Jetzt geht es nicht mehr

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Von einem der auszog, Kanzler zu werden und Jörg Haider in die Schranken zu weisen: Wolfgang Schüssel hat hoch gepokert, ist - vorerst - gescheitert und hat mit Anstand und Würde einen Schlussstrich gezogen.

Wenn die EU-Erweiterung, dieses "Herzstück" der Regierungszusammenarbeit, vom Koalitionspartner in Frage gestellt werde, "dann geht es nicht mehr". So sprach Wolfgang Schüssel vor einiger Zeit. Klare Worte an die Adresse der mitregierenden FPÖ, wie sie sich so viele in diesem Land - beileibe nicht nur Schüssels Gegner - öfter vom Kanzler gewünscht hätten.

Nun ist offenkundig der Zeitpunkt gekommen - jetzt geht es eben nicht mehr. Warum genau, ist eigentlich sekundär: was rund um Knittelfeld passiert ist, was schlussendlich den Ausschlag für den Rückzug von Riess-Passer, Grasser und Westenthaler und die darauf folgende Neuwahl-Ankündigung von Schüssel gegeben hat. Der Schnitt hätte auch schon früher kommen können - oder er wäre mit Sicherheit später notwendig geworden. Denn in Wahrheit ging es - im Sinne Schüssels - nie: Nicht weil die Regierung nichts zustande gebracht hätte, sondern weil das "Herzstück" EU-Erweiterung, aber auch all die anderen - teils erledigten, teils noch offenen - Reformen von allem Anfang an zur Disposition standen: weil nämlich Jörg Haider zwar meinetwegen jederzeit ein Koalitionsprogramm samt Präambel unterzeichnet, es in seinem Innersten aber bereits zur Makulatur erklärt, bevor die Tinte noch trocken ist.

Das ist die strukturelle Seite des im Umfeld des EU-Weisenberichts vielbeschworenen "Wesens" der FPÖ - der eine inhaltliche entspricht: Zweifellos vertreten zumindest wesentliche Teile der FPÖ Positionen, die mit jenen einer bürgerlich-liberalen, christlich geprägten Partei nicht kompatibel sind. Eben deshalb aber trug diese Regierung von Anfang an tatsächlich den Todeskeim in sich.

Wolfgang Schüssel hat das natürlich gewusst. Hätte er deswegen den Pakt nicht schließen dürfen? Doch - ungeachtet der zwar verständlichen aber trotzdem dummen Ansage im Wahlkampf, auf die Oppositionsbank zu wechseln, sollte die VP nur drittstärkste Kraft werden. Denn es gab keine sinnvolle und realistische Alternative: Solches wäre eine SP-Minderheitsregierung unter einem schon schwer angeschlagenen, ohnedies überforderten Viktor Klima ebensowenig gewesen, wie ein dubioses Expertenkabinett; und dass Rot-Blau besonderen Charme gehabt hätte, wird auch niemand behaupten wollen. Im übrigen musste man damit rechnen, dass die FPÖ nach einer weiteren Legislaturperiode in Opposition nochmals kräftig zulegen würde. Jörg Haider selbst hat das offenbar nicht geglaubt, weswegen er ja den Regierungseintritt - entgegen der Meinung vieler anderer in der Partei - angestrebt hat; aber das ändert nichts an der damaligen hohen Plausibilität dieses Szenarios. So musste sich Schüssel an die äußerst vage Hoffnung klammern, Haider ließe sich marginalisieren, und die FPÖ könnte zu einer "normalen" rechtsliberalen Partei mutieren.

Staatsmann - Funktionär

Es war gleichwohl ein hohes Risiko, das Schüssel da einging - und indem er das tat, verknüpfte er sein politisches Schicksal mit dem Gelingen des Experiments. Nun hat er aus guten Gründen die Notbremse gezogen: Wie er es tat, wie er vor die Öffentlichkeit trat und das Ende der VP/FP-Zusammenarbeit bekannt gab, nötigte Respekt ab: Da zog einer, mit klaren Worten, entschlossen, ohne Schönfärbereien und Wehleidigkeiten, einen Schlussstrich - ein Abgang mit Anstand und Würde.

Nicht immer hat Schüssel solches Format gezeigt. Seine Abgehobenheit, die er selbst als "Gelassenheit" auslegte, sein zwischen Arroganz und Paternalismus schwankender Umgang mit Journalisten, also mit der Öffentlichkeit - all das passte nicht so recht zum Staatsmann, eher zum Funktionär, der sich durch die Gremien bis an die Spitze gedient hatte. Und es ließ immer wieder Erinnerungen an die peinlich-hemdsärmelige Handhabung der Amsterdamer Frühstücksaffäre wach werden...

Demgegenüber steht, dass die Regierung unter seiner Führung einige Schritte in die richtige Richtung gesetzt hat - beim Budget, bei den Pensionen, im Rundfunkbereich, in der Entschädigungsfrage. Vieles davon blieb freilich - wohl nicht nur wegen des Störfeuers aus Kärnten - im Ansatz stecken oder verkam überhaupt zur Farce, wie die "Neuordnung" des Hauptverbandes der Sozialversicherungen.

Nun stehen also Neuwahlen ins Haus. Man sieht ein, dass es nicht anders ging, weiß freilich nicht recht, was denn da am Ende des Tages herauskommen soll. Selbst wenn Schüssel das Unwahrscheinliche gelänge, die Nummer eins zu werden, wird er einen Partner brauchen. Wer sollte das sein? "Kein rot-grünes Experiment!" hat Hans Dichand via sein Organ Kronen Zeitung am Dienstag bereits verordnet. Aber Dichands Verordnungen sind - unter anderem dank Wolfgang Schüssel - auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Gut möglich also, dass Rot-Grün kommt. Und wenn auch das nach vier Jahren entzaubert sein sollte? Dann stünden wir wieder vor der Situation, dass die einzige diesem Land angemessene Regierungsform eine SP/VP-Koalition ist - quod erat demonstrandum.

Robert Menasse kann dann seine Essays und Kommentare aus den neunziger Jahren wieder aus dem Stehsatz holen.

rudolf.mitloehner@furche.at

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