Ein neuer Alptraum?

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Obwohl heute vieles anders ist, lohnt sich ein Erinnern an das Österreich der dreißiger Jahre.

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Obwohl heute vieles anders ist, lohnt sich ein Erinnern an das Österreich der dreißiger Jahre.

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Alles ist anders als in den frühen dreißiger Jahren. Österreich steht nicht am Rand einer wirtschaftlichen Katastrophe. Doch Erinnerungsfetzen aus dem kollektiven Gedächtnis wehen herüber. Eine Partei, welche die Teilnahme an einer Regierung verweigerte - hatten wir das nicht schon? Damals waren es die Sozialdemokraten, die in der Opposition verharrten. Sie waren mit 72 der insgesamt 165 Sitze die stärkste Partei, als sie am 3. Oktober 1931 den Eintritt in die Regierung ablehnten. Zwei Wochen vorher hatte freilich in der Steiermark die Heimwehr geputscht. Die Sozialdemokraten hatten gute Gründe, dem Angebot einiger Ministerämter zu mißtrauen.

1999 scharren keine Putschisten in den Startlöchern. Heute ist wirklich alles anders. Trotzdem ist es wichtig, sich an solche Parallelen zu erinnern. Denn manche Schatten an der Wand kommen uns trotz allem verdächtig bekannt vor. Die Schreckgespenster von damals waren die Weltwirtschaftskrise und die Nationalsozialisten, die man keinesfalls in einem Atem mit den Freiheitlichen nennen darf. Es sei denn, um daran zu erinnern, daß die FPÖ nicht der Rechtsnachfolger des VdU, sehr wohl aber der Universalerbe seiner Stimmen ist. Der VdU (Verband der Unabhängigen) war nach dem zweiten Weltkrieg das Sammelbecken der alten Nazis. Und diese Kernschichten waren es, die Jörg Haider zum Führer der Partei machten.

Als Engelbert Dollfuß im Mai 1932 bei der Regierungsbildung zu scheitern drohte, legte ihm Bundespräsident Miklas ein Kabinett von Persönlichkeiten ohne Rücksicht auf Parteizugehörigkeiten nahe (das nicht zustandekam). Heute ist wirklich alles anders: Heute redet schon ein Parteiführer selbst von einem "Kabinett der besten Köpfe".

1930 hatten die Nationalsozialisten derart schlecht abgeschnitten, daß sie nur noch unter "übrige Parteien" aufschienen. Sie holten aber in Landtags- und Gemeindewahlen so rasant auf, daß sie im Frühjahr 1932 den Christlichsozialen im Wiener Gemeinderat 15 Sitze abnahmen. Umfragen deuteten darauf hin, daß die Christlichsozialen bei Nationalratswahlen eine vernichtende Niederlage erlitten hätten. Grund: die Weltwirtschaftskrise.

Heute leben wir in einer fest eingewurzelten Demokratie. Heute wandelt sich kein braver Demokrat (auch seine Gegner bescheinigen dem Christlichsozialen Dollfuß, daß er dies am Beginn seiner Kanzlerschaft war) über Nacht zum Diktator, weil die drei Präsidenten des Nationalrats hintereinander ihren Rücktritt erklärt haben. Nicht in EU-Europa. Vor einer Weltwirtschaftskrise sind wir nicht ganz so sicher.

Dollfuß wandte sich im Mai 1932 erst gar nicht an die Sozialdemokraten. Jeder wußte, daß ein Teil von ihnen nichts mehr wünschte als den Eintritt in eine Koalition. Jeder wußte aber auch, daß sich der dominierende Otto Bauer im gegenteiligen Sinn festgelegt hatte. Heute hat sich der eine Parteichef für den Fall, daß er Dritter wird, und dies ist er nun, gegen jede Koalition festgelegt, obwohl ein Teil seiner Partei nichts mehr möchte als eine bestimmte Koalition, und der andere Parteichef gegen die einzige Koalition, die dann noch möglich wäre.

Das Szenario, daß nur eine regierungswillige Partei übrigbleibt, von den anderen aber die eine nicht mit dieser und die andere mit keiner will, steht nach wie vor im Raum. ÖVP und FPÖ haben gleich viele Mandate, der Abstand bei den Stimmen ist minimal. Muß sie wirklich darauf beharren, sie läge nun einmal an dritter Stelle und müßte daher in Opposition gehen?

Zwar ist heute alles anders, doch auch heute kann keine politische Partei nur an den Staat denken und überhaupt nicht an sich. 1931/32 fürchteten die Sozialdemokraten, zu Mitverwaltern eines Zusammenbruchs gemacht zu werden und dabei das Vertrauen ihrer Wähler zu verlieren. 1999 durfte Wolfgang Schüssel hoffen (ebenfalls mit guten Gründen, wie das Wahlergebnis zeigt), mit der Oppositionsdrohung schwarze Wähler bei der Stange zu halten. Bleibt nur die Frage, ob es klug war, noch nach der Wahl auf dieser Festlegung zu beharren, als klar war, daß nur ein winziges Sahnehäubchen auf der Stimmensuppe zwischen Koalition und Opposition entscheiden würde.

Ganz und gar anders als in der Ersten Republik ist freilich auch dies: Kein Bundeskanzler verspricht mehr in seiner Regierungserklärung, wie vor 70 Jahren, im September 1929, Johannes Schober, der "Hypertrophie des Parlamentarismus" ein Ende zu setzen. Schober amtierte nur ein Jahr, brachte aber die noch immer geltende Verfassung von 1929 durch, welche die Macht des Bundespräsidenten erheblich stärkte. Die politische Realität nach 1945 ließ seine Machtfülle in Vergessenheit geraten, bis Thomas Klestil auf die Idee kam, sie neu auszuloten. Jetzt plötzlich scheint es nicht mehr ausgeschlossen, daß der Bundespräsident den Parteien aus der Patsche hilft, falls sie zu keiner Koalition finden.

Ob Wolfgang Schüssel den Hut aufs Sahnehäubchen haut oder nicht, in Koalitionsverhandlungen einsteigt oder nicht: Alles bleibt in Schwebe. Sicher ist nur: Jede Regierung, die keine schwarz-blaue ist, muß etwas weiterbringen, wenn der Weg Österreichs von der Ersten in die Zweite Republik nicht doch noch als Weg von Alptraum zu Alptraum enden soll.

Sollen wir uns Neuwahlen wünschen? Könnte ein vom Bundespräsidenten initiiertes Allparteienkabinett unter Umständen allen das Gesicht retten und der FPÖ bei den nächsten Wahlen weniger nützen als eine kleine Koalition von Haiders Gnaden oder eine rot-schwarze Koalition, die wieder nichts weiterbringt? Denn wenn heute auch keine Heimwehr- und Naziputschisten in der Startlöchern scharren: Der blaue Kanzler ist nach wie vor ein politischer und moralischer Alptraum.

Wer etwas weiterbringen will, wird aber gut daran tun, nachzudenken, ob die Wähler, die Haider zulaufen, dies wirklich nur aus Rassismus, Abwechslungsbedürfnis und Ärger über Kammerstaat, Postenschacher und so weiter tun. Oder ob es nicht noch tiefere, existentiellere Gründe gibt. Zum Beispiel ökonomische Zukunftsängste, Ängste vor Arbeitslosigkeit, Ängste, von denen hochbezahlte Kolumnisten nichts ahnen und auch gar nichts ahnen wollen und die auch die Politik bisher verdrängte. Ängste, denen die Verdrängung aber nur Nahrung gab, statt sie zu besänftigen.

Nationalratswahl 1999 nach Stimmen und Mandaten SPÖ 1,532.448 65 FPÖ 1,244.087 52 ÖVP 1,243.672 52 Grüne 342.260 14

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