Verbindung des Lehrers mit diesem Verwandten ist, welche Stellung der Lehrer in den „kritischen Jahren 1968/69“ eingenommen hat, welche Stellung die Mitglieder der Familie eingenommen haben.

Im ganzen läßt sich feststellen, daß die Argumente, mit welchen man heute gegen die Religion vorgeht, aus dem Kampf gegen die Kirche in den sechziger Jahren stammen. Die Vorgangsweise ist allerdings heute unvergleichlich rigoroser als sie es damals war.

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