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Im freien Spiel der Kräfte
Von 1945 bis 1988 gab's im blaugelben Landtag nur „schwarze" und „rote" Mandatare. Dann „knackten" die Freiheitlichen (damals noch FPO) die „schwarz-rote Hochburg", zogen nach jahrzehntelangem Bemühen mit fünf Mandaten ins Landesparlament. Nach wie vor aber hielt die ÖVP mit 29 Landtagssitzen die absolute Mehrheit und stellte den Landeshauptmann, damals noch Siegfried Ludwig, der im Oktober 1992 den „Hof" an Landeshauptmann-Vize Erwin Pröll übergab. Die SPÖ stellte mit 22 Sitzen Ernst Höger als Landeshauptmann-Stellvertreter.
Die Landtagswahl am 16. Mai 1993 wurde zur politischen Feuertaufe für das neugegründete Liberale Forum: Es zog auf Anhieb mit drei Mandaten ins Landesparlament. Die ÖVP verlor drei, die SPÖ zwei Mandate. Die Freiheitlichen stockten auf sieben Sitze auf - womit ihnen auch erstmals ein Sitz in der Landesregierung zufiel.
Im Landtag ist die Szene inzwischen noch bunter geworden: Weil Heide Schmidt in ihrem Programm die Homosexuellen favorisiert, wurde einer der drei Liberalen zum „wilden" Abgeordneten. Interessanter wurde die Landtagsarbeit. Die SPÖ kann erstmals die ÖVP überstimmen, wenn sie die sieben Freiheitlichen für ihre Anliegen gewinnen kann. Die ÖVP kann solche Niederlagen nur abblocken, wenn sie ihrerseits die Unterstützung der Liberalen gewinnt oder zumindest gemeinsam mit dem „Wilden" ein Patt herbeiführt.
Die empfindlichste Niederlage steckte die ÖVP ein, als SPÖ, Freiheitliche und Liberale gemeinsam die „Landesumlage" abschafften, einen „Topf", in den alle Gemeinden nach ihrer Finanzkraft zahlten, aus dem aber nur finanzschwache Kommunen einen Ausgleich vom Land erhielten. Es spricht für das Klima zwischen Schwarz und Rot in Niederösterreich: Finanzreferent Edmund Freibauer (ÖVP) und Gemeindereferent Ernst Höger entschärften zugunsten der armen Gemeinden dieses Abstimmungsergebnis.
ÖVP und SPÖ tragen die großen politischen Entscheidungen — wie die über Landeshaushalte, für ein neues Wohnbau-Förderungsgesetz mit größerer sozialer Zielsicherheit, das Bemühen um ein kostengünstigeres Gesundheits- und Sozialsystem, den Kampf für den Betriebsstandort Niederösterreich, den Kurs des Landes gegenüber Brüssel - gemeinsam. Auch das „Sparpaket" der neuen Bundesregierung wird von den beiden großen Partnern in der blau-gelben Landesregierung voll mitgetragen.
Einerseits, weil auch der Gewerkschafter Ernst Höger die Eindämmung des „Staatsmißbrauchs" voll unterschreibt. Andererseits, weil es vor allem die Handschrift zweier Niederösterreicher trägt: die des aus Schwechat stammenden Finanzministers Viktor Klima (47), der bei der Adventwahl 1995 „roter" Spitzenkandidat in Niederösterreich war, und die von Wirtschaftsminister Johannes Ditz. Der in Kirchberg am Wechsel 1951 geborene Wirtschaftsexperte führte im Dezember die Kandidatenliste der blau-gelben ÖVP an.
Mit Klima und Ditz kommen übrigens sechs der 17 Mitglieder des Kabinetts „Vranitzky V" aus Niederösterreich: Sozialminister Franz Hums (59) aus Sommerein am Lei-thagebirge, Wissenschafts-, Kultur-und Technologie-Minister Rudolf Schölten (41) ist Wahl-Waldviertler, Doppel-Staatssekretär (Beamte und EU) Karl Schlögl (41') Bürgermeister von Purkersdorf - alle drei sind Mitglieder des Landesparteivorstandes der SPÖ in Niederösterreich. Als ÖAAB-Landesobmann ist wiederum Verteidigungsminister Werner Fasslabend (1944 in Marchegg geboren) Mitglied des blau-gelben ÖVP-Lan-desvorstandes.
Kein Wunder, daß sowohl Erwin Pröll als ÖVP-Landeschef wie auch sein Vize, SPÖ-Landesobmann Ernst Höger auf offene Ohren und (soweit in Zeiten der Budgetknappheit möglich) auf mehr als nur moralische Unterstützung der niederösterreichischen Zukunftsprojekte hoffen.
Wirtschaftsminister Ditz hat bereits im Rahmen des das Sparpaket ergänzenden Beschäftigungsprogramms einen „Schulterschluß mit den Ländern für eine neue Betriebs-gründungs-Offensive" angekündigt. Vor allem in Regionen, wo die Industrie an Struktur-Überalterung leidet (im NÖ-Industrieviertel leiden darunter etliche Betriebe), soll diese Offensive zum Tragen kommen.
Budolf Schölten, dem viele Polit-Auguren nicht zutrauen, daß er sein Superministerium „derhebt", schätzt man auch in der blau-gelben ÖVP. Deren Landessekretär Ernst Strasser charakterisiert ihn: „Ich habe ihn als Wirtschaftssekretär des Kanzlers kennengelernt. Er ist ein überaus belastbarer Arbeiter, nie laut, aber konsequent und kooperativ."
Das ist wichtig für Niederösterreich, wo man eine „Technologie-Offensive" starten, die Hochleistungs-Westbahn und für die Mobilität der Pendler den Nahverkehr ausbauen will. Landeshauptmann-Vize Ernst Höger hofft auch auf „EU-Schrittmacherdienste" fürs Land von Doppel-Staatssekretär Karl Schlögl.
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