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Wirklich schon ein Pendelschlag?

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Der FPÖ-Parteiobmann Peter hält sich an die Fliegersprache — ÖVP-Parteiobmann Schleinzer ist eher infanteristisch: aber beide wollen nach dem vergangenen Sonntag Väter eines Sieges sein, der den „Höhenflug des Bundeskanzlers“ unterbricht und den „sozialistischen Vormarsch eindeutig stoppt“. Im Burgenland und in der Stadt Salzburg spricht einiges dafür, daß „repräsentative Samples“ (siehe „Furche“ Nr. 41/72) für ganz Österreich zur Urne gingen: im Burgenland eine ostösterreichisch-agrarische Bevölkerung, in Salzburg eine west-österreichisch-urbane.

Rund eineinhalb Prozent einer Viertelmillion Österreicher wählten nicht mehr SPÖ — angesichts stabiler Zustände in diesem Land schon eine kleine Sensation. Allerdings wählten sie nicht unbedingt die größere Opposition: vielmehr wanderte mehr als ein Prozent zur kleinen FPÖ, weniger zur ÖVP.

Die Deutung dieses Vorgangs als Maßstab für bundespolitische Verschiebungen würde die SPÖ heute die absolute Mehrheit kosten — wenn, ja wenn diese Wahlen Nationalratswahlen gewesen wären und sich alle Österreicher so wie die Salzburger und Burgenländer verhalten hätten.

Da dies aber nicht der Fall ist, erübrigen sich eigentlich alle weiteren Spekulationen, die für die Opposition jedenfalls nur als Opium wirken könnten: denn über die Zusammensetzung des Nationalrats entscheidet man 1975.

Das mag tatsächlich ja auch die Grundeinstellung der SPÖ sein, die bereits heute die höchsten Preissteigerungen, die Mehrwertsteuer und belastende Verpflichtungen für die Bevölkerung verordnet — hoffend darauf, daß später noch einiges an Geschenken und Versprechungen erfüllbar ist.

Diese verlockende Mehrphasentheorie hat den Schönheitsfehler, daß das allerdings auch die Maxime war, unter der das erste und auch zweite Amtsjahr der Regierung Klaus ablief — für die die Salzburger Gemeinderatswahlen 1967 auch so etwas wie einen Test bildeten —

— allerdings hatte damals die SPÖ mehr als sieben Prozent gewonnen — die ÖVP heute aber nur rund eineinhalb Prozent.

Die Tendenz ist damit schon abgesteckt: ein so rasches Tempo des Aufschwungs kann die Volkspartei keineswegs aus dem Resultat vom vergangenen Sonntag herauslesen — und tut das angesichts des Zustandes der Partei auch nicht. Denn bei alledem muß man ja auch registrieren, daß ehemals sozialistische Wähler offenbar eher zur kleinen, als zur großen Oppositionspartei wechselten

— was man böswillig so deuten könnte, daß offenbar die FPÖ eine respektablere und attraktivere Oppositionspolitik betreibt als die ÖVP.

Diese Grobdeutung verstärkt sich in ihrer Tendenz, wenn man immerhin auch in Salzburg festhalten muß, daß die Wahlbeteiligung um ganze acht Prozent absank! Daß also offenbar ebenfalls die (auch von der Meinungsforschung kürzlich als Entscheidungsverweigerung registrierte) Unsicherheit gewachsen ist, die erfahrungsgemäß vor allem stärkere Wirkungen auf ÖVP-nahe Wählerschichten besitzt.

Man würde das Wahlergebnis jedenfalls falsch deuten, würde man der SPÖ raten, in Zeitangst oder auch nur Nervosität zu verfallen. Denn das Phänomen, daß eine Regierung, die mit den höchsten Preissteigerungen seit Jahren, mit den energischesten gesellschaftspolitischen Reformen und mit einer beträchtlichen Verunsicherung aufwartet, dennoch nur so geringfügig verliert (im Burgenland sogar noch absolut Stimmen gewinnt), ist das eigentlich Bemerkenswerte dieses Oktobersonntags.

Dieses Phänomen also verdient eine Deutung und eine Erklärung. Oder ist der Wähler eben noch nicht so weit, wächst vorläufig noch die Unsicherheit, muß man erst abwarten, ob sich der Trend bestätigt — etwa im Frühjahr 1973, wenn Graz wählt oder im Herbst 1973, wenn die Oberösterreicher wählen?

Vorläufig ist freilich das, was an täglicher Politik produziert wird, viel handgreiflicher und verdient Vorzug in der Beachtung. So wird die Tendenz der SPÖ etwa, zwischen den „Ganglien“ der ÖVP zu bohren und die schwachen Stellen zwischen den Bünden zu bearbeiten, nunmehr nicht schwächer, sondern stärker werden. Und das Tempo auf der „Durststrecke“ wird sich durch eine Anheizung der Inflation (siehe Seite 4) höchstens erhöhen — nicht verlangsamen.

Die Stilisierung der FPÖ zum großen Wahlsieger mag der Augenblickseuphorie und auch dem entscheidenden Mandat im Burgenland zuzurechnen sein. Langfristig dürfte allerdings die FPÖ nicht jene Kraft sein, mit der die ÖVP die heutige Regierungspartei aus dem Sattel heben kann. Es ist eine Utopie, wenn heute in ÖVP-Kreisen bereits von einer schwarz-blauen Allianz geredet wird — so als ob etil Jahr auf gemeinsamen Oppositionsbänken allein schon politische Gemeinschaften möglich machen würde. Tatsache ist vielmehr, daß die FPÖ nur das Zünglein an der Waage spielen will, im entscheidenden Augenblick aber selbstverständlich das Oppositionsangebot verläßt und jede Aufwertung zum kleinen bürgerlichen Partner einer SPÖ-Regierung mitmacht. Das aber heißt vorläufig: abwarten.

Die Spekulation der großen Oppositionspartei ;,ä la baisse“ kann nur insoferne realistisch sein, als sie selbst den Zeitplan nicht beeinflussen kann. Sie ist gebunden an das rasche Tempo, das ihr Bruno Kreisky und seine Regierungspartei vorlegen. Ansonsten aber bleibt der ÖVP keinesfalls erspart, ihre Selbstreinigung, Erneuerung und Verbesserung der Effektivität voranzutreiben. Man wird nicht auf den rechten Pendelschlag hoffen dürfen, wenn man die Uhr falsch aufzieht. Was sich schon am kommenden ÖVP-Bundespartei-tag Ende November in just jener Stadt zeigen wird, die nunmehr eine gute Ernte für die nicht eben erfolgsgewöhnte Formation um Karl Schleinzer heimbrachte.

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