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Kein bißchen Wahlfieber

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Liegt es am Desinteresse? Liegt es am Wahlkampf? Die Wahlbeteiligung könnte die Mandatsverteilung in Niederösterreich am Sonntag zum Lotteriespiel machen.

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Liegt es am Desinteresse? Liegt es am Wahlkampf? Die Wahlbeteiligung könnte die Mandatsverteilung in Niederösterreich am Sonntag zum Lotteriespiel machen.

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Im Herbst 1983 war in der OVP in Niederösterreich das große Zittern ausgebrochen: Man stand vor Landtagswahlen, und Landeshauptmann Siegfried Ludwig war Opfer einer Diffamierungskampagne. Vermutlich auch deshalb erfocht man den größten ÖVP-Sieg seit 1945. Am Sonntag wird wieder gewählt. Diesmal zittert man aus Angst vor zu niederer Wahlbeteiligung.

„Der Patient (Wähler) liegt gelangweilt im Bett. Aber die Ärzte (Parteien), die ihn umstehen, schüttelt heftiges Fieber.“ So kommentierten die Niederösterreichischen Nachrichten den überaus lauen Landtagswahlkampf im größten Bundesland, der dieser Tage zu Ende geht.

„Wahlfieber“ wollte sich bei den Landesbürgern nicht einstellen. Dabei könnte gerade der Wahlausgang vom 16. Oktober wesentliche Veränderungen in der politischen Landschaft Niederösterreichs verursachen.

Neben ÖVP (32 Mandate) und SP0 (24 Mandate), die das Land seit 1945 mehr oder weniger einträchtig regieren, treten diesmal nämlich bis zu sieben Kleinparteien an.

Da werben die Kommunisten. Da gibt es skurrile Gruppen, wie „Ein Herz für Inländer“, das bislang geschickt verbergen konnte, daß es der rechtsradikalen NDP Norbert Burgers nachfolgt. Ausgerechnet ein Cousin des durch und durch „schwarzen“ Agrarlandesrates Blochberger führt diese Partei.

Da kämpfen zur „Niederösterreich-Partei“ vereinte „unabhängige Gemeinderäte“ - vorwiegend gegen die ÖVP. Von dort will im Industrieviertel auch Mödlings parteiloser Vizebürgermeister Pepi Wagner Stimmen ergattern. Die Links- und die Rechts-Grünen treten an und - mit den meisten Chancen auf Einzug in den Landtag - die Freiheitlichen.

Jörg Haider, der der FPÖ im Land als „gastarbeitendes“ Zugpferd diente, hat auch im Wahlkampf die meisten „bunten Kleckse“ gebracht. Erst seit wenigen Wochen verebbt die Neugier der Landesbürger, die ihm volle Säle gebracht hatte.

ÖVP und SPÖ führten einen sehr sachlichen Wahlkampf. Man bot Leistungen. Profilierungsver-suche einer der Großen, alles auf sich zu vereinen, entlockten den Bürgern eher ein müdes Gähnen. Nur Politiker regten sich darüber auf.

Zuviel haben ÖVP und SPÖ seit 1983 gemeinsam geleistet: Die Landeshauptstadt St. Pölten initiierte Ludwig — aber die SP zog mit; eine Regionalisierungspoli-tik wurde eingeleitet, eine Landesakademie für Wissenschaft und Forschung in Krems gegründet; gemeinsam wurden Umweltfragen gelöst.

VP-Landesparteisekretär Gustav Vetter stellt denn auch fest: „Daß es im Wahlkampf keine Höhepunkte der Konfrontation gab — das ist der Preis für fünf Jahre konstruktive Zusammenarbeit ...“

Von der Plakatflut und den Massenkundgebungen — für die SPÖ war dabei Bundeskanzler Franz Vranitzky überraschend oft zu Gast - gingen die Großparteien daher auch über zum Eröffnen, zu Spatenstichen, zur Ubergabe von Wohnbauanlagen, zum

Start von Architektenwettbewerben für die Hauptstadt.

„Vereinte“ und „Alternativ“ Grüne machten kurzfristig durch einen Streit um den Namen „Grün“ auf sich aufmerksam. Die Links-Grünen (Alternativen) drangen in Ludwigs Büro, drohten mit Hungerstreik, SPÖ-Ju-gendliche besetzten das Büro von Umweltreferent und Landes-Vize Erwin Pröll.

Alles nur Episoden.

Die ÖVP hat in der Vorwoche den Zipfel einer Fessel-Umfrage gelüftet: Danach wäre eine Wahlbeteiligung von nur 70 Prozent (1983: 84) zu erwarten.

Das wäre mit Sicherheit das Ende für die absolute ÖVP-Mehr-heit. Die Mandate würden „billiger“ und auch für „Kleine“ erschwinglich.

Plötzlich hat die bisher gewichtslose FPÖ Gewicht. Es wird spekuliert.

• Für die SPÖ wäre die Versuchung groß, mit FPÖ-Hilfe den ersten „roten“ Landeshauptmann zu stellen.

Aber SP-Landesobmann Ernst Höger hat schon abgewunken.

„Mit einer Haider-FP - nie!“ Sein Nein ist durch Landesvorstandsbeschluß garantiert.

Jetzt dreht Höger den Spieß um: • Verliert die VP die Mehrheit, könnte es einen VP-Landes-hauptmann von FPÖ-Gnaden geben. Ludwig habe zwar nein gesagt, aber: „Wenn Ludwig verliert, geht er oder wird gegangen.“ Höger rechnet mit der Rache des ÖVP-Bauernbundes an ÖAAB-Mann Ludwig. Denn Bauern -Landeshauptmann Andreas Maurer mußte gehen, als er 1979 zwei Mandate verlor...

Einen Rücktritt bei Verlust der Mehrheit schließt Ludwig selbst aus: „Das Dümmste wäre, alles gleich hinzuwerfen!“

Schadenfreude lindert die Angst der ÖVP. Man rechnet dort auch mit einem Sieg der Links-Grünen. Auf Kosten der SPÖ, bei geringer Wahlbeteiligung.

Ein oder zwei neue Parteien im blau-gelben Landtag? Was würde das bedeuten?

Käme die FPÖ als „dritte Kraft“, so müßte sie vier Mandate schaffen, um überhaupt einen Klub zu haben. Kein Klub hieße: kein Geld, kein Büro im Landhaus, keine Information. Genauso ginge es den „Grünen“.

Im landespolitischen Konzert würden beide Parteien höchstens die Triangel bedienen. Aber den Zug der Reformen, den Ludwig und Höger gestartet haben, würden sie eher vom Schnellzug zum „Bummler“ umfunktionieren.

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