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Die Jungen rucken nach

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Gleich nach den Anstrengungen der Landtagswahl, die den Parteien manches abverlangte, mußte in der Steiermark bereits für einen weiteren wichtigen Urnengang Vorsorge getroffen werden: für die Gemeinderatswahlen am 25. April. Allerdings werden die Funktionäre in den zentralen Parteisekretariaten nicht sonderlich überanstrengt, denn, so versichert man zumindest von ÖVP-Seite, „die Sache läuft von alleine“. Wenn die Gemeinden tatsächlich die Keimzellen unserer Demokratie seien, dann könne man hoffnungsvoll in die Zukunft blocken: „Die Leute sind mit Feuereifer bei der Sache, und wir müssen nur ab und zu regulierend eingreifen, wenn die Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Gruppen oder Persönlichkeiten zu erbittert geworden sind“, versichert der ÖVP-Landesparteisekretär Dr. Rainer.

Bei den letzten Gemeinderatswahlen am 3. April 1960 gab es in der Steiermark noch 854 Gemeinden. Durch Gemeindezusammenlegungen und Auflösungen ist diese Zahl in den letzten Jahren auf 808 zusammengeschrumpft. Diese Entwicklung ist aber noch nicht abgeschlossen, weil die Tendenz zu den Großgemeinden immer stärker wird. Außer in der Landeshauptstadt wird am 25. April auch in Gnas, in Heiligenkreuz a. W. und in Edelschrott nicht gewählt, so daß die Bewohner von 804 Gemeinden zur Wahl aufgerufen sind.

Bei den Wahlen des Jahres 1960 verteilten 'sich Stimnaen und Mandate wie folgt: ÖVP 238.208 (5700 Mandate), SPÖ 228.790 (2999 Mandate), FPÖ 27.983 (325 Mandate), KPÖ 13.915 (44 Mandate) und sonstige Listen 15.789 Stimmen (317 Mandate).

Derzeit gibt es in der Steiermark 654 ÖVP-Bürgermeister, 167 SPÖ-Gemeindeoberhäupter, sechs von der FPÖ und 27 sonstige Bürgermeister.

Dieses für die ÖVP optisch so günstig wirkende Bild wird durch die Tatsache etwas korrigiert, daß die Sozialisten in den Groß- und Industriegemeinden dominieren: 58 Prozent der Steirer leben in Gemeinden, die von Sozialisten verwaltet werden, nur 41 Prozent wohnen in ÖVP-Gemeinden. Der sozialistische Landesrat Sebastian schlüsselte diese Prozentzahlen jüngst bei einer Konferenz von Gemeindefunktionären auf: „Alle Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern haben sozialistische Bürgermeister, während von 12 Gemeinden, die 5000 bis 10.000 Einwohner haben, sieben sozialistisch sind. Von 32 Gemeinden zwischen 2500 und 5000 Einwohnern werden 24 ebenfalls von Sozialisten verwaltet. In der Steiermark gibt es rund 1,137.000 Einwohner. Von diesen leben 665.000 dn den sozialistischen Gemeinden, während in den von der ÖVP verwalteten Gemeinden nur 472.000 Einwohner leben.“

Die Volkspartei beurteilt ihre Chancen für diese Wahl nicht sonderlich günstig. Allgemein herrscht die Überzeugung vor, man werde am 25. April Stimmen und Bürgermeistersessel einbüßen: „Wenn wir zehn Gemeinden verlieren, sind wir glimpflich davongekommen.“

Gerade bei diesen Wahlen macht das Generationenproblem den Parteien schwer zu schaffen. Besonders die ÖVP leidet darunter. Nach einer bewußt pessimistisch interpretierten Untersuchung sind für die ÖVP 99 Gemeinden gefährdet, „Hoffnungsgemeinden“ gibt es für sie nur 30.

Etwa ein Viertel der Bürgermeister in der Steiermark wird bei diesen Wahlen abgelöst, darunter in so großen Gemeinden wie Bruck, Leoben, Knittelfeld, Kindberg, Bärnbach und Leibnitz. Eine jüngere Generation hält Einzug in die Kommunalpolitik.

Obwohl Gemeinderatswahlen von Landtags- oder Nationalratswahlen grundverschieden sind, weil in der überschaubaren Gemeinde die Persönlichkeit eine entscheidende Rolle spielt, sind die Sozialisten darauf bedacht, einen etwaigen Erfolg ihrer Partei als eine gewisse Korrektur des Landtagswahlergebnisses zu feiern. Oder wie es der sozialistische Landesparteivorsitzende Doktor Schachner-PIazizek formulierte: „Bei den Gemeinderatswahlen ist eine Entscheidung erforderlich, die ein Gegengewicht gegen die politischen Vorzeichen im Lande, gegen die absolute ÖVP-Mehrheit darstellt.“

Und auch die Freiheitlichen, die bei den Landtagswahlen ein Mandat einbüßten, setzen alles daran, diese Scharte auszuwetzen und ihrem guten Ruf als Kommunalpolitiker gerecht zu werden. Mit Befriedigung stellte Landespartei-obmann Dipl.-Ing. Dr. Götz fest, daß es der steirischen FPÖ gelungen sei, rund 200 eigene Listen aufzustellen: „Ich habe das, ehrlich gesagt, nicht erwartet“, sinnierte Dr. Götz, Freiheitlicher Grazer Vizebürgermeister, der nun auch im Landtag sitzt und dort bereits mit der Funktion eines Obmannes des Kontrollausschusses versehen wurde. Womit die ÖVP demonstriert, daß die Partei mit absoluter Mehrheit der Opposition das Gnadenbrot nicht vorenthalten will.

Die Wahlniederlage der Freiheitlichen bei den Landtagswahlen und die Notwendigkeit, die FPÖ-Wähler für die Gemeinderatswahlen wieder etwas in Schwung zu bringen, ver-anlaßte die „Steirischen Nachrichten“, das Organ der FPÖ im Steirer-land, einen aufmunternden Spruch des bekannten Barden Joseph Hieß als Motto auf die erste Seite zu stellen: „Es ist nicht schwer, in guten Tagen das Fahnentuch voranzutragen der stolzen Reihe; erst wenn im Sturm die

zerflattern, zeigt sich die Treue!“ Es handelt sich um die Nummer vom 1. April.

Die nach rechts so offene Politik der steirischen ÖVP wird immer deutlicher zu einer Existenzfrage für die Freiheitlichen in der „Grünen Mark“. Götz führte bittere Klage über „jene Nationale, die glauben, ihre nationale Gesinnung in freiheitlichen Verbänden, Turnvereinen, Verbindungen und Korporationen unter Beweis stellen zu müssen, am Wahltag sich jedoch für die ÖVP entscheiden“. Er meint, diese Leute hätten nicht begriffen, daß mit dem Nichtvorhandensein der FPÖ auch diese Verbände langsam und sicher der Liquidation entgegengingen: „Im tiefsten Keller Soldatenlieder zu singen, ist kein Beweis nationaler Gesinnung“, wetterte Götz.

Am Sonntag, 4. April, war der gesetzlich festgelegte Endtermin für die Einbringung der Wahlvorschläge. Rund 2000 Wahlvorschläge mit etwa 20.000 Bewerbern wurden eingereicht. Nebten den eindeutig deklarierten Parteilisten gibt es auch mehr als 40 „gemischte“ Listen, die unter dem Namen „Heimatliste“ oder „Wirtschaftsliste“ aufscheinen und von denen meist nur die Einheimischen oder die Parteifunktionäre wissen, welche Gruppe oder welche Partei eigentlich den Ausschlag gibt.

Still geworden ist es in der Steiermark wieder um den „Volksbürgermeister“. Bei dieser geplanten Neuerung ginge es darum, daß die steirischen Bürgermeister nicht mehr durch den Gemeinderat und auch nicht mehr aus diesem heraus gewählt werden, sondern zugleich mit der Gemeindevertretung nur noch von den wahlberechtigten Bürgern der Gemeinde. Landeshauptmann Kratner war mit dem Gedanken des Volksbürgermeisters bei einer Reise nach Bayern vertraut gemacht worden und hatte sich davon sehr begeistert gezeigt. Sondierungen in den Gemeinden führten zu zwiespältigen Reaktionen: einerseits große Begeisterung, anderseits skeptische Zurückhaltung. Es bedarf wahrscheinlich einer längeren Vorbereitungszeit, Gemeindefunktionäre und reservierte Parteienvertreter vom Sinn einer direkten Wahl des Bürgermeisters durch das Volk zu überzeugen. Ohne Zweifel wäre dadurch eine Intensivierung des demokratischen Lebens von unten her möglich. Gegner wenden ein, daß mit dem Volksbürgermeister die Demagogie in stärkerem Maß als bisher in die Kommunalpolitik Eingang finden könne, daß die Gefahr bestehe, „Blender“ könnten sich an die Spitze der Gemeinde schwindeln. Wie dem auch sei, das Projekt verdient Interesse.

Konkretere Formen hat dagegen die Absicht angenommen, den Bürgermeister nicht nur aus der Mitte des Gemeinderates zu wählen, sondern die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß auch ein Außenstehender gewählt werden kann. Dieser Vorschlag tauchte im Verlauf der Arbeiten an der Neufassung der aus dem Jahre 1959 stammenden Steirischen Gemeindeordnung auf. Die neue Gemeindeordnung soll am 1. Jänner 1966 in Kraft treten. Am grundsätzlichen Konzept der Gemeindeordnung, die zu den fortschrittlichsten Österreichs gehört, wird sich allerdings wenig ändern. Neben der Möglichkeit der „Außen-seiter“-Bürgermeisterwahl, die derzeit diskutiert wird, erwägt man noch die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß nicht nur der Bürgermeister, sondern auch der Gemeindekassier mit Zweidrittelmehrheit seines Amtes enthoben werden kann.

Bei der Vielschichtigkeit kommunaler Probleme und der manchmal verwirrenden Vielfalt entscheidender Komponenten, die oft ausschließlich im Bereich des Persönlichen liegen, ist eine Prognose zum Ausgang der Wahl schwierig zu stellen. Leichte bis mittlere Verluste der ÖVP wären möglich, aber zu einem „Erdrutsch“ wird es sicher nicht kommen. Schlußfolgerung des sozialistischen Landesrates Hans Bammer nach einem Überblick auf die Situation: „Viel wird sich nicht ändern.“

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