Kein Ausweg in Sicht

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Was sollen wir uns wünschen? Eine Neuauflage von Rot-Schwarz oder die FPÖ im Kabinett? Wären Neuwahlen ein Ausweg?

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Was sollen wir uns wünschen? Eine Neuauflage von Rot-Schwarz oder die FPÖ im Kabinett? Wären Neuwahlen ein Ausweg?

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Wenn der Schein nicht trügt, so wird Österreich mit einer Übergangsregierung ins Jahr 2000 gehen. Seit das Endergebnis der Nationalratswahl vom 3. Oktober feststeht, finden zwar ständig Gespräche zwischen den Parlamentsparteien statt, aber an der verfahrenen Situation punkto Regierungsbildung hat sich nichts geändert: Soll ein Kabinett zustandekommen, das sich auf eine parlamentarische Mehrheit stützen kann, müßte entweder die SPÖ oder die ÖVP wortbrüchig werden. Denn die ÖVP hat sich vor der Wahl für den Fall des dritten Platzes auf den Gang in die Opposition festgelegt, und die SPÖ hat dezidiert ausgeschlossen, mit der FPÖ zu regieren.

Bundespräsident Thomas Klestil ist sich der schwierigen Situation bewußt. Darum ist noch nicht formell der übliche Auftrag zur Regierungsbildung an den Obmann der mandatsstärksten Partei, der SPÖ, erfolgt. Bundeskanzler Viktor Klima führt vorläufig nur Sondierungsgespräche, von Regierungsverhandlungen ist - zumindest offiziell - keine Rede. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel, jetzt auch ÖVP-Klubobmann, aber immer noch Vizekanzler und Außenminister, setzt auf offene Zukunftsgespräche zu Sachthemen, seine Partei gibt sich entschlossen, der weithin nur als Manöver betrachteten "Weichenstellung in Richtung Opposition" tatsächlich den Rückzug aus der Regierung folgen zu lassen. Aber wer soll dann die ÖVP-Posten im Kabinett übernehmen, wenn die SPÖ nicht mit der FPÖ - deren Führer Jörg Haider gar nicht erpicht auf eine Regierungsbeteiligung wirkt - koalieren will und mit einer Minderheitsregierung sehr rasch zum Scheitern verurteilt wäre?

Die SPÖ wirkt wie ein Auto in der Wüste, dem der Treibstoff - und vielleicht auch der richtige Chauffeur - fehlt. Natürlich bleibt den Sozialdemokraten, wenn sie den Regierungsauftrag bekommen und umsetzen wollen, in dieser Lage gar nichts anderes übrig, als eifrig die ÖVP zu umwerben. Natürlich will auch die ÖVP regieren, und natürlich rechnet sie, wenn überhaupt, nur mit einer kurzen Phase der Opposition. Und natürlich wäre es der großen Mehrheit lieb, würde es rasch wieder zu einer rot-schwarzen Koalition kommen. Die SPÖ könnte wieder den Kanzler stellen. FPÖ und Grüne könnten sich weiter als rechte und als linke Opposition profilieren - was ihnen ohnehin angenehmer als eine Regierungsbeteiligung ist. Und die ÖVP? Sie dürfte sich in einer Regierung mit einer geschwächten SPÖ viel mehr Einfluß erwarten. Steht es also wegen 415 Stimmen, die der ÖVP auf Platz zwei gefehlt haben, dafür, die Regierungsbildung platzen zu lassen?

Fest steht aber auch: Die Koalition alten Stils wurde abgewählt. SPÖ und ÖVP haben ihr jeweils schlechtestes Ergebnis in der Zweiten Republik eingefahren. Wenn sie so weitermachen wie bisher, ist Jörg Haider demnächst die Nummer eins in Österreich. Dagegen gibt es im Grunde nur zwei mögliche Rezepte: Man macht entweder nicht so weiter wie bisher, oder man holt Haider, solange er nur Zweiter ist, in die Regierung und hofft, daß die FPÖ dabei entzaubert wird. Letzteres ist in der gegenwärtigen Konstellation unwahrscheinlich - zumal Haider sicher lieber außerhalb der Regierung auf seine Chance wartet, Kanzler zu werden; es wäre zudem riskant und würde Österreichs Ansehen im Ausland schaden, ein Umstand, den man nicht sofort mit dem naheliegenden "Jetzt erst recht!" beiseite schieben sollte. Ob das erstere - eine neue, bessere SPÖ-ÖVP-Kooperation - gelingen kann, ist, in beiden Bedeutungen des Wortes, eine "Klima-Frage": Es kommt, um einen SPÖ-Slogan aufzugreifen, auf den künftigen Kanzler und die Form der Partnerschaft an. Dies bedarf aber tatsächlich, hier ist der ÖVP recht zu geben, eines längeren Nachdenkprozesses. Fristsetzungen sind nötig, aber aggressive Ultimaten oder auch zu massiver Druck des Bundespräsidenten wenig hilfreich.

Es erscheint nicht absolut undenkbar, daß die ÖVP doch in eine Regierung eintritt. Aber, und das hat Wolfgang Schüssel begriffen, die Partei kann nur dann wieder zulegen, wenn sie Stärke zeigt und unter ganz anderen Vorzeichen als bisher mitregiert, nämlich wenn sie die ihr wesentlichen Inhalte (Stichworte: Familie, Sicherheit, Wirtschaft, Bildung) nach ihren programmatischen Vorstellungen gestalten und durchsetzen kann. Zeichnet sich das nicht ab, sind Neuwahlen oder zunächst, als Übergangslösung, eine vom Bundespräsidenten eingesetzte Experten-Regierung oder ein Minderheitskabinett die logische Konsequenz.

Daß man mit Neuwahlen rechnet, zeigt die Fortsetzung des Wahlkampfes bei allen möglichen TV-Auftritten der Politiker. Die Schuld an Neuwahlen wird keiner tragen wollen, aber in Kauf nehmen sie alle, am liebsten sicher die FPÖ, die noch mehr Zuspruch erwartet, gefolgt von den ebenfalls aussichtsreichen Grünen und den Liberalen, die - mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vergeblich - den Wiedereinzug ins Parlament anstreben. Riskant wird es für die ÖVP, die so tut, als habe sie als nunmehr Dritter ohnehin nichts mehr zu verlieren: Ihr kann blühen, daß sie gegenüber den Kontrahenten deutlich zurückfällt, anderseits hat sie die vage Chance, mit Hilfe jener gar nicht wenigen Wähler, die sehen, daß ein Wechsel unvermeidlich wird und dann immer noch lieber einen schwarzen als einen blauen Kanzler haben wollen, das nächste Mal knapp vor den Freiheitlichen zu landen.

Für Neuwahlen spricht, daß sie den bisherigen Regierungsparteien einen Wortbruch ersparen, dagegen, daß sie vielleicht die Pattstellung der Oktober-Wahlen nur bekräftigen. Und was dann? Am meisten muß sicher die SPÖ Neuwahlen fürchten. Daß ihr die Kanzlerschaft einmal abhanden kommt, ist ein Naturgesetz der Demokratie. Nur der Aufstieg Jörg Haiders hat den Wechsel verzögert, aber er muß eines Tages kommen. Ob zu Blau oder zu Schwarz, das wird vielleicht schon bald das Volk zu entscheiden haben.

Wahrscheinlich zeigten aber auch Neuwahlen, sofern sie keinen Erdrutsch in eine Richtung bringen, einen Ausweg aus dem Dilemma, in dem sich die österreichische Innenpolitik befindet: Rot-schwarz, solange es nur irgendwie geht, oder doch die FPÖ in der Regierung? Ein Ausweg wäre nur ein glaubhafter Wandel der FPÖ von einer selbsternannten Partei "der Anständigen und Fleißigen" zu einer anständigen und fleißigen Partei.

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