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Digital In Arbeit

In Erziehungsfragen keine Technizismen

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„Anläßlich der Behandlung des Volksbegehrens, das zur Aussetzung der neunten Sehulstut'e geführt hat, hat der Nationalrat in einer Entschließung die Einsetzung einer Schulreformkomnifs-sion gewünscht. Die Volksvertretung hat in dieser Entschließung gefordert, daß nicht nur die Frage der Dauer der allgemeinbildenden höheren Schulen in dieser Schulreformkommission beraten werden soll, sondern daß diese Überlegungen das gesamte Bildungswesen, auch über die Schule hinaus, erfassen müßten. Die rasche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in unserer Zeit macht es notwendig, das Bildungswesen immer wieder den sich ändernden Erfordernissen anzugleichen. Die im Sinne dieser Entschließung des Nationalrates geschaffene Schulreformkommission hat ihre Arbeit am 1. August 1969 aufgenommen. Ihr gehören Abgeordnete zum Nationalrat, die Präsidenten der Landesschulräte, Vertreter der Lehrerorganisation, der Elternverbände und des Bundesjugendringes sowie Vertreter der Lehrkanzelinhaber für Pädagogik an den österreichischen Hochschulen an. Geineinsam waren und sind sie bemüht, das österreichische Schulwesen in seinen Zielsetzungen zu überprüfen und mögliche Wege nach einer wirkungsvollen und raschen Reform aufzuzeigen.“

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„Anläßlich der Behandlung des Volksbegehrens, das zur Aussetzung der neunten Sehulstut'e geführt hat, hat der Nationalrat in einer Entschließung die Einsetzung einer Schulreformkomnifs-sion gewünscht. Die Volksvertretung hat in dieser Entschließung gefordert, daß nicht nur die Frage der Dauer der allgemeinbildenden höheren Schulen in dieser Schulreformkommission beraten werden soll, sondern daß diese Überlegungen das gesamte Bildungswesen, auch über die Schule hinaus, erfassen müßten. Die rasche wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung in unserer Zeit macht es notwendig, das Bildungswesen immer wieder den sich ändernden Erfordernissen anzugleichen. Die im Sinne dieser Entschließung des Nationalrates geschaffene Schulreformkommission hat ihre Arbeit am 1. August 1969 aufgenommen. Ihr gehören Abgeordnete zum Nationalrat, die Präsidenten der Landesschulräte, Vertreter der Lehrerorganisation, der Elternverbände und des Bundesjugendringes sowie Vertreter der Lehrkanzelinhaber für Pädagogik an den österreichischen Hochschulen an. Geineinsam waren und sind sie bemüht, das österreichische Schulwesen in seinen Zielsetzungen zu überprüfen und mögliche Wege nach einer wirkungsvollen und raschen Reform aufzuzeigen.“

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Soweit die Einleitungsworte des ersten Berichtes an das Parlament über die Arbeit der offiziellen Schulerneuerung, den der damalige Unterrichtsminister und Vorsitzende der Schulreformkommission Doktor Alois Mock vorlegte. Die markante Präzisierung der Einrichtung und Motivierung der Aufgabe mögen dem diesen Dingen Fernerstehenden erste Bekanntschaft mit der Absicht, dem mit diesen Belangen näher Verbundenen oder an sie Herangerückten erste generelle, darob aber doch aussagereiche Information über die tieferen Motive der Inangriffnahme einer Schulreform vermitteln. Die seit jener Konstituierung verstrichene Zeit aber ermöglicht und gestattet, ja verlangt die Betrachtung des Bisherigen, woraus im übrigen zugleich auch die Tendenzen erkannt, diese verständlich gemacht, erklärt' wer-v den sollen — oder auch jenes, was zumindest dem Verfasser dieser Zeilen weniger gefällt, einer Kritik unterzogen werden soll. Dabei soll dies sowohl nach der äußeren wie nach der der gehaltlichen Seite erfolgen.

Das Verhandlungsgrer 'um

Die Zusammensetzung der Kommission in der angeführten Form hat sich bewährt. Sie hat 38 Mitglieder, die die Gesamtkommission bilden und die wieder zur Behandlung einzelner Fragenbereiche des Schulwesens in Unterkommissionen auseinandertreten. Dazu kommen neben den dem Vorsitz führenden Unterrichtsminister Ministerialbeamte als Geschäftsführer der Gesamt- wie der Unterkommissionen. Uber diese sozusagen Vollmitglieder der ersten Stunde hinaus hat die Kommission seither an Umfang gewonnen. Das hat seine Vorteile, das hat seine Nachteile — und der Verfasser erinnert sich eines sehr frühen Gespräches mit Alois Mock, noch vor der Konstituierung, als der Minister meinte, daß die Handlichkeit einer solchen Einrichtung etwa bei 40 bis 45 Personen liege. Dem ist im grundsätzlichen und sozusagen hinsichtlich der Überblickbarkeit der Meinungsäußerung, wie der erwünschten Bündigkeit und Geschlossenheit — die dabei gewiß nicht in abweisende Esoterik verfallen — zuzustimmen.

Auf der anderen Seite sind zwei Aspekte zu sehen und zu berücksichtigen, wobei allerdings, um es gleich zu sagen, in diesen Beziehungen ein starkes Maßhalten empfohlen sei.

Zum ersten: Je mehr sich zeigte, daß die Verhandlungen in der Kommission Kopf und Fuß haben, um so größer wurde das Interesse von an Blidungs- und Ausbildungsfragen legitim interessierten Institutionen, um so verständlicher deren Wunsch, an den Verhandlungen als Beobachter teilzunehmen.

In dieser Richtung hatten sich die Bischofskonferenz wie die Kammern geäußert. Die Kirchen und die beruflichen Interessenvertretungen entsenden nunmehr seit etwa zweieinhalb Jahren Vertreter zu den Sitzungen der Gesamtkommission.

Der zweite Aspekt ist, daß, je weiter die Dinge voranschreiten, das heißt, je mehr in die Materien hineingenommen wird, die Problemstellungen sich auch komplizierter erweisen und zum Teil diffizilste Behandlungen erheischen. Dies hat — fast zwangsweise — die Heranziehung von Experten zur Folge. Das ist somit verständlich und durchaus akzeptabel. Allerdings, das muß, nun die Zustimmung zu solcher Entwicklung einschränkend, hinzugefügt werden, ist dadurch nicht nur ein gewisses Moment der Fluktnation hineingekommen, sondern gelegentlich auch das Hinzutreten von Personen, die über das bisher bereits Erarbeitete nicht informiert sind und ihre eigenen Überlegungen von Punkten ausgehen lassen und Fragestellungen glauben aufzeigen zu müssen, die längst hinter uns liegen. Hier kommen, selbst wenn man von Banalitäten und Naivitäten, deren Vorkommen und Vorbringen nicht verschwiegen sei, nicht nur zeitvergeudende, sondern auch ausgesprochen unrealistische und den Gesamtintentionen nicht gerecht werdende Momente ins Spiel.

Das beste und fast erschütternde Beispiel waren bei einer Sitzung der für Lehrerbildungsfragen zuständigen Unterkommission IV die Ausführungen des herangezogenen Vertreters der Hochschule für Bildungswissenschaften in Klagenfurt — auf wessen Veranlassung diese Heranziehung erfolgte, blieb ungeklärt —, der, bar des Einblickes in die tatsächlichen Ausgangspositionen und fernab von längst erarbeitetem kon-zeptiven Vorbedacht mit dem Vortragen von Selbstverständlichkeiten die Arbeit nur aufhielt und zurückzuwerfen drohte. Denn die Höflichkeit gebietet selbst in solchen fast peinlichen Fällen zumindest das Zuhören.

Als ein Vorteil erweist sich — hier befindet sich der Verfasser allerdings nicht in Übereinstimmung mit ansonsten mit ihm durchaus konform Gehenden — die gerade unter Minister Fred Sinowatz forcierte Heranziehung von Ministerialbeam-ten zu den Beratungen. Dadurch ist Gewähr gegeben, daß die Berührungen und Verbindungen zwischen der Kommission, deren einzelnen Mitgliedern und den grundlegenden Intentionen einerseits und der Administration anderseits, auch unter der Ebene der ohnedies als Mitglieder des „Ministeriellen Komitees für Angelegenheiten der Schulreform“ an den Verhandlungen teilnehmenden Sektionsleiter und Kommissionsgeschäftsführer, sehr dicht ist. Das erweist sich als für beide Seiten gewinnbringend, auch in den zahlreichen informativen und abklärenden Gesprächen außerhalb der offiziellen Sitzungen. Diese gegenseitige Durchdringung und Vertrautheit bedeuten zudem auch Gewinn im Sinne des stets angestrebten Realismus bei all dem, in sozusagen ständiger Rückkoppelung von der einen zur anderen Seite, nicht zuletzt auch für die Wissenschaft und von dieser her in ihrem Wechselspiel mit der Verwaltung. (Wir haben kürzlich in

einem Aufsatz in der österreichischen Hochschulzeitung unter dem Titel: .Schurreform und Hochschule', ÖHZ, Nr. 16/17/1973, auf die Fruchtbarkeit bereits erfolgter Rückwirkungen auf die wissenschaftliche Pädagogik verwiesen.)

In den obigen Zusammenhängen sei aber auch gestattet, einmal ein offenes Wort einzuflechten. In letzter Zeit ist die Beamtenschaft des Unterrichtsministeriums gelegentlich hart angegangen worden. Man warf ihr recht pauschal mangelnde Einsicht in die tatsächlichen Verhältnisse an den Schulen, ja dem einen oder anderen mangelnde Kommunikationsfähigkeit und geringe Kooperationsfreudigkeit, wenn nicht Überheblichkeit vor.

Nun, Spannungen kommen im Zusammenwirken ausgeprägter Persönlichkeiten bei einer großen Aufgabe wohl immer wieder einmal vor. Für die Beseitigung und den Ausgleich solcher Belastungen, sollten sie eines Tages schwerwiegende Hemmungen nach sich ziehen, hätte der Minister zu sorgen. Wir wollen jedenfalls hier nicht rechten und richten.

Das in Anspruch genommene offene Wort geht nach anderer, positiver Richtung:

Diese Beamtenschaft ist, ganz abgesehen von den Auswirkungen der „explosion scolaire“, zusätzlich mit den Aufgaben der Schulreform in exekutiver Funktion betraut. Dieses Anliegen ist zwangsweise mit Un-sicherheitsfaktoren behaftet, was zunächst vorhandene Unvollkom-menheit verständlich macht und derartiges nicht schon gleich dem damit betrauten Beamten als in seiner Person liegende Unzulänglichkeit angelastet, als mangelnde Einsichtsfähigkeit ausgedeutet werden darf. Dem, der Einblick hat, sei das Urteil zugestanden, daß wir es hier rund um die beiden Sektionschefs, Dr. Kövesi dem Vorsitzenden des genannten ministeriellen Komitees, und Dr. März, dem ideellen Motor der Schulweiterentwicklung, mit einer Beamtenschaft hohen Sachverstandes und durchaus perspektivischer Einstellungsfähigkeit zu tun haben, zudem mit einer solchen, die auch rein von der zeitlichen zusätzlichen Beanspruchung her zweifellos eher Anerkennung als abwertende Worte verdient.

Eines sei allerdings auch wieder gesagt: Sakrosankt ist trotz gern erfolgter Verbeugung vor vollbrachter Leistungen niemand, und gar leicht persönlich gekränkt möge man auch nicht sein, wenn nun einmal ein anderer von einer Sache mehr versteht oder weitere Umsicht hat. Im übrigen nützt es nichts — und das ist ein allgemein zu respektierender Aspekt —, wenn angesichts von

Überlastungen dies oder jenes trotz aller prinzipieller Gewissenhaftigkeit nicht mit der gebotenen Gründlichkeit erarbeitet und bearbeitet werden könnte — die Aufgaben werden ja in nächster Zeit der Breite wie der Tiefe nach anwachsen.

Überlastung und Uberforderung, geistige wie physische Überforderung und Überlastung wie auch, rein zeitlich gesehen, Mangel an Zeit zur Vertiefung lassen stets die Gefahr des — an sich nicht schwierigen — kompilatorischen Vorgehens aufkommen, bei dem dann eklektisch zusammengetragen wird. Wir können aber keine kompilatorische Neu- und Weitergestaltung des Schulwesens brauchen; wir wünschen eine Schulreform aus einem Guß, eine solche integraler, eine solche eigenständig kreativer (und damit durchaus österreichisch-originärer, gewiß die Erkenntnisse der vergleichenden Bildungsforschung dabei nicht übersehender) und organischer Art. Das ist allerdings bedeutend schwieriger zu bewerkstelligen als verhältnismäßig leicht zu organisierende Kompilation. Doch wir wollen nicht zu sehr in die

Methodologie der Schulreform hineinkommen, obwohl diese ein Gebiet ist, das — und hier möchte ich bei allem Bekenntnis zu pragmatischem Vorgehen und zur Elastizität, aus allmählich gewonnenen Problemkenntnissen heraus, einen Vorwurf erheben — bisher eigentlich nie gründlich im Schöße der Reformkommission erörtert wurde.

Doch zu den Verhandlungen selbst zurück. Das eben Gesagte bezüglich der Überlastungen gilt nicht nur für die befaßte Beamtenschaft in ihrer exekutiven Aufgabe der allgemeinen Aufbereitung wie den Durchführungen von vorläufig versuchsweise oder schon endgültig applizierten Maßnahmen, sondern in gewisser Beziehung auch für die Kommissionsmitglieder. Diese gewisse Beziehung besteht darin, daß sowohl die Gesamtkommissionen in zu weit auseinanderliegenden Intervallen zusammenberufen werden, so daß dann bei der einzelnen Sitzung eine zu große Fülle zu bewältigen ist oder gar nicht mit aller an sich gebotenen Sorgfalt bewältigt werden kann. Auch hier muß bedacht werden, daß alle diese Mitglieder zusätzlich zu ihren anderen, oft — wenn man etwa an den Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei Friedrich Peter oder an den wesentlich weitere Aufgaben bewältigenden ÖVP-Abgeordneten Dr. Josef Gruber denkt — staatspolitisch wichtigen Agenden mit der Schulreform befaßt sind, diese aber mit ihrer Komplexität und Diffizilität sorgsame und gründliche Bearbeitung — bei Abgeordneten zudem aus Gründen der Kontrolle der exekutiven

Gewalt wie des Suchens des parteipolitischen Kompromisses oder möglichsten Konsenus — verlangen.

An dieser Stelle sei ein ganz konkreter Vorschlag vorgebracht. Die SPÖ verfügt als Regierungspartei über den großen Apparat des Unterrichtsministeriums und irgendwie nachgeordneter oder assoziierter Institutionen. Wie wäre es — aus Gründen der Chancengleichheit, der Waffengleichheit und (einigermaßen) Ebenbürtigkeit, und zwar nicht nur zwischen den politischen Parteien, sondern auch zwischen Legislative und Exekutive, wie dies auch in letzter Zeit im allgemeinen von prominentesten Parlamentariern gefordert wurde —, wenn den beiden Oppositionsparteien, die nicht über wissenschaftlich-pädagogische Stäbe verfügen, sondern mit zudem unter Umständen fluktuierenden und nicht voll eingearbeiteten, ehrenamtlichen Beratern sich begnügen müssen — und jeder künftigen Oppositionspartei — ein zumindest bescheidener wissenschaftlicher Apparat, genauer gesagt: die Mittel für die Einrichtung eines solchen Apparates zur Verfügung gestellt würden? Die Begründung dafür: Alle damit Befaßten bekennen sich dazu, in diesen wesentlichsten geistespolitischen Fragenkreisen, wie dies eine Bildungsreform ist, eine weitgehende Übereinstimmung zu erreichen. Wir schrieben einmal, daß es hier „keine geistigen Majorisierungen“ geben dürfe''. Konsens kann nur mit innerer Zustimmung erlangt werden. Diese innere Zustimmung aber

wieder wird nur nach gründlicher eigener Uberprüfung der Sachverhalte erfolgen können.

Bei den Universitätsprofessoren — sofern sie stärker engagiert sind und sich engagieren — zeichnet sich in letzter Zeit, nach mancher Anmah-nung in dieser Richtung dank des erschlossenen Verständnisses des Unterrichtsministers und der „grauen Eminenz“ seines Hauses, des gerade in diesen Beziehungen — zum Unterschied von manch anderen, wobei wir zu diesen anderen zu unserem Bedauern nach wie vor das Wissenschaftsministerium zählen müssen —, sehr einsichtsvollen Sektionschef Dr. März, bezüglich zusätzlicher Mitarbeiter für Angelegenheiten der Schulreform eine Verbesserung des bisher recht ungenügenden Zustandes ab. Dies verspricht, daß die Voraussetzungen für die Aufbereitung der zahlreichen Materien rund um das Unternehmen wie die Vorbereitung der wissenschaftlichen Hilfen für schulpolitische Entscheidungen besser erledigt werden können. Im übrigen hat das letztere nicht nur einen fachlichpädagogischen, sondern auch einen politischen Aspekt. Denn schon tauchte die Meinung auf, daß doch ungebührend stark zentralistisch und zugleich sozusagen im stillen präjudizierend vorgegangen werde. Demgegenüber sei trotz allem Bekenntnis zum Meinungspluralismus und trotz aller Deklaration demokratischen Vorgehens von der reinen Wirkungsmöglichkeit her sowohl die Darbietung von Alternativen für diese oder jene in Vorschlag gebrachte Lösung einer Frage, wie

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