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Streben nach lebendigen Kontakt

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Nur wenn man diese alemannische Eigenart demokratischen Denkens mit erwägt, kann man die politische Struktur des Landes und der in ihm wirkenden politischen Parteien von heute verstehen. Sie ist gekennzeichnet durch eben dieses Bemühen aller Mandatare um lebendigen Kontakt mit der Bevölkerung, um Herbeiführung möglichster Konkordanz mit dem vermuteten und auch zwischen den Wahlen erforschten Wählerwillen, aber auch Entschlußfreudigkeit und Hineinhorchen in das eigene Gewissen, wo dieser Wählerwille nur ein Gruppeninteresse verficht. Mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit kann man sagen, daß kein Vorarlberger ÖVP-Politiker vom Typ Ilgs oder Eduard Ulmers (das ist der kluge, ja fast schlaue Landesstatthalter, Landeshauptmannstellvertreter, ein Mann, der auch den Trägern der Wiener Zentralbürokratie gewachsen ist) auf Bundesebene nach der Novemberwahl 1962 voreilig das Scheiden des sozialistischen Außenministers vom Amt, verlangt hätte aber^w^^ne solche Forderung als Conditjo sine qua non, auf gestellt worden wäre, auch dabei geblieben wäre.

Kein selbstherrliches Regime

Untersucht man nun die einzelnen politischen Parteien, so muß mit der ÖVP begonnen werden. Wie benimmt sich die absolute, ja nahezu Zweidrittelmehrheit in einem alemannischen Land? Nicht anders wie auch sonst im alemannischen Bereich, etwa in der Schweiz: Sie regiert und nimmt ihre Chancen kräftig wahr, läßt aber auch die anderen mitarbeiten. Es ist zwar richtig, daß in der Landesregierung so etwas wie ein innerster Kreis die grundlegenden Vorentscheidungen trifft, ein Kreis, der nur aus ÖVP-Mitgliedern besteht (Landeshauptmann, Landesstatthalter, Landesfinanz-referent), und daß auch der nächste, schon weit weniger einflußreichere Personenkreis in der Landesregierung auch noch sozusagen hochkarätig ist, nämlich aus den ÖVP-Landesregie-rungsmitgliedern überhaupt besteht. Erst als dritter, äußerer Kreis der wirklich wichtigen Entscheidungskompetenzen kommt dann die ganze Landesregierung in Betracht, in der auch die anderen Parteien vertreten sind. Aber die ÖVP hat der FPÖ freiwillig, ohne durch das Wahlresultat dazu genötigt zu sein, auch einen Landesrat zugestanden, und keine grundsätzliche Regierungsentscheidung wird gefaßt, ohne daß die gesamte Landesregierung sich damit hätte beschäftigen können. Trotz des zwar (im Gegensatz zu den meisten anderen Landesverfassungen) nicht nach der Landesverfassung, wohl aber in der Praxis bestehenden Parteienproporzes in der Vollzugsgewalt gibt es weder so etwas wie einen Koalitionspakt noch herrschen Parteisekretäre (am ehesten herrschen letztere noch bei der SPÖ, dies aber nur wegen der Gegensätze zwischen zwei feindlichen Gruppen).

Wer so sehr auf starke Mehrheit gestützt regieren kann wie die Vorarlberger ÖVP, gerät natürlich trotz aller Bemühungen um demokratische Basis in die Gefahr, da und dort den vielfältigen Strömungen, auch jenen in der eigenen Partei, manchmal zuwenig Augenmerk zuzuwenden.

Im Jahre 1945 verbitterte man, wie auch sonst in Österreich, die ihrer

Wesensart nach potentiellen ÖVP-An-hänger aus dem Kreis der Mitläufer der NSDAP durch kühle Ablehnung; sie fanden Asyl bei der SPÖ und später teilweise auch beim VdU beziehungsweise der FPÖ. Die Tatsache, daß ein sehr großer Zustrom „inner-österreichischer“ Staatsbürger das Sozialgefüge Vorarlbergs verändert (wir billigen diesen Zustrom in solchem Ausmaß übrigens nicht, da er Österreichs alemannisches Volkstum in verhängnisvoller Weise zu verformen droht), wurde nicht zur Kenntnis genommen, obwohl es sich heute bereits um 30 Prozent det Gesamtbevölkerung von 240.000 Einwohnern handelt. Während in der Zwischenkriegszeit ein Franz Unterberger, also ein „Fremder“, noch Bürgermeister, Landesrat und Nationalrat werden konnte (er war einer der großen christlichsozialen Führer Vorarlbergs), wäre heute so etwas wohl undenkbar. Die Angehörigen dieses so wichtigen Personenkreises werden, obwohl nach einer von katholischer Seite aus angestellten Schätzung, rund.,die. Hälfte davon herkunftsmäßig dem ÖVP-Milietl zugehören, praktisch nur der SPÖ und ein wenig auch der FPÖ - überlassen, die dort ein reiches Angelgebiet vorfinden.

Eine weitere Quelle des Mißvergnügens innerhalb der ÖVP ist auch, daß ein starker Zentralismus — in Vorarlberg mit seinen föderalistischen Gedankengängen auf Bundesebene eher unverständlich — das Eigenleben der Gemeinden (die ja alle „ÖVP-Ge-meinden“ sind, Lustenau und früher einmal auch Hard ausgenommen) eindämmt. Es kann auch nicht übersehen werden, daß die Bauern, also die

Hauptträger der ÖVP in den Landgemeinden, Grund zu Unzufriedenheit haben.

Zentrum und Reformränder

Die ÖVP Vorarlbergs ist aber dennoch ein in sich gefestigter Block. Sie kann es auch deshalb sein, weil ihr nahestehende, aber nicht zugehörige Fachberater auf Landesebene sie klug zu beraten wissen, wobei diese Beratung dem Landeshauptmann vor allem geleistet wird, und zwar in sei-

ner Eigenschaft als Landeshauptmann, Man wird zum Beispiel schwerlich einen versierteren Verfassungs- und Verwaltungsjuristen als den derzeitigen Landesamtsdirektor (Dr. Elmar Grabherr) finden können. Manchmal wird ihm eine Art Superaleman-nentum vorgeworfen, doch wird dabei viel zuwenig bedacht, daß ihn sein Amt dazu geradezu verpflichtet. Wie anderswo auch, ist die Vorarlberger Handelskammer sachberatend eine nie fehlende Stütze der ÖVP-Wirtschafts-politik und macht damit wett, was die Landeslandwirtschaftskammer (ebenfalls institutionell so etwas wie eine ÖVP-Ppmäne) in ihrem Bereich (besonders seit dem letzten Präsidentenwechsel) sich falsch entwickeln“ läßt. Vorarlberg ist zudem das einzige Land, wo die Arbeiterkammer keine reine SPÖ-Domäne ist: Der ÖAAB stellt dort einige ganz erstklassige Fachleute.

Fragt man nach der sogenannten Reformgruppe in der ÖVP, so wird man in Vorarlberg vergeblich eine solche suchen. Ansätze dazu bestehen eigentlich nur in der Person des Rankweiler Bürgermeisters, Doktor Herbert Keßler, dem sehr große Zukunft nachgesagt wird, und des Bundesrats Dr. Hans Pitschmann

(ÖWB). Ansonsten braucht die ÖVP in Vorarlberg keine Reformbewegung (sie hat freilich auch einige betonte „Gegenreformer“ hervorgebracht), denn im wesentlichen sind ihre jahrzehntelang praktizierten Grundsätze eine Vorwegnahme von manchem, was anderswo immer wieder gefordert, aber nicht verwirklicht wird.

Zweimal SPÖ

Die Sozialistische Partei Österreichs ist, wie erwähnt, in Vorarlberg in zwei Gruppen gespalten, von denen die eine gegenüber Wien eine gewisse Eigenständigkeit zu bewahren sucht (NR Dr. H a s e 1 w a n t e r, Landesparteisekretär Peter, Landtagsabgeordneter Paul Peter, Landtagsvizepräsident Pius Moosbrug-g e r), während die andere, die „alte“ Gruppe (Landesrat S c h o d e r, Nationalrat Katzengruber, Arbeiterkammerpräsident Graf) vollkommen auf Wien ausgerichtet ist und auch die ihrer Meinung nach dort zentrierten antiklerikalen Tendenzen durchsetzen möchte. Das mag auch ein Generationenproblem sein. Die jüngeren Sozialisten sind in mancher Hinsicht aufgeschlossener. Einmütig ablehnend ist man gegen aus Wien importierte, proporzbedingt hier wirkende SPÖ-Parteigänger der abgeklungenen Waldbrunner-Sphäre. Wenn man von einigen Ausnahmen absieht, kann man aber sagen, daß sich die Vorarlberger SPÖ mit Eleganz in ihr Schicksal als institutionell zu ewiger Minderheit bestimmter Gruppe zu fügen weiß, sachlich mitarbeitet, wo man es ihr ermöglicht, und in Wien ganz sicher nicht eine Regierungsbildung auch auf die Gefahr einer schweren Staatskrise fünf Monate lang ver-

hindern würde. Ihr ist bisher jedenfalls noch immer das Landesinteresse höher gestanden als Einzelinteressen. In Wien hat sie aber bei ihrer Parteiführung keinerlei Einfluß oder Gewicht. Bei den letzten Nationalratswahlen haben einige ihrer Funktionäre allerdings höchst undemokra-. tische Handlungen begangen, was wohl auf die zu erwartende Niederlage zurückzuführen war (Nervositätsreaktion).

Die SPÖ Vorarlbergs hat sich wie anderwärts auch in den letzten fünfzehn Jahren gegenüber der früheren Sozialdemokratischen Partei grundlegend gewandelt. Der Verfasser dieses Artikels erinnert sich noch, wie Sozialdemokraten unter Führung eine erst vor wenigen Jahren verstorbenen bekannten Politikers ihn und seine Mitschüler unter Begleitung eines Jesuitenpaters bei einem Ausflug der „Stella Matutina“ in der Unteren 111-schlucht mit Steinen bewarfen. Das war in den zwanziger Jahren. Seit 1945 wäre Ähnliches undenkbar. Und es wird heute manchmal den SPÖ-Anhängern von anderer Seite schwergemacht, an die materielle Gleichberechtigung in der Landesdemokratie zu glauben, jedenfalls im Bereich des öffentlichen Dienstes gewisser Dienstzweige, besonders des Schuldienstes. Aber alles in allem gibt es doch keine tiefgreifenden Gegensätze, sicherlich keine, die das Gemeinwohl hinter den Parteinutzen stellen.

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