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Gebrochener Frost

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Spätestens nach der Nationalratswahl des Jahres 1970, die dem Land statt der durch eine solide Parlamentsmehrheit gestützten ÖVP-AIleinregierung das auf wackeligen Parlamentsbeinen stehende Minderheitskabinett Kreisky I bescherte, begannen sich nicht nur politische Strategen der beiden Großparteien und berufsmäßige Auguren des innenpolitischen Geschehens für die Politik der FPÖ zu interessieren. Seither sind rund zweieinhalb Jahre vergangen. Ist aus den Freiheitlichen eine „dritte Kraft“ geworden?

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Spätestens nach der Nationalratswahl des Jahres 1970, die dem Land statt der durch eine solide Parlamentsmehrheit gestützten ÖVP-AIleinregierung das auf wackeligen Parlamentsbeinen stehende Minderheitskabinett Kreisky I bescherte, begannen sich nicht nur politische Strategen der beiden Großparteien und berufsmäßige Auguren des innenpolitischen Geschehens für die Politik der FPÖ zu interessieren. Seither sind rund zweieinhalb Jahre vergangen. Ist aus den Freiheitlichen eine „dritte Kraft“ geworden?

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Hat es gerade in jüngster Zeit zwei Beispiele einträchtiger Kooperation zwischen Volkspartei und Freiheitlichen gegeben (die gemeinsame Pressekonferenz der Parteiobmänner Schleinzer und Peter zur Vereitelung der sozialistischen ORF-Reformpläne und zwei gemeinsame „Dringliche Anfragen“ an Bundeskanzler und Finanzminister im Parlament über Inflation und die widerrechtliche vorzeitige Veröffentlichung von Budgetzahlen), so war das nicht immer so. Beobachter des Parlamentsgeschehens erinnern sich noch an den Vorwurf eines ÖVP-Sprechers an seinen freiheitlichen Vorredner, er habe die „Zwei-Watschen-Theorie“ angewendet, womit zum Ausdruck gebracht werden sollte, daß der FPÖ-Sprecher seine Kritik gleichmäßig auf SPÖ und ÖVP verteilt habe.

In der Tat ist es so, daß eine Gesprächsbasis zwischen ÖVP und FPÖ noch gar nicht lange besteht. Das mag von vielen Komponenten abhängen. Doch wäre der freiheitliche Partei- und Klubobmann Peter vor einem Jahr sicher nicht in der Lage gewesen, eine Aussage zu machen, wie er sie vor wenigen Tagen formulierte: Das Verhältnis zur SPÖ ist nicht schlechter geworden, das Verhältnis zur Volkspartei hat sich jedoch wesentlich gebessert. Peter vertritt die Auffassung, cjaß die SPÖ der ÖVP gewissermaßen erst Mut machen mußte, in Gespräche mit der kleinen Parlamentsfraktion einzutreten.

Freilich haben sich die Möglichkeiten, mitzuentscheiden, für die Freiheitlichen inzwischen geändert. War es zur Zeit der Minderheitsregierung zwischen 1970 und 1971 so, daß den Stimmen der sechs FPÖ-Abgeordne-ten im Nationalrat eine echte Entscheidungsfunktion zukam, so hat sich dies seit der Wahl des Vorjahres, aus der die SPÖ mit einer tragfähigen Mehrheit ging, geändert.

Bundeskanzler Dr. Kreisky hatte damals, nach 1970, jedenfalls sehr rasch — rascher als die ÖVP — erkannt, daß es gilt, sich das Wohlwollen der kleinen Oppositionspartei zu sichern. So kam es zu dem vielbesprochenen 15-Punkte-Budget-pakt, in dem sich die sozialistische Minderheitsregierung die Zustimmung der Freiheitlichen zum Budget 1971 in letzter Minute einhandeln konnte, freilich um den Preis des Versprechens der Wahlrechtsreform. Aber die FPÖ-Fraktion fühlte sich auch in dieser Zeit und nach dem Abschluß des Budgetpaktes nicht in ein sozialistisches Korsett gedrängt. Diejenigen, die eine kleine Koalition SP/FP voraussahen, behielten nicht recht; zur Beschlußfassung über die 27. ASVG-Novelle sah man die beiden Oppositionsparteien miteinander die Regierung überstimmen. Dies blieb aber eher ein Einzelfall während der Ära der SPÖ-Minderheits-regierung.

Die Volkspartei war es aber, die diese Chance nicht genützt hat. Nach der Wahlniederlage des Jahres 1970 trat eine Desorientierung in den Reihen der erfolgsgewohnten ÖVP zu Tage,-die lange anhielt. Man kann sagen, daß sich dies erst in aller-jüngster Zeit geändert hat. Lange, ja allzu lange war die Partei, die 25 Jahre lang die erste Geige in Österreich gespielt hatte, durch parteiinterne Personaldiskussionen von der politischen Arbeit abgehalten. Und als im Vorjahr Karl Schleinzer und Herbert Kohlmaier zu Spitzenfunktionären gewählt wurden, mußten sie erst darangehen, den Augiasstall auszumisten.

So blieb der neuen ÖVP-Führung lange keine Zeit, sich um Kontakte zu den anderen Parteien zu kümmern. Und auch jetzt ist es um eine Gesprächsbasis zwischen SPÖ und ÖVP nicht zum besten bestellt. Die Zusammenkünfte beschränken sich auf im Gesetz verankerte Fragen. So haben die beiden Großparteien — Relikt aus der Koalitionszeit — ein direktes Bestimmungsrecht, wer welchen Posten bei ÖIAG und AUA erhält. Darüber hinaus gab es lediglich heuer im Frühjahr echte Parteienverhandlungen über das Preisbestimmungsgesetz im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuer, die auch erfolgreich waren. Ob dieses nach wie vor frostige Verhältnis zwischen den beiden Großparteien nur auf eine persönliche Aversion zwischen Kreisky und Schleinzer zurückzuführen ist, bleibt offen.

Und ebenfalls erst in jüngster Zeit kam es zu der allerorten mit Erstaunen aufgenommenen gemeinsamen Pressekonferenz zwischen den Parteiobmännern Schleinzer und Peter. Im Biedermeiersalon des fashio-

Furche-Karikatur: Piber nablen Wiener Ringstraßenhotels „Bristol“ saßen die beiden Parteiführer Seite an Seite und ritten scharfe Attacken gegen Kreiskys Reformpläne für den Rundfunk. Wieder frohlockten diejenigen, die darin den Beginn einer gemeinsamen Oppositionspolitik sahen. Der ÖVP-Akademikerbund forderte kurz darauf die Parteiführung auf, eine auf bestimmte Sachthemen abgestellte gemeinsame Oppositionspolitik mit den Freiheitlichen zu betreiben. Spricht man aber FPÖ-Obmann Peter auf solche Möglichkeiten an, so erhält man die Antwort, daß es nur die bedrohte Unabhängigkeit des Rundfunks gewesen sei, die eine solche gemeinsame Aktion zustande gebracht habe. Eine ähnliche Zusammenarbeit könnte er sich lediglich vorstellen, wenn es — wie 1957— zur gemeinsamen Nominierung eines Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl käme. Im übrigen wolle die FPÖ eine eigenständige Politik betreiben und sich nach keiner Seite hin festlegen.

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