Klärende Gewitter statt Sintflut

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Alle reden von den Nachteilen der ÖVP-FPÖ-Koalition, aber die Krise birgt auch viele Chancen.

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Alle reden von den Nachteilen der ÖVP-FPÖ-Koalition, aber die Krise birgt auch viele Chancen.

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Er wollte mit der ÖVP Nummer 1 in Österreich und Bundeskanzler werden. Tatsächlich führte er die Volkspartei nur auf Rang 3, aber sein zweites Ziel hat Wolfgang Schüssel trotzdem geschafft. Er ist Bundeskanzler, während für seine Mitbewerber Viktor Klima und Jörg Haider schon Nachfolger als Parteiführer designiert sind. Von Klima ist kein Comeback zu erwarten, daß in der FPÖ noch mit einer Haider-Rückkehr auf Bundes- ebene spekuliert wird, zeugt nur von Realitätsverlust: Mit einem Bierzelt-Entertainer ist im Europa von morgen kein Staat zu machen.

Mit der Aschermittwoch-Rede des Noch-FPÖ-Obmannes ist der politische Fasching in Österreich endgültig zu Ende gegangen. Es wäre höchste Zeit, zur Vernunft und zum Augenmaß zurückzukehren. Was ist wirklich passiert? Und liegen in der gegenwärtigen Krise nicht Chancen, die sich sonst nicht, oder erst in einigen Jahren, geboten hätten?

Die rot-schwarze Koalition ist zu Ende gegangen. Daß das Ende fällig war, hat nicht zuletzt die folgende Polarisierung gezeigt. Da konnten zwei absolut nicht mehr miteinander, und hätten sie doch weitergemacht, wäre bald die FPÖ die Nummer 1 geworden. Mit großer Wahrscheinlichkeit hätte sie das sogar schon jetzt im Frühjahr 2000 erreicht, wären gleich nach dem Scheitern der SPÖ-ÖVP-Verhandlungen Neuwahlen ausgeschrieben worden.

Daß Wolfgang Schüssel Ende Jänner den Stier bei den Hörnern packte und, trotz des massiven Druckes der anderen EU-Länder, mit der FPÖ die Regierung bildete, spaltet die Nation. Die Propaganda der neuen Opposition und ein Teil der Medien deuten dieses Vorgehen ausschließlich als Akt maßlosen Ehrgeizes, andere sehen darin einen logischen Schritt der ÖVP, um Neuwahlen zu vermeiden, möglichst viel vom eigenen Programm zu verwirklichen und die FPÖ am weiteren Höhenflug zu hindern. Welcher Variante man mehr zuneigt, ist Glaubenssache. Jedenfalls repräsentieren Österreichs Regierungsparteien fast 54 Prozent der Wähler, während soeben in Spanien Jose Maria Aznar mit lediglich 44,5 Prozent Wähleranteil eine absolute Mehrheit schaffte. Unser Verhältniswahlrecht hat seine Tücken, aber ein Vorteil ist, daß die Regierung stärker demokratisch legitimiert ist als in anderen Ländern.

Den offenkundigen Wortbruch gegenüber der Ankündigung im Wahlkampf, als Dritter in Opposition zu gehen, machen viele der ÖVP und Schüssel persönlich zum Vorwurf, pikanterweise vor allem die, die einen solchen Wortbruch im Falle einer neuerlichen SPÖ-ÖVP-Koalition durchaus akzeptabel gefunden hätten. Auch daß damit Sanktionen der 14 anderen EU-Staaten in Kauf genommen wurden, kreiden viele ausschließlich Schüssel an. Aber mußte nicht gerade auch die SPÖ um diese Gefahr bestens Bescheid wissen? Und ließ sie nicht durch das Abbrechen ihrer Gespräche mit der ÖVP Schüssel ins offene Messer rennen? Auch hier sind zwei Sichtweisen möglich.

Nun aber ist das Schreckliche passiert - die FPÖ ist in der Regierung, das Ausland hat über uns Quarantäne verhängt, Dauerdemonstranten im Inland wollen die Regierung stürzen. Der jetzige Ruf nach Neuwahlen, bei denen SPÖ und Grüne glauben, sich Hoffnungen auf eine Mehrheit machen zu dürfen, erfolgt bereits in eine neue, nur durch die Entwicklung der letzten Wochen erklärbare Situation. Das hängt mit der EU zusammen, aber auch mit dem Widerstand, auf den die neue Regierung mit vielen ihrer - teils wirklich recht unausgegorenen - Pläne stößt.

Auch wenn derzeit absolut kein Anlaß zur Zufriedenheit besteht - sollten wir nicht anderseits froh sein, daß wir jetzt einige klärende Gewitter erleben, während sonst vielleicht in ein paar Jahren eine wahre Sintflut an Problemen über uns hereingebrochen wäre? Eröffnen sich nicht zunächst Österreichs Parteien neue Perspektiven?

Muß nicht die SPÖ froh sein, daß sie jetzt zur längst fälligen Erneuerung gezwungen wurde, daß sie diese bisher ohne eine drohende Spaltung in einen Schlögl- und einen Einem-Flügel überstanden hat? Daß jetzt andere den nötigen Sparkurs verantworten müssen und sie als Anwalt gegen Sozialabbau auftreten kann?

Dürfen sich nicht die Grünen über die besten Umfragewerte in ihrer Geschichte freuen? Hätten nicht die Liberalen angesichts einer anderen Regierung resignieren müssen, während ihr neuer Spitzenmann Christian Köck nun auf Stimmen unzufriedener ÖVP- oder FPÖ-Wähler hoffen darf?

Sind eine ÖVP, die den Kanzler stellt, und eine FPÖ, die in der Regierung sitzt, nicht zunächst am Ziel ihrer Wünsche? Jetzt müssen sie zeigen, was sie können, wobei sie freilich, angefeindet von innen und außen, mit Mißtrauensvorschüssen von allen Seiten, weit weniger Spielraum als erhofft besitzen.

Wenn man die Entwicklung der EU zu einer Wertegemeinschaft bejaht, ist auch eine maßvolle Einmischung in die Innenpolitik einzelner Länder zu begrüßen. Statt überzogener Sanktionen, die in manchen Ländern ein Klima erzeugen, das sich gegen alle Österreicher richtet, wären jedoch ein Ausbau der Demokratie in der EU und Konsens über die Behandlung wirklich oder vermeintlich extremer Parteien anzustreben. Man darf auch den Umstand durchaus positiv sehen, daß jetzt Schwachstellen am Haus Europa sichtbar werden, die man noch ausbessern kann, ehe das Haus fertig eingerichtet und von noch mehr verschiedenartigen Leuten bewohnt ist.

Vor allem aber ist erfreulich, daß nun die FPÖ als Regierungspartei auf dem Prüfstand steht. In Brüssel wurde jüngst angedeutet, eine Aufhebung der Sanktionen wäre im Falle einer sichtlich geläuterten FPÖ denkbar. Deren Regierungsmitglieder werden demnach, was derzeit nur einzelnen zuzutrauen ist, erstens Leistungen vorweisen und zweitens in absehbarer Zeit klarstellen müssen, daß sie einen Mann wie Jörg Haider, der sich als unbelehrbarer Sprücheklopfer erwiesen hat, nicht noch einmal ans Ruder lassen. Nicht nur gegenüber dem Ausland, auch im Inland wäre das ein wahrer Befreiungsschlag.

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