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Das Argumentationsgespenst

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Seit einigen Tagen ist es wieder zum Hauptgesprächsthema unter den an der Innenpolitik Interessierten geworden: das von Beobachtern als „besonders gut“ qualifizierte Gesprächsklima zwischen Bundeskanzler Kreisky und FPÖ-Obmann Peter. Damit haben auch alle Kombinationen um mögliche Regierungsformen nach der nächsten Nationalratswahl neue Nahrung erhalten.

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Seit einigen Tagen ist es wieder zum Hauptgesprächsthema unter den an der Innenpolitik Interessierten geworden: das von Beobachtern als „besonders gut“ qualifizierte Gesprächsklima zwischen Bundeskanzler Kreisky und FPÖ-Obmann Peter. Damit haben auch alle Kombinationen um mögliche Regierungsformen nach der nächsten Nationalratswahl neue Nahrung erhalten.

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Es scheint eine Erfahrungstatsache zu sein, daß sich die Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland — mit einer gewissen Zeitver- schiebung und angepaßt an die Gegebenheiten — in Österreich fortsetzen. Dies veranlaßt politische Auguren seit jeher zur Vermutung, daß es wohl in unserem Land irgendwann doch ebenfalls zu einer kleinen Koalition, zu einer „sozialliberalen“ Regierung nach dem Bonner Vorbild kommen werde. Im Zuge dieser

Spekulationen, die bis in die Spitzen der beiden Großparteien SPÖ und ÖVP — untermauert durch ständige Meinungsbefragungen mehr oder weniger parteinaher Meinungsforschungsinstitute — betrieben werden, ist die FPÖ zusehends in ein sozialistisches Wechselbad gelangt.

Die ÖVP hat dagegen in den letzten Jahren stets eine gewisse Distanz zu den Freiheitlichen gehalten, sei es aus Gründen, die außerhalb der Tagespolitik liegen, oder aus der Er kenntnis heraus, daß auch parlamentarische Initiativen, die sie mit Hilfe der FPÖ ergreift, keine Aussicht auf Erfolg gegen die SPÖ-Ubermacht haben. Die ÖVP will mit Hilfe der kommenden Nationalratswahl versuchen, wieder an die Regierungsmacht heranzu’kommen. Der Gedanke einer ÖVP-Alileinregierung scheint aber selbst in der Parteiführung der Volkspartei nicht sehr populär zu sein. Offensichtlich fürchtet man sich vor einem Regieren gegen den sozialistisch dominierten Gewerkschaftsbund. Es wird daher bei jeder Gelegenheit von einer Großen Koalition mit den Sozialisten gesprochen. Damit aber hat es SPÖ- Vorsitzender Kreisky um so leichter mit seiner Ablehnung einer derartigen Konstruktion, wozu noch seine alte Abneigung gegen die frühere große Koalition kommt.

Ein einziges Mal hatten die Kommentatoren Gelegenheit, sich auf eine mögliche Annäherung zwischen ÖVP und FPÖ einzuschießen: nach den Gemeinderatswahlen in Graz und Kiagenfurt, wo es zu einer Absprache zwischen den beiden Parteien über die Besetzung der Bürgermeisterposten gekommen war. In beiden Städten hatte die SPÖ damals Wahlniederlagen erlitten. Es war möglich, daß ÖVP und FPÖ gemeinsam die Bürgermeister stellten. Flugs wurde von sozialistischer Seite gleich das „Bürgerblock“-Gespenst hervorgezaubert. Daß aber die Freiheitlichen ungleich öfter gemeinsam mit der SPÖ Entscheidungen getroffen haben, daß es — nimmt man alles zusammen — schon fast eine Art „Linksblock“ ohne feste Koalitionsvereinbarungen gibt, wurde natürlich diskret verschwiegen. Sowohl von der SPÖ als auch von den Freiheitlichen selbst — sofern sie Einfluß darauf hatten.

Daß der derzeitige Peter-Kurs in Richtung Kreisky dem Chef der kleinen Oppositionspartei in seinen eigenen Reihen schon oftmals mehr als herbe Kritik gebracht hat, ist Kennern der politischen Szene nichts Neues. Er wird sich auch noch so manches dieser Art vor der Nationalratswahl von seinen innerparteilichen Gegnern sagen lassen müssen, besonders deshalb, well ja jetzt Kreiskys „Liebeswerben“ wieder verstärkt einsetzt.

Peter drüfte jedenfalls mit gemischten Gefühlen an den Wiener FÖP-Parteitag denken, der für Mai angesetzt ist, also zu einem Zeitpunkt, da der Vorwahlkampf bereits auf vollen Touren laufen wird. Es ist bereits jetzt so gut wie sicher,

daß bei dieser Veranstaltung mit parteiinterner Kritik am Chef nicht gespart werden wird. Dies könnte sogar soweit gehen, daß einige traditionelle FPÖ-GefolgSleu’te zur ÖVP stoßen.

Blendet man in die letzten Jahre zurück, so findet sich tatsächlich eine ansehnliche Liste der gemeinsamen Aktionen von SPÖ und FPÖ. Sieht man nun einmal von der Zeit der SPÖ-Minderheitsregierung von 1970 bis 1971 ab, als sich Bruno Kreisky den Sukkuns der Freiheitlichen sicherte, um sein Budget durchzubringen, so ergäbt sich in den folgenden Jahren eine stattliche Anzahl von Gemeinsamkeiten:

• Da war zunächst die Einführung der Mehrwertsteuer mit den entsprechenden Nebengesetzen;

• dann die Änderung des Familienlastenausgleichsgesetzes :

• ferner zwei Gesetzesmaterien im Zusammenhang mit der Verstaatlichten Industrie, eine Novelle zum ÖIAG-Gesetz und die Fusion der Verstaatlichten Eisen- und Stahlindustrie. Dazu kommt eine Fülle weniger bedeutender Gesetze, bei denen die Freiheitlichen im Parlament mit der Regierungspartei gestimmt haben. Vom Wahlrecht ganz abgesehen.

Und weil soviel Wind um die Bür- germeisterpositen in Graz und Kla- genfurt gemacht wurde, ist es auch ein leichtes, aus dem Handgelenk eine ganze Reihe von Fällen aufzuzählen, in denen SPÖ und FPÖ Absprachen bezüglich Bürgermeistern getroffen haben: etwa in Bregenz, in Feldbach, Bad Hall, Badgastein, Sankt Gilgen.

Die Sozialisten können das Gespenst des Bürgerblocks getrost wieder aus ihrem Argumentationskatalog streichen, Schlagzeilen vom Linksruck der FPÖ scheinen hingegen aktueller, oder zumindest vom Linksruck Peters. Peter-Fans werden jedenfalls vor der Entscheidung stehen: FPÖ zu wählen oder gleich die Sozialisten.

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