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Die Bundesstaatsreform muß zur Parlamentarismus-Reform fuhren

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Die Debatte um die Bundestaatsreform nimmt an Schärfe zu: Sollte die Reform bis Ende 1994 nicht beschlossen sein, will Vorarlbergs Landeshauptmann Martin Purtscher im Bundesrat EU-Anpassungsgesetze blockieren.

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Die Debatte um die Bundestaatsreform nimmt an Schärfe zu: Sollte die Reform bis Ende 1994 nicht beschlossen sein, will Vorarlbergs Landeshauptmann Martin Purtscher im Bundesrat EU-Anpassungsgesetze blockieren.

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T T nabhängig von der bevorstehenden Nationalratswahl ha- ben die parlamentarischen Beratungen über jene große Verfassungsreform begonnen, welche die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern neu ordnen soll. Obwohl die Verhandlungen sorgfältig und in zahlreichen Etappen geführt wurden, scheint ihr Ergebnis doch nur Unzufriedenheit produziert zu haben: Mit schneidender Schärfe hat etwa der Wiener Staatsrechtler Heinz Mayer, den — unwidersprochenen — Vorwurf erhoben, man habe das Ziel verfehlt und wichtige Systementscheidungen der Bundesverfassung zum beliebig handelbaren Kleingeld gemacht.

Die Rechtsanwaltschaft hält dem Reformvorhaben vor, statt der Lösung des Grundanliegens neue Probleme für die Rechtsuchenden zu schaffen. Und schließlich hat im August der Salzburger Landtagspräsident Helmut Schreiner eine Breitseite gegen die Regierungsvorlage abgefeuert, in dem er sie wörtlich als „Stückwerk“ bezeichnete, das eigentlich keine Lösung der Probleme bringe. Dazu kommt die unüberhörbare Skepsis jener, die die Verfassungsreform erst beschließen müssen und die bereits als eigentliche „Verlierer“ der Reform bezeichnet wurden, nämlich der Nationalratsabgeordneten. Ihnen wird durch die Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung die Möglichkeit genommen, die dem Parlament verantwortlichen Minister hinsichtlich des Vollzugs der vom Nationalrat beschlossenen Gesetze zu kontrollieren.

Es scheint so, daß die Voraussetzungen für eine grundlegende Neuordnung unseres staatlichen Systems derzeit nicht gegeben sind. Dies deshalb, weil es wohl unmöglich ist, inmitten eines tiefgreifenden Wandlungsprozesses Weichen für Bewegungsabläufe zu stellen, die wir in ihren Ursachen und in ihrer Richtung noch viel zu wenig erfaßt haben. Wir dürfen nicht daran Vorbeigehen, daß derzeit in Österreich - und nicht nur hier - ein Umbau der Machtstrukturen erfolgt, der sich ungeplant und mit gewaltiger Eigendynamik in Gang gesetzt hat.

Die Bühne, auf der sich das politische Geschehen abspielt, wurde bisher von der Auseinandersetzung der mächtigen Verbände beherrscht. Parteien und Sozialpartner haben praktisch unangefochten bestimmt - gleichgültig welche Regierungskonstellation gerade galt. Damit wurde aber das natürliche Spannungsfeld zwischen zentralen und regionalen Kräften fast völlig verdrängt.

Am deutlichsten wurde dies durch die geradezu klägliche Rolle des Rundesrates sichtbar. Er lieferte nur eine unnütze Doublette für die politischen Auseinandersetzungen im Nationalrat, statt energisch die

Stimme der

Länder zu erheben - Ausnahmen, wie die Reeinspruchung des Fernwärmeförderungsgesetzes, bestätigen bloß diese Regel. Die Länder wiederum pflegten ihren eigenen Stil der Politik, hüteten sich aber, diesen in die zweite Parlamentskammer einzubringen.

All dies wird sich aber ändern, egal ob die Rundesstaatsreform kommt, oder nicht. Mit größtem Interesse haben wir ja etwa demnächst zu beobachten, welche tatsächlichen Auswirkungen das neue Wahlrecht für den Nationalrat haben wird. Eine wesentliche Absicht der Wahlrechtsreform ist, die Abgeordneten stärker an ihren Wahlkreis zu binden. Damit gelangen wir zu einem für die Erklärung der Föderalismus- Misere entscheidenden Punkt. Obwohl nämlich bisher die Bundesländer (!) mit den Wahlkreisen identisch waren, bedeutete die Wahl eines Politikers in den Nationalrat, daß er von seiner Partei quasi in die Bundespolitik entlassen und von der Landespolitik abgeschrieben wurde.

All dies erklärt die eigentlich absurde Situation, daß die Föderalismusdebatte am Parlament bisher vorbeigegangen ist, obwohl gerade der Volksvertretung die Wahrung regionaler Interessen ein legitimes Anliegen sein müßte. In anderen demokratischen Ländern - etwa in der Schweiz oder in Großbritannien - bedeutet die Nennung des Wahlkreises für jeden Mandatar ein wichtiges Markenzeichen, während man sich bei uns bisher im wesentlichen auf die Angabe seiner Partei beschränkte. Künftig aber wird durch die Vorwahlen und vor allem durch das Votum der Bürger der einzelne Mandatar viel mehr in die Vertretung seines Wahlkreises berufen, welcher noch dazu in überschaubarer, verkleinerter Form festgelegt, aber wiederum ganz wesentlich in ein Bundesland eingefügt ist.

BUNDES- STATT PARTEIENSTAAT

Natürlich wäre ein Nationalparlament, wo nur regionale Interessen aufeinanderprallen, eine Horrorvorstellung. Interessenausgleich ist eine vornehme Aufgabe jedes allgemeinen Vertretungskörpers. Damit es dazu kommen kann, muß aber zunächst das Anliegen der Wahlkreise und damit der Bundesländer im Parlament manifest sein und zwar durch einen selbstbewußten, im Rücken durch die Wähler gestärkten Typ von Abgeordneten, der bisher viel zu wenig repräsentiert war.

Überlegt man dies alles, erschiene es wirklich widersinnig, wenn man die Bundesstaatsreform durch einen Nationalrat gepeitscht hätte, der vor seiner Neuwahl nach einem geänderten, personalisiertem Wahlrecht steht. Es wird vielmehr die neue Volksvertretung bei der Beratung der Verfassungsnovelle sich ernsthaft die Frage stellen müssen, was die Vertretungskörper von Bund und Ländern selbst zur Aufwertung des föderalistischen Prinzips tun können.

Dies mündet in eine andere, mindestens ebenso wichtige Frage: Was hat für den Parlamentarismus in Österreich zu geschehen, der sich im Parteien- und Verbändestaat über Jahrzehnte hinweg mit einem bedauernswerten Schattendasein abfinden mußte? Das bedeutet nicht, daß man das bisherige Verhandlungsergebnis wegschieben sollte. Es muß nur um die genannten Gesichtspunkte angereichert werden. Schlüsselproblem sollte dabei eine Neukonzeption der zweiten Kammer des Parlaments sein. Man sollte ernsthaft überlegen, den Bundesrat nur mehr mit aktiven Abgeordneten der Landtage zu besetzen. Auf diese Weise und mit einem verstärkten Mitwirkungsrecht bei der Gesetzgebung könnte das erfolgen, was man bisher erfolglos anstrebte, nämlich eine Aufwertung dieses Vertretungskörpers. Der kooperative Bundesstaat könnte derart einen lebendigen, sinnvollen Ausdrack finden, weil die künftigen Akteure aus ihrer Aufgabe, mit der sie sich identifizieren, das Notwendige gleichsam selbstverständlich tun würden.. Die Machtverhältriisse würden auf diese Weise höchst sinnvoll in Richtung des Föderalismus verschoben. Denn bei aller Anerkennung der unverzichtbaren Rolle der politischen Parteien wird eine Stärkung des Föderalismus nur dann erfolgreich sein können, wenn wir einen Schritt vom Parteienstaat zum Bundesstaat wagen-

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