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PRAKTISCHER BEITRAG ZUR DEMOKRATISIERUNG

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Vor einigen Wochen wurde ich im Rahmen einer Tagung eines internationalen Lehrergremiums eingeladen, über die Einrichtung der gesetzlichen Schulpartnerschaft in Österreich zu berichten. Eine institutionalisierte Partnerschaft zwischen Eltern, Lehrern und Schülern österreichischer Prägung war selbst Vertretern vieler EG-Staaten eine unbekannte Einrichtung.

Dieses Spezifikum stößt, so wie die

- noch immer einigermaßen funktio-nierende-österreichische Sozialpartnerschaft, auf einiges Interesse, weil solche Einrichtungen in den meisten Ländern unbekannt sind. Sicherlich wurde die Schulpartnerschaft nicht mit dem österreichischen Schulunterrichtsgesetz 1974 „erfunden"; jedoch

- und dies war das Bahnbrechende -wurde sie damals nach langen Diskussionen im Parlament mit Verfassungsmehrheit gesetzlich verankert.

Die Einbindung der Eltern in das schulische Geschehen wurde und wird auch in anderen Ländern gepflogen, in stärkerem Maße in Ländern mit einem umfassenden Anteil an Privatschulen, meist mit starker konfessioneller Ausprägung, in weit geringerem Umfang aber in den Bereichen der öffentlichen (staatlichen) Schulen.

Wir können in Österreich nunmehr auf eine längere Zeit der Erfahrung auf dem Gebiet einer gesetzlich fundierten Schulpartnerschaft zurückblicken. In einer Gesetzesnovelle wurde diese sogar noch sehr stark ausgeweitet.

Haben sich die Erwartungen des Gesetzgebers bei der Einführung dieser Einrichtung erfüllt?

So manche Erwartungen von Eltern und Schülern in bezug auf eine totale Mitsprache und Mitbestimmung, das heißt auf eine weitgehende Beeinflussung der Institution Schule, haben sich nicht erfüllt; andererseits sind auch die Befürchtungen von Lehrern und von Schulbehörden wegen einer zu starken Einflußnahme von Schülern und Eltern unberechtigt geblieben.

Eines ist sicherlich festzuhalten, daß nämlich die institutionalisierte Schulpartnerschaft einen nicht unwesentlichen praktischen Beitrag zur Demokratisierung unserer Gesellschaft -nicht allein der Schule - darstellt. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich das mühsame Entstehen von neuen demokratischen Gesellschaftsordnungen in unserem Europa von heute vor Augen führt.

Nur ist die Einrichtung eines Instrumentes der Demokratie eine Sache; eine andere allerdings, wie und ob es genutzt wird. DerGesetzge-ber kann nur die formalen Voraussetzungen schaffen.

Szenario: Niederösterreichische Kleinstadt, Anfang Oktober. Das Ehepaar S. begibt sich auf Einladung der Klassenlehrerin zum Klassenfo-rum in die Volksschule B. Es ist gleich ein mehrfaches Klassenforum; praktischerweise hat man in mehreren Klassen diesen Termin gleichzeitig angesetzt; auch die Direktorin ist im Hause. Das Ehepaar S. hat derzeit zwei seiner vier Kinder in dieser Volksschule; eine Konstellation, die nicht häufig ist, aber vorkommt.

Vater S. hat sich diesen Termin langfristig freigehalten, Mutter S. hat für die Kinder zu Hause eine babysit-tende Tante organisiert. Da für Sohn und Tochter zur gleichen Zeit die Klassenforen ablaufen, kommt es zunächst zu einer „Familientrennung". Für den Modus zur Wahl der Klassen-eltemvertreter keine „Tragik", weil pro Kind und Klasse ohnehin nur eine Stimme abgegeben werden kann. Meinungsverschiedenheiten unter Eheleuten, die gemeinsam eine Stimme abgeben sollen, darüber, wem diese Stimme gegeben wird, treten kaum auf. Der Gesetzgeber setzt Meinungseinhelligkeit unter Ehepartnern voraus. Viel eher ist die Problematik in der Beschlußfähigkeit gelegen. Das Schulunterrichtsgesetz besagt nämlich, daß für die Beschlußfähigkeit die Anwesenheit der Erziehungsberechtigten mindestens eines Drittels der Schüler erforderlich ist.

Es muß daher, dank geschickten „Elternsplittings", in keinem der angesetzten Klassenforen die für den Fall mangelnder Eltempräsenz vorgesehene halbe Stunde Zeitzugabe angewendet werden. Der erste Teil der Sitzung verläuft gemäß Tagesordnung routinemäßig, auch die Wah 1 der Klassenelternvertreter geht in Rekordzeit über die Bühne. Es gibt nur einen Wahlvorschlag und ein Formular, was zur Beschleunigung des Wahlaktes und seiner Protokollierung beiträgt.

Die Klassenlehrerin ist entschieden erleichtert, all die formalen Dinge erledigt zu haben, und lebt sichtlich auf. Sie ist nun in ihrem Element und erklärt sehr engagiert den Ablauf des Schuljahres, die Unterrichtsmittel, die zum Einsatz kommen sollen, und die Abläufe von Schul veranstaltungen. Es werden auch sehr konkret die Kontaktmöglichkeiten zwischen Klassenlehrerin und Erziehungsberechtigten besprochen; man ist mit einem Wort mitten in einer angeregten Erziehungsdiskussion. Alle sind angenehm berührt, daß seitens der Pädagogin weitestgehend auf „erziehungswissenschaftlichen Fachjargon" verzichtet wird, sodaß tatsächlich ein partner-schaftlichesGespräch entsteht, an dem sich alle beteiligen können und auch beteiligen.

Dieser Übereinstimmung stehen aber auch andere Erfahrungen gegenüber.

Nicht mehr idyllisch geht es zu, wenn von der Lehrerin verlangt wird, in den vielfältigsten Belangen rechtskundig sein zu müssen. Nehmen wir nur den Fall der Erziehungsrechte bei Scheidungen. Die Pädagogin ist unweigerlich auch in solche Spannungsfelder eingebunden, ob sie nun will oder nicht. Wie zum Beispiel ist mit jenem Elternteil umzugehen, der nicht das Sorgerecht vom Scheidungsrichter zugesprochen erhalten hat und trotzdem über das schulische Fortkommen seines Kindes Auskünfte einholen will? Hier gibt es juristisch klare und eindeutige Entscheidungen. Sind sie jedoch vom erzieherischen Standpunkt, aus der Interessenlage des Kindes heraus, so eindeutig, wie die Juristen uns dies weismachen?

In mittleren und höheren Schulen sowie den Berufsschulen sind Schul-gemeinschaftsausschüsse einzurichten, denen weitaus mehr Rechte zustehen als den Schulforen an den Volks- und Hauptschulen. Schon die Zusammensetzung ist eine andere. Hier sind auch die Schüler eingebunden. Die Demokratie wird hier vor allem bei den Lehrer- und Schülervertretern praktiziert; die Vertreter werden in geheimer Wahl gekürt. Anders bei den Elternvertretern: Diese werden vom Eltemverein - so ein solcher an der Schule existiert (es gibt fast immer einen) - delegiert.

Sowohl bei der Wahl der Lehrervertreter wie auch bei der der Schüler kann es sehr wohl zu echten Konkurrenzsituationen kommen, obliegt doch dem Schulgemeinschaftsausschuß eine Reihe wichtiger Entscheidungen. Das betrifft zum Beispiel die Planung von mehrtägigen Schulveranstaltun-gen, soweit sie die von den Schülern zu tragenden Kosten und die Art dieser Schulveranstaltungen betreffen, oder die Erklärung einer Veranstaltung zu einer schulbezogenen Veranstaltung.

Beraten wird im Schulgemeinschaftsausschuß über wichtige Fra-

gen des Unterrichts und der Erziehung, die Planung von Schulveranstaltungen und die Wahl von Unterrichtsmitteln. Letzteres stößt natürlich bei den speziellen Erfordernissen der berufsbildenden Schulen bei Nichtfachleuten an Grenzen. Nicht jeder Elternvertreter ist Wirtschaftsexperte oder kann mit CAD-Anlagen umgehen. Ähnlich problematisch wird es an manchen Schulen bei der Beratung über die Verwendung der Budgetmittel oder über Baumaßnahmen im Bereich der Schule. Wollte der Schulgemeinschaftsausschuß hier wirklich in Details gehen, so wäre diese Funktion an einer technischgewerblichen Lehranstalt ein „fullti-me-job".

Es gibt jedoch Fälle, wo es einzig dem Engagement der Schulgemeinschaft gelungen ist, im baulichen Bereich zum Beispiel für Behinder-tengerechtigkeit/u sorgen und damit zur Integration betroffener Schüler beizutragen.

Die Bestimmungen des Schulunterrichtsgesetzes finden aber in ihrer Auslegung höchst unterschiedliche Graduierungen. Wir entdecken bei manchen Schulgemeinschaftsaus-schüssen sogar Aktivitäten, die man unter Anlehnung an ein Clausewitz-Wort die Fortsetzung der Kommunal-und Landespolitik mit anderen Mitteln nennen könnte; das heißt, mit den Mitteln der geballten Kraft von Eltern, Lehrern und Schülern. Das breite Spektrum der Aktivitäten beinhaltet sogar den Kampf, an einem Schulstandort zusätzlich zu einem Oberstufengymnasium auch eine Unterstufe zu bekommen, obwohl das Schulentwicklungsprogramm dies nicht vorsieht.

Aber auch auf dem Gebiet der Ernennung von Schulleitern wird das Engagement der Schulgemeinschafts-ausschüsse immer stärker. Dabei gibt es für diese Maßnahmen seit langem gesetzlich (verfassungsrechtlich) verankerte Kollegien, in denen Eltern- und Lehrervertreter Sitz und Stimme haben. Sehr oft bilden sich jedoch gemeinsame Fronten von Eltern, Schülern und Lehrern. Zum Beispiel wenn es darum geht, zum Zwecke des Fremdsprachenunterrichtes die Klassengemeinschaften nicht zu zerreißen, oder beim Kampf der Schülerinnen und Schüler der berufsbildenden mittleren und höheren Schulen um die weitere Zuerkennung von sogenannten „Berufsberechtigungen".

Dies alles sind jedoch Problemstellungen, die weit über die im Gesetz aufgezählten Rechte der Schulgemeinschaft hinausgehen. Sie sind allerdings als Ergebnis eines Demokratisierungsprozesses und Engagements mündiger Menschen in einer sich zusehends stärker selbstorganisierenden Gesellschaft positiv zu vermerken.

Wir sehen uns jedoch auch mit einem Antagonismus konfrontiert. Auf der einen Seite wollen wir eine zutiefst menschliche Schule; eine für Schüler, Eltern und Lehrer gleichermaßen humane Schule.

Auf der anderen Seite erschallt der Ruf nach Rechtssicherheit und damit die Schaffung immer neuer Normen. Dabei muß wohl jedem klar sein, daß Verwaltungsverfahren keine Antwort auf pädagogische Probleme sein können.

Die Idee der Schulpartnerschaft ist stets aufs neue zu verwirklichen, und sie stellt sich immer wieder neu dar. Auch wenn wir im internationalen Vergleich auf unsere rechtlich verankerte Partnerschaft stolz sein können, so ist sie als solche nicht mehr als die Schaffung von Voraussetzungen im Rahmen der Gesetze. Leben müssen ihr die agierenden Menschen einhauchen.

Und diese Partnerschaft wird dann für die jungen Menschen von Segen sein, wenn sie über die Schulgemeinschaft zu einer Erziehungsgemeinschaft wird.

Dieser Weg einer Erziehungsgemeinschaft von Eltern, Lehrern und Schülern ist nicht nur in unseren Tagen der mühsamste und schwierigste. Leider, oder Gott sei Dank, gibt es keinen anderen!

Prof. Dkfm. Mag. Helmut Skala ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Lehrer in der Gewerkschaft öffentlicher Dienst.

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