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Die staatliche Neuformung des deutschen Westens

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Die Neuformung der Bi-Zone, der „Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes” scheint unter einem nicht ungünstigen Stern zu stehen. Die zwei ersten Versuche der Zwei-Zonerivereinigung trafen in eine Zeit der fortschreitenden Hoffnungslosigkeit in Politik und Wirtschaft. Die neuen Verant-. wörtlichen in den einzelnen Parlamenten, Regierungen und Verwaltungen waren vielfach noch nicht erfahren genug, sie wußten von der Außenwelt noch sehr wenig, waren in der Personenwahl vielfach sehr gehemmt durch Ungleichmäßigkeiten und Vorurteile in der Denazifizierung. Die zwei Militärregierungen waren in ihren Auffassungen noch vielfach uneins. Die Befugnisse der norddeutschen Länder waren viel kleiner als die der süddeutschen Staaten, die britische Zone war mit Zentralämtern schon beinahe wie ein Einheitsstaat organisiert, während die süddeutschen Staaten im Länderrat in Stuttgart im großen und ganzen nur lose koordiniert wurden. Dazu kam, daß die zwei ersten Formen der bi-zonalen Verwaltung schwere Konstruktionsmängel aufwiesen, die auch einem gesünderen politischen „Common-sense” erhebliches Kopfzerbrechen bereitet hätten. In der — im Herbst 1946 angenommenen — Form, die allerdings durch die damals gebotene starke Rücksichtnahme auf die östliche Besatzungsmacht bedingt war, standen die aus den Ressortministern der Länder gebildeten Verwaltungsräte für Wirtschaft, Ernährung, Finanzen, Verkehr und Post völlig unverbunden nebeneinander. Die ‘ihnen unterstehenden bi-zonalen Verwaltungsämter waren räumlich nicht an einem Ort zusammengefaßt. Es stellte sich schließlich heraus, daß die „Weisungen” der Verwaltungsräte im Grunde genommen sehr unverbindlich waren. Während man im Anfang glaubte, sie hätten rechtsetzende Kraft, mußte man nachträglich erfahren, daß diese Weisungen Rechtskraft erst durch Gesetze der Militärregierungen, beziehungsweise des Stuttgarter Länderrats erhalten konnten.

Im Mai 1947 wurde als Sitz der bi-zonalen Verwaltung Frankfurt am Main bestimmt. Durch übereinstimmende Proklamationen des amerikanischen und britischen Militärgouverneurs wurden neue Organe, und zwar der Wirtschaftsrat, der Exekutivrat und die Direktoren eingesetzt. Der Wirtschaftsrat wurde eine wirkliche gesetzgebende Körperschaft, bestehend aus indirekt von den Landtagen gewählten Personen, die den Landtagen nicht angehören durften und die bei der Ausübung ihrer Funktionen nur ihrem Gewissen unterworfen waren. Der Exekutivrat bestand aus je einem Vertreter jeder Landesregierung. Er bekam die Funktionen einer Art von Regierung, die allerdings nicht aus Ressortministern, sondern aus bevollmächtigten hohen Beamten (nicht Ministern) der Länder gebildet war. Die Direktoren als Leiter der zentralen Verwaltungsämter hatten diesem Exekutivrat gegenüber nur die Stellung von Staatssekretären; sie wurden vom Wirtschaftsrat auf Vorschlag des Exekutivrats ernannt und auf eigene Initiative des Wirtschaftsrats abberufen. Insofern war ihre Stellung doch wieder etwas stärker als die der Staatssekretäre des Bismarckschen Reiches gegenüber dem Reichskanzler. Diese Konstruktion der „Regierungsgewalt” war sehr ungewöhnlich und in sich schwierig. Dazu kam, daß die Mitglieder des Exekutivrats, soweit sie von Süddeutschland entsandt wurden, sich an die Weisungen ihrer Länderregierungen gebunden fühlten, während die meisten anderen — je nach Parteirichtung — sich nur ihrem Gewissen unterworfen glaubten. Die Gesetzgebung war also einem rein zentralistischen Organ nach dem Einkammersystem, die Regierung einem von der Länderregierungen gebildeten Organ, die eigentliche Exekutive dagegen den letzten Endes vom Wirtschaftsrat abhängigen Direktoren anvertraut. Im Wirtschaftsrat selbst entwickelte sich eine stark zentralistische Teridenz, getragen von den Sozialdemokraten, den Liberalen und in gewissem Umfange auch von den Christlichen Demokraten. Bereits nach seinem Amtsantritt erlitt der Exekutivrat bei der Wahl der Direktoren eine empfindliche Niederlage, er sah sich genötigt, sich dem Willen der Parteien im Wirtschafesrat zu fügen, seine Vorschläge zur Direktorenwahl fielen durch, er mußte sich in seinen weiteren Vorschlägen der Mehrheit des Wirtschaftsrats anpassen, um überhaupt eine Direktorenwahl zustande zu bringen.

In der Gesetzgebung wurden vielfach die Erfahrungen der Länder zu wenig berücksichtigt, die Militärregierung hat auch Gesetze des Wirtschaftsrats wegen gesetzestechnischer Fehler beanstandet. Dabei kam die dringend benötigte Vereinheitlichung der Gesetzgebung in den Bewirtschaftungsfragen nicht voran.

In der im Februar 1948 verkündeten neuen — dritten — Form der bi-zonalen Organisation wurden erhebliche Fehler ausgemerzt. Die Zahl der Mitglieder des Wirtschaftsrats wurde von 52 auf 104 erhöht; die Ausschüsse konnten nun leichter besetzt werden, die gesamte Körperschaft wurde arbeitsfähiger. Der Exekutivrat wurde abgeschafft. An seine Stelle traten der Länderrat und der Verwaltungsrat.

Der Länderrat besteht aus je zwei Vertretern für jedes Land, von denen einer der Ministerpräsident sein kann; sie werden von der Landesregierung bestellt. Der Länderrat erhielt die Aufgaben einer zweiten gesetzgebenden Kammer, um den Ländern einen mitbestimmenden Einfluß auf die Gesetzgebung der Doppelzone zu sichern, den sie bisher nicht hatten. Es wurde ihm außer dem Recht der Zustimmung und Abänderung auch ein Einspruchsrecht eingeräumt, das aber mit absoluter Majorität der gesetzlichen Mitgliederzahl des Wirtschaftsrats überstimmt werden kann. Ein Einfluß auf die Administration wurde dem Länderrat in der Proklamation nicht zugestanden, außer durch die Bestimmung, daß er die Bestellung des Vorsitzenden des Verwaltungsrats (praktisch des „Ministerpräsidenten”) bestätigt und daß er das Recht hat, die Anwesenheit des Vorsitzenden und der Mitglieder des Verwaltungsrats bei seinen Sitzungen zu verlangen.

Es gibt Anzeichen dafür, daß die amerikanische Besatzungsmacht am liebsten dem Länderrat sowohl in bezug auf die Gesetzgebung wie auf die Administration ungefähr ähnliche Befugnisse, wie sie der amerikanische Senat besitzt, eingeräumt hätte. Da man aber offenbar der Entwicklung eines politischen common-sense noch nicht recht traut und die richtige Balance zwischen Ländern und Doppelzone noch nicht gefunden ist, wurde der Einfluß des Länderrats nur in bezug auf die Gesetzgebung eindeutig fest- gclegt und die endgültige Entscheidung dem Wirtschaftsrat anvertraut.

Es gibt weiterhin Anzeichen dafür, daß die amerikanische Seite von den Deutschen erwartete, daß sie durch die einzelnen Gesetze, durch Vereinbarungen und Gewohnheitsrecht dem Länderrat einen angemessenen Einfluß auf die Administration einräumen würde. Die meisten Länderregierungen hätten es allerdings gern gesehen, wenn durch die Proklamation dem Länderrat sowohl in seiner Konstruktion wie in seinen Aufgaben eine ähnliche Stellung wie dem früheren Bundesrat, beziehungsweise Reichsrat eingeräumt worden wäre. Sie hätten gern das Recht gehabt, sich durch Bevollmächtigte in der Stimmenabgabe — ähnlich wie es im früheren Bundesrat, beziehungsweise Reichsrat der Fall war — vertreten zu lassen. Der Länderrat hat nun durch seine Geschäftsordnung sich Ausschüsse für Wirtschaft, Finanzen, Ernährung und Landwirtschaft, Verkehr und Post, bestehend aus den Ressortministern der acht Länder, geschaffen und noch dazu einen geschäftsführenden Ausschuß bestellt, der aus den ständigen Bevollmächtigten (eine Art von Gesandten) bei der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes besteht. Die Konstruktion des Länderrats wird dadurch der Form des früheren Bundesrats oder Reichsrat der Bismarckschen, beziehungsweise Weimarschen Verfassunginetwasangenähert.

Das dritte Organ der bi-zonalen Verwaltung ist der Verwaltungsrat, der tatsächlich bereits eine Art Kabinett dar- stellt. Er setzt sich zusammen aus einem Vorsitzenden ohne Geschäftsbereich als „Koordinator”, der vom Wirtschaftsrat gewählt wird und der Bestätigung des Länderrats bedarf, ferner den Direktoren der Verwaltungsressorts (für Wirtschaft, Finanzen, Ernährung und Landwirtschaft, Verkehr und Post), die ebenfalls vom Wirtschaftsrat gewählt werden. Die Koordinationsbefugnisse des ehemaligen Exekutivrats sind mit- hiri auf den Vorsitzenden des Verwaltungsrats übergegangen. Der Vorsitzende und die Direktoren haben auch das Recht, Gesetzesvorlagen beim Wirtscbaftsrat (und Länderrat) einzubringen, das die Direktoren früher nicht hatten.

Vom üblichen Kabinettsystem weicht die Konstruktion des Verwaltungsrats insoferne ab, als die Direktoren nicht auf Vorschlag des Vorsitzenden gewählt werden; dabei braucht nur der Vorsitzende die Bestätigung des Länderrats. Eine kollektive Verantwortung des Verwaltungsrats gegenüber dem Wirtschaftsrat ist nicht festgesetzt. Infolgedessen ist die rechtliche Stellung des Vorsitzenden verhältnismäßig schwach, schwächer als die des ehemaligen Exekutivrats gegenüber den Direktoren.

Die neue Form der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, vor deren Verkündung die Meinung der Ministerpräsidenten und der maßgebenden Politiker gehört wurde, ist deutlich als Kompromiß zwischen der mehr zum Föderalismus neigenden amerikanischen Militärregierung und der mehr zum Zentralismus neigenden britischen Militärregierung erkennbar. Im ganzen ist sie wohl trotz mancher nicht behobener „technischer Mängel” als ein Fortschritt auf dem Wege zu einem gesunden Föderalismus zu bezeichnen. Von großer Bedeutung für die politische Beurteilung ist, daß die Ministerpräsidenten von der Möglichkeit Gebrauch machten, selbst in den Länderrat einzutreten. Seit dem guten Erfolg des Länderrats in Stuttgart und seit der vom bayerischen Ministerpräsidenten im Mai 1947 veranstalteten Ministerpräsidentenkonferenz haben sich die Chefs der Länderregierungen ein bedeu- tendes Ansehen inder deutschen Öffentlichkeit erworben; dies hat die in Norddeutschi tnd vielfach vorgebrachte Ansicht widerlegt, daß die Länderregierungen von Haus aus nur Vertreter partikularer Interessen sein, nicht aber für die Gesamtheit sprechen könnten. Man hatte zeitweise den Eindruck, daß das Zusammenspiel in Frankfurt sich gebessert habe. Der Länderrat arbeitet bereits gut mit dem Verwaltungsrat zusammen, die Gesetzesvorlagen der Direktoren werden mehr als bisher vor ihrer endgültigen Fertigstellung mit den Ausschüssen des Länderrats und sonstigen Fachkommissionen durchgearbeitet. Auch zwischen Länderrat und Wirtschaftsrat und ihren Ausschüssen ist eine engere Fühlungnahme im Entstehen. Die Debatten zum Überleitungsgesetz, durch das hauptsächlich die in früheren Gesetzen festgelegten Befugnisse des Exekutivrats jeweils auf die neuen Organe übertragen wurden, haben aber gezeigt, daß der Kampf zwischen Föderalismus und Zentralismus keineswegs beendet ist. Im Wirt- schaftsrrat dominiert die Tendenz, den Länderrat auf die relativ schwache Mitwirkung bei der Gesetzgebung zu beschränken. Man hat den Eindruck, daß die Stellungnahme der Parteien doktrinär festgelegt ist, daß aber dahinter sehr reale Interessen stehen.

Die Gesamtorganisation der Verwaltung des „Vereinigten Wirtschaftsgebie es”, bestehend aus Wirtschaftsrat, Länderrat, Verwaltungsrat und den Verwaltungsämtern, stellt bereits einen Apparat dar, der d i e Grundelemente einer künftigen Bundesverwaltung schon in sich birgt. Sie hat allerdings noch nicht völkerrechtlichen Status. Immerhin ist ihr im Februar 1948 bereits der Charakter einer juristischen Person durch die Proklamation 7 und die entsprechende Verordnung der britischen Militärregierung verliehen worden; außerdem wurde mit ihr von der Regierung der Vereinigten Staaten ein Vertrag abgeschlossen, der die kreditweise Überlassung von überschüssigem Heeresmaterial zum Gegenstand hat. Nichts würde entgegenstehen, der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes auch völkerrechtlichen Status zu verleihen, so daß sie auch vor Abschluß eines Friedensvertrages in amtliche Beziehungen zu den sie anerkennenden Staaten treten könnte, genau so wie es bei österreidi alsbald nach der Befreiung der Fall war. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß ein solcher Akt der Anerkennung noch vor Schaffung einer eigentlichen Bundesregierung vorgenommen wird. Die Schaffung einer solchen Bundesregierung wird auch mehr und mehr von den deutschen Staatsmännern und den Politikern in der Bi-Zone als notwendig anerkannt und betrieben, während bis vor kurzem sich noch niemand so recht dafür erwärmen wollte, da niemand verantworten wollte, daß die Ostzone sich an einer solchen Bundesregierung — infolge der Gewalt der Tatsachen — nicht beteiligt.

Die seinerzeit überraschend beschleunigte Neuordnung der Verwaltung der Bi-Zone ist nach allem in engem Zusammenhang mit der in Paris im März und April geschaffenen Organisation der europäischen Zusammenarbeit zu sehen. In ihr sind die Westzonen bereits durch ihre Militärbefehls-haber vertreten, und es wurde ausdrücklich betont, daß sie späterhin durch eigene Repräsentanten dort vertreten sein sollen. Ein ständiges Sekretariat der Verwaltung für Wirtschaft ist bereits in Paris eingerichtet, gewissermaßen als Außenstelle und als Vorposten einer künftigen bevollmächtigten Repräsentanz.

Die große Bedeutung, die die beiden angelsächsischen Besatzungsmächte der Einrichtung der zwei-zonalen Verwaltung von vomeherein zumaßen, dürfte auf eine wohlüberlegte langfristige Planung zurückzuführen sein, die zum ersten Male ihren amtlichen Ausdruck in der Byrnes-Rede im September 1946 in Stuttgart fand. Offenbar ist schon damals, zumindest in den USA, der Gedanke einer — Österreich nach dem ersten Weltkrieg wohl bekannten — Balkanisierung Mitteleuropas — das heißt hier Deutschlands — fallengelassen worden und immer mehr hat sich der Gedanke durchgesetzt, daß ein künftiges föderatives Europa nicht aus zu vielen M o s a i k s t e i n en bestehen darf, sondern auf einigen Pfeilern, wie Großbritannien, Frankreich, Italien und auch einem einzigen Westdeutschland — wenn auch bundesstaatlich aufgelockert — beruhen sollte.

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