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Taten sind nun gefragt

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Unbestrittenermaßen ist in Österreich das bundesstaatliche Prinzip von der Verfassung her ebenso wie in der Realität relativ schwach ausgebildet. Der Ursachen dafür gibt es viele, sie sind hier nicht im einzelnen aufzuzählen. Sicher aber ist, daß die stetige A ushöhlung der Länderzuständigkeiten eine Hauptursache für Unbehagen und Unzufriedenheit darstellt.

Seit Ende der fünfziger Jahre befaßt sich deshalb die Wissenschaft in immer noch zunehmendem Maße mit den damit zusammenhängenden Problemen. Auch die Massenmedien nahmen und nehmen sich vermehrt des Themas an. Gerade in den letzten Monaten wurden in Österreich noch mehr als üblich Bundesstaat und Föderalismus diskutiert.

Anlaß dazu waren und sind neben prägnanten internationalen Entwicklungslinien (so bemühen sich sogar klassisch zentralistisch organisierte Staaten wie Frankreich und Italien um eine „Regionalisierung”) sicherlich jene Bestrebungen, die von der Bürgerinitiative „Pro Vorarlberg” ihren Ausgang genommen haben. Die diesbezüglichen Forderungen waren unbestrittenermaßen sehr weitgehend.

Auf Grund eines breiten Meinungsbildungsprozesses formulierte Fragen, welche ein über das Forderungsprogramm der Bundesländer 1976 hinausgehendes, aber durchaus ausgewogenes Forderungspaket enthielten, wurden den Vorarlberger Bürgern am 15. Juni 1980 tur Abstimmung vorgelegt. Mit fast 70 Prozent der Stimmen haben die Vorarlberger ihren verantwortlichen Organen ein deutliches Mandat erteilt, mit dem Bund Verhandlungen mit dem Ziel der Stärkung der Länder und Gemeinden zu führen.

Nunmehr stellt sich die Frage, wie es mit dem Föderalismus in Österreich weitergehen soll. Daß die Länder und Gemeinden gestärkt werden sollen steht außer Frage. Wie und vor allem, wie weit diese Stärkung gehen soll ist strittig. Im wesentlichen stehen zwei Varianten offen:

Entweder kann man den Ländern und Gemeinden möglichst schnell einige wenige Zugeständnisse machen, um das Problem vom Tisch zu haben, oder es wird eine „große Lösung” angestrebt, welche sicher nicht von heute auf morgen kommen kann.

Die Entscheidung für den einen oder anderen Weg hängt unter anderem entscheidend von der Beurteilung folgender Fragekomplexe ab: Wie steht es mit der parteipolitischen Polarisierung in Sachen Föderalismus?

Handelt es sich beim Föderalismus um ein Thema, das dann gerade gut genug für eine Diskussion ist, wenn es sonst nichts mehr zu bereden gibt, oder um ein in breiten Bevölkerungskreisen verankertes echtes Anliegen?

Die Klärung der ersten Frage ist deshalb wichtig, weil jede Verfassungsreform immer nur durch das Zusammenwirken beider großen Parteien dieses Landes möglich ist. Der Konsens muß also in jedem Falle gesucht und vor allem auch gefunden werden.

Zugegebenermaßen waren „Pro Vorarlberg” (was verständlich scheint), aber auch die Volksabstimmung in Vorarlberg (was bei einigermaßen objektiver Betrachtung weithin überflüssig war) Anlaß für parteipolitischen Schlagabtausch. Aber das ist in einer Mehrparteien-Demokratie nichts anderes als natürlich.

Im übrigen ist dieser etwa von der ORF-Zentrale (anders als von Studio Vorarlberg, dessen Journalisten um eine objektive und ausgewogene Berichterstattung peinlichst bemüht waren) häufig künstlich genährt worden, ledenfalls auch dadurch blieb häufig unbeachtet, daß die Bürgerinitiative „Pro Vorarlberg” von ihren Initiatoren keineswegs für oder gegen eine politische Partei gestartet wurde, sondern für eine Stärkung der Länder - und ein bißchen mehr für Vorarlberg.

Alle Parteien, einschließlich und gerade die Mehrheitspartei im Lande Vorarlberg sollten dadurch vor den Landtagswahlen im Herbst 1979 auf ein starkes Föderalismusengagement festgelegt werden. Da die politischen Parteien insoferne im gleichen Boote saßen und sitzen, dürfen parteipolitische Scharmützel, wie etwa jene des Parteiobmannes der SPÖ, Bruno Kreisky, beim niederösterreichischen SPÖ-Heimattreffen am 15. Juni 1980 (nach seiner Aussage versuchen die Propagandisten in Vorarlberg, Österreich in Verwaltungsbezirke zu teilen, wo jeder „Pascha” spielen könne-was die Vorarlberger Bevölkerung ebenso ablehnt wie die Bevölkerung eines jeden anderen Bundeslandes) nicht allzu ernst genommen werden. Dies zumal unter dem Gesichtspunkt, daß derselbe Bruno Kreisky - dieses Mal allerdings als Bundeskanzler - am nächsten Tag in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage durchaus ausgewogen die zügige Weiterführung der Föderalismuspolitik in Aussicht gestellt hat.

Dieses nunmehr feststellbare, durchaus vernünftige Zurücktreten parteipolitischer Gegensätze in dieser Frage signalisiert auch das deutliche Wort von Bundespräsident Rudolf Kirchschläger bei den 800-Jahr-Feiern des Landes Steiermark. Und es ist schließlich grundgelegt nicht nur im grundsätzlichen Bekenntnis der österreichischen Verfassung zum Bundesstaat, sondern auch in den Parteiprogrammen aller im Nationalrat vertretenen politischen Parteien: Sie alle bekennen sich - wenn auch durchaus unterschiedlich - zum Föderalismus.

Die zweite Frage bezüglich der Stellung der Bevölkerung zum Föderalismus ist dahingehend zu beantworten, daß aus den verschiedensten Ursachen, Gründen und Motiven heraus von einer echten politischen Bewegung auszugehen ist, die allerdings unter verschiedenen Bezeichnungen firmiert. Der politische Nachdruck ist dabei von Bundesland zu Bundesland je anders.

Die grundsätzliche Bejahung des Föderalismus resultiert daraus, daß der Föderalismus nicht nur relativ vordergründige Ziele wie Bürgernähe, Verwaltungsvereinfachung, Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten und Stärkung der Gewaltenteilung bringen kann, sondern eine Humanisierung der Politik, mehr Freiheit für jeden Menschen, mehr Möglichkeit zur Selbstentfaltung und zu selbstverantwortlicher Führung des Lebens eines jeden.

Das Ziel einer Neustrukturierung kann selbstverständlich nicht die Verschiebung von Machtstrukturen von der einen auf eine andere Gebietskörperschaft, von der einen auf die andere politische Partei sein. Sondern das Maß der Neugestaltung muß der Mensch als einzelner und in der Gemeinschaft sein. Deshalb sollte im Interesse aller Österreicher nicht eine kleine, sondern eine größere Föderalismus-Lösung angestrebt werden.

Der Autor ist Universitätsprofessor Tür Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Regierungslehre an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck.

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