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Die steirischen Landtagswahlen sind vorüber. Sie kosteten zwar der ÖVP ein Mandat gegenüber den letzten Landtagswahlen, brachten ihr aber immerhin 27.000 Stimmer mehr ein, als sie 14 Tage vorher bei den Wahlen zum Parlament in der Steiermark erringen konnte. Ein beachtlicher Erfolg, der der ÖVP sehr gut tat und ihre schlechte Stimmung wieder etwas aufbesserte. Denn die Stimmung innerhalb der ÖVP nach dem 1. März war katastrophal. Dabei ist eigentlich nicht zu begreifen, warum die Parted so fassungslos war. Sie hatte sich in der Wahl doch hervorragend geschlagen und war aus ihr mit 79 Mandaten hervorgegangen. Die SPÖ konnte nur 81 Mandate erlangen. Im Jahre 1962 war das Verhältnis für die SPÖ viel ungünstiger, als es jetzt umgekehrt ist. Damals erlangte die ÖVP 82 Mandate und die SPÖ nur 76. Wer die letzten Nationalratswahlen vergleicht, wird bemerken, daß die ÖVP prozentuell fast immer die gleiche Anzahl von Stimmen erhielt. Das bedeutet doch, daß sie einen eisernen Bestand an Stimmen besitzt, der ihr scheinbar nie verlorengeht und den auch die SPÖ respektieren müßte. Wohl konnte Dr. Kreisky von einem epochalen Einbruch der SPÖ auf dem Land sprechen, und tatsächlich hat hier die ÖVP nicht wenige Stimmen verloren, aber ebenso kann man von einem epochalen Einbruch der ÖVP in sogenannte rote Hochburgen sprechen, wie in den Wiener Arbeiterbezirk Ottakring.

Es besteht somit für die ÖVP gar kein Grund, so niedergeschlagen zu sein. Eine Wahl zu verlieren, gehört zum Wesen der Demokratie, und ein guter Verlierer zu werden, muß gelernt sein. Die Niedergeschlagenheit der ÖVP, die sich etwa darin äußert, daß sich unnötigerweise viele Funktionäre gegenseitig Vorwürfe machten und immer wieder Sündenböcke gesucht werden, ist psychologisch allerdings begreiflich Seit Bestand der Republik war die ÖVP, war ihre Vorgängerin, die Christlich-Soziale Partei, immer die stärkste Partei Österreichs gewesen, die fast immer den Bundeskanzler stellte.

Aus der Wahl gingen die beiden großen Parteien so gut wie gleich stark hervor. Aus der Wahl ergibt sich zunächst, daß die SPÖ mit ihrem kleinen Vorsprung das Recht hat, den Bundeskanzler zu stellen und ebenso den Präsidenten des österreichischen Nationalrates. Die ÖVP hingegen hat zweifellos das Recht auf den Vizekanzler und den 2. Präsidenten im Nationalrat. Und die übrigen Ministerien müßten so aufgeteilt werden, daß es 50:50 steht. Allerdings — wenn es zur großen Koalition kommt.

Die Niedergeschlagenheit der ÖVP über ihre so geringe Niederlage äußert sich nämlich auch darin, daß innerhalb der Funktionäre und der Spitzengruppen ernstlich von einem Übergang zur Opposition geredet wird. Es wäre der schlechteste Dienst, den die ÖVP dem Land leisten würde. Denn was würde dann geschehen?

Die SPÖ müßte, um lebensfähig zu ein, eine Koalition mit der FPÖ eingehen. Zwar hat die FPÖ erklärt, daß sie nur mit der ÖVP eine Koalition eingehen würde, aber dieses Wort w0~1e sie rasch vergessen unter den lockenden Angeboten, die Dr. Kreisky ihr machen müßte. Ausgeschlossen dagegen ist, daß Doktor Kreisky nur mit der SPÖ, also mit

einem Kabinett, das über keine Mehrheit verfügt, eine Regierung bilden wird. Denn diese Regierung wäre von Abstimmung zu Abstimmung vom Parlament abhängig und könnte überhaupt keine Arbeit auf Sicht leisten. Die SPÖ könnte die schönsten Gesetzesanträge stellen, denen eigentlich die ÖVP zustimmen müßte, aber nicht zustimmen wird, da sie in Opposition ist. Über kurz oder lang müßte das Parlament wieder aufgelöst werden, und die SPÖ könnte mit dem Slogan in die neue Wahlschlacht gehen, daß die ÖVP die besten Gesetze verhindere. Das österreichische Volk möge ihr deshalb die absolute Mehrheit geben, die sie dann wahrscheinlich auch erringen würde. Neuwahlen in kurzer Zeit wären aber eine schwere Belastung für das Land. Eine Gesetzesarbeit in dieser Zeit ist so gut wie unmöglich, jede Regierung ist lahmgelegt. Die Wirtschaft würde nicht unerhebliche Schäden durch diesen neuerlichen Wahlkampf erleiden.

Bleibt somit doch nur die große Koalition. Aber der Österreicher wünscht sich eine Koalition, von der gute Arbeit geleistet wird und nicht eine große Koalition, in der beide großen Parteien nur beisammen sind, um sich gegenseitig Schwierigkeiten zu machen. Koalitionen im Krieg und im Frieden werden geschlossen, um ein bestimmtes Ziel leichter zu erreichen, um eine bestimmte Arbeit besser zu 1 'aten. Eine Koalition, in der die SPÖ keine Rücksicht auf die ÖVP und die ÖVP auf die SPÖ keine Rücksicht nimmt, wäre eine schlechte Koalition. Natürlich verlangt jerip Koalition Kompromisse. Aber Kompromisse müssen deswegen immer noch nicht schlecht sein. Vor aller Dingen müßte die ÖVP sich bewußt sein, daß der designierte Bundeskanzler sicherlich kein Interesse daran hat, daß eine große Koalition nicht funktioniert. Dr. Kreisky hat die Wahl für seine Partei sozusagen im Alleingang gewonnen. Jetzt, da die SPÖ einen kleinen Vorsprung vor der ÖVP hat, ist sie natürlich trunken ob dieses Sieges und vergißt ganz die Schwierigkeiten, die sie Dr. Kreisky während des Wahlkampfes bereitete. Sie überschätzt außerdem ihren Sieg und möchte Chancen herausschlagen, die nicht drinnen liegen. Die Funktionäre der ÖVP hingegen sind wieder verbittert über die angebliche Niederlage, die gar keine ist. Die Masse der ÖVP-Wähler ist sicherlich für die große Koalition. So sind eigentlich Doktor •eisky auf der einen Seite und die Masse der Wähler bei der ÖVP fast natürliche Verbündete, und man denkt unwillkürlich an das berühmte rort Talleyrands, das er zum Zaren sprach: „Der Herrscher der Russen ist der natürliche Verbündete des französischen Volkes.“ Die nächsten Jahre werden für Österreich nicht leicht sein. Um so notwendiger braucht Österreich eine Regierung, die eine große Mehrheit im Pariamen1 besitzt, und um so notwendiger braucht Österreich eine große Koalition, in der beide Partner sich gleichberechtigt gegenüberstehen und nicht ihr Leben in kleinlichen Sticheleden erschöpfen, mit dem einzigen Hintergedanken, so bald wie möglich Neuwahlen zu veranstalten. Österreich braucht eine echte Koalition, in der beide Parteien gemeinsam zum Wohle des Landes arbeiten. Nur so werden viele schwere Probleme, die auf uns zukommen, gelöst werden.

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