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Apparat im Dilemma

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Österreich wird 1975 unter dem Primat der Innenpolitik stehen. Dafür sorgen in erster Linie die Nationalratswahlen, die laut letzter Meinung des ÖGB-Präsidenten Benya nun doch im Oktober stattfinden sollen (Anton Benya in der „Solidarität”: „In einem demokratischen Staat soll man sich bemühen, Funktionsperioden auch bis zum Ende zu nutzen. Denn sonst ergibt sich eine Verunsicherung der Wähler. Es scheint mir vom Standpunkt des ÖGB günstiger zu sein, wenn die Wahlen erst am Ende der Legislaturperiode stattflnden.”) Landwirtschaftskammerwahlen in einigen Bundesländern, die bundesweiten Handelskammerwahlen am 20. April, die Landtagswahlen in Tirol (Anfang Juni?), steigende Arbeitslosenzahlen vor allem im Februar und allgemeine wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge der Laisser-faire-Politik der Bundesregierung.

Die beiden großen politischen Parteien SPÖ und ÖVP werden sich, ebensowenig wie Peters FPÖ, vorallem mit Vorbereitungsarbeiten für die Oktober-„Schlacht” beschäftigen müssen: Parolen entwerfen, Plakatflächen bestellen, Propagandamaterial drucken, den Wahlprogrammen letzten Schliff geben …

Die oppositionelle ÖVP hatte zur Selbsterforschung ihres Parteiapparates, ihrer Grundsätze und ihrer Darstellungsmöglichkeiten in den letzten Jahren ausreichend Zeit. Ob es unter der Parteiführung von Doktor Schleinzer tatsächlich zu einer tiefgreifenden Reform der ideellen und materiellen Strukturen gekommen ist, wird sich erst dann beweisen lassen, wenn die ÖVP — in welcher Konstellation immer — in der Regierung vertreten sein wird und dort erste Schlappen kassieren wird müssen, oder wenn die Wähler die Oppositionsrolle der ÖVP im Oktober prolongieren sollten.

Die SPÖ stellt nun bald vier Jahre eine allein verantwortliche Bundesregierung, das hat in den ersten Jahren der Erfolge ihre Organisation beflügelt, in den letzten achtzehn Monaten der fortgesetzten Niederlagen auf allen politischen Ebenen die Begeisterungsfähigkeit des Parteiapparates weitgehend gelähmt. Parteivorsitzender Dr. Kreisky hat das früher als die politischen Auguren erkannt und schon auf dem Höhepunkt der SPÖ-Erfolge jedenfalls verbal der Arbeit an der Partei Priorität zugeordnet. Genützt haben diese Aufforderungen seiner Partei nur wenig. Im Gegenteil: Schon im oberösterreichischen Wahlkampf von 1973 kamen tiefe Meinungsverschiedenheiten innerhalb der SP-Landesorganisation ob der Enns an die Oberfläche, die auch nach der Wahl des neuen Parteiobmannes Dr. Rupert Hartl im Rahmen eines außerordentlichen Parteitages noch lange nicht bereinigt sein dürften.

Nicht minder problematisch ist die Situation der niederösterreichischen SPÖ, wo sich der physisch indisponierte Obmann Hans Czettel langsam auf sein politisches Altenteil zu- zurückziehen scheint, um dem derzeitigen Innenminister Otto Rösch Platz zu machen.

Nach der Niederlage der steirischen SPÖ am 20. Oktober 1974 bemüht man sich in Graz, Personaldiskussionen aus der politischen Arbeit auszuklammern. Dennoch wird die SPÖ wohl auch in der Steiermark nicht ewig ihre Wahlwunden im stillen lecken können. Als mögliche Nachfolger für Parteiobmann Sebastian bietet sich derzeit Bautenminister Josef Moser an; er ist freilich älter als sein Gegenspieler Sebastian.

Ähnliche Sorgen quälen die Salzburger SPÖ: Nach ihrer schweren Niederlage im März 1974 ist Landesparteiobmann Karl Steinocher alles andere denn unumstritten. Allerdings offeriert sich in der Salzburger SPÖ ebenfalls kein ernsthafer Konkurrent.

Besonders triste ist es um die SPÖ Vorarlbergs bestellt. Ihr Spitzenkandidat bei den letzten Landtagswahlen, Ernst Winder, ist längst nicht allein der Buhmann der ÖVP, sondern auch ein trennender Faktor innerhalb der SPÖ. Seine unaleman- nisch scharfe Diktion hat zuletzt dazu geführt, daß die SPÖ aus der Landesregierung scheiden mußte. Wahrscheinlich wird Landesobmann Roman Heinz nun seinen umstrittenen Landesparteisekretär schärfer an die Kandare nehmen. Möglicherweise wird Emst Winder an die Stelle von Heinz in den nächsten Nationalrat einziehen, damit es in Vorarlberg zwischen den beiden Großparteien wieder zu einem freundlicheren Gesprächsklima kommen kann.

Die Tiroler SPÖ hat allen Grund — ORF-Reform, Fristenlösung usw. —, sich vor den nächsten Landtagswahlen zu fürchten. Ihr Landesob- mann Dr. Saldier vermeldet keine Gelegenheit, auf die Aussichtslosigkeit eines günstigen Ergebnisses zu verweisen. Meinungsumfragen in Tirol nennen Dr. Salcher erst an dritter Stelle unter den bekannten Landes- polltlkem; gleichzeitig künden sie einen Stimmenverlust der SPÖ von mindestens 10 Prozent zugunsten der ÖVP an.

In der burgenländischen SPÖ ist alles beim alten, und das ist ein äußerst negativer Befund. Da Landesparteisekretär Dr. Sinowatz durch die Regierungsgeschäfte einfach überlastet ist, hegt man in der Eisenstädter SPÖ beträchtliche Zweifel an der Fortsetzung der SPÖ-Herrschaft nach den Landtagswahlen 1976.

Bleibt noch über die Situation der SPÖ in der Bundeshauptstadt zu berichten: Je mehr Bürgermeister Gratz zu agieren gezwungen ist, desto rascher fällt der Glanz von ihm ab. Darüber hinaus hat Leopold Gratz als Vorsitzender der Wiener SPÖ bislang keine einzige Maßnahme gesetzt, die geeignet wäre, die Struktur des unbeweglichen Parteiapparates zu verändern.

Kreisky’s Sorgen mit der SPÖ sind zugleich die Sorgen der SPÖ mit Kreisky, der sich, so spricht man es parteiintern ungewöhnlich offen aus, kaum um die SP-Organisation gekümmert hat. Nur in Wien hat er es gewagt, einzugreifen; diese Maßnahme beschränkte sich freilich allein auf ein personelles Austauschmanöver. In den anderen Bundesländern hielt er sich aus allen Auseinandersetzungen heraus, um dann im fernen Wien schlechte Wahlergebnisse in den Ländern in aller Öffentlichkeit zu beklagen. Aus der Sicht der Parteiorganisatoren sind Kreiskys Jahre als Vorsitzender der SPÖ zugleich sieben magere Jahre.

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