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In Wirklichkeit geht es nun um die Länder
Vor zwei Jahren hat der Verfasser des folgenden Beitrages in der FURCHE den damaligen Jubiläumsparteitag der SPÖ (1934 bis 1974) ganz anders beurteilt, als die meisten Beobachter der unabhängigen Presse. Seine Schlußfolgerungen wichen insbesondere stark von den Analysen der ÖVP-Sprecher ab. Die Ereignisse seither haben ihm aber Recht gegeben. Auch diesmal hat er andere Schlüsse gezogen als die meisten — vor allem als die Maßgeblichen der ÖVP (welcher er angehört). Um seiner Partei die Augen zu öffnen, griff er auch diesmal zur Feder.
Vor zwei Jahren hat der Verfasser des folgenden Beitrages in der FURCHE den damaligen Jubiläumsparteitag der SPÖ (1934 bis 1974) ganz anders beurteilt, als die meisten Beobachter der unabhängigen Presse. Seine Schlußfolgerungen wichen insbesondere stark von den Analysen der ÖVP-Sprecher ab. Die Ereignisse seither haben ihm aber Recht gegeben. Auch diesmal hat er andere Schlüsse gezogen als die meisten — vor allem als die Maßgeblichen der ÖVP (welcher er angehört). Um seiner Partei die Augen zu öffnen, griff er auch diesmal zur Feder.
„Der SPÖ-Parteitag hat eines bewiesen: die Sozialisten blicken stolz auf ihre Vergangenheit zurück, ratlos in die Gegenwart und ängstlich In die Zukunft.“ Wer weiß, auf Grund welcher Informationen Josef Taus zu diesen Schlußfolgerungen aus dem jüngsten SPÖ-Parteitag gekommen ist; sie müssen jedenfalls sehr unvollständig gewesen sein.
Dieser Parteitag diente in erster Linie der innerparteilichen Diskussion, und was bei dieser Diskusson herausgekommen ist, ist für die ÖVP alarmierend.
Nach außen hin ging es darum, wie die Partei demokratisiert werden könne. Denn, so Kreisky: „... eine Partei, die glaubt, der Weg zum Sozialismus führe durch die Demokratisierung aller gesellschaftlichen Institutionen, kann sich selbst vom Demokratisierungsprozeß nicht ausnehmen.“ Kreisky ging es nicht so sehr darum, das Image des Sonnenkönigs loszuwerden, das sich die bürgerliche Presse von ihm gemacht hat; er scheint in erster Linie befürchtet zu haben, daß die SPÖ sich von der durchorganisierten Massenpartei, die sie war, über die Kanzlerpartei, die sie ist, zu einer Wählerpartei amerikanischen Musters wandeln könnte, die organisatorisch nicht mehr erfaßbar wäre. Kreisky hat seine Partei in den sechs Jahren seiner Kanzlerschaft zentralistisch von Wien aus geführt; mehr Demokratie heißt in diesem Falle also mehr Föderalismus, und der Parteiobmann der SPÖ kehrt mit dieser Strategie wieder zum Ausgangspunkt seines Aufstieges zurück, dorthin, wo er als Klub-(und noch nicht Partei-)Ob-mann 1966 begonnen hat: in die Landesorganisationen.
Der SPÖ dürfte es klar geworden sein, daß sie als zentralistisch geführte Partei die Erfolgsgrenze erreicht hat. Bei den Nationalratswahlen ist sie etwa in Niederösterreich und Oberösterreich zur stimmenstärksten Partei geworden, bei den Landtagswahlen in diesen Bundes-
ländern aber eindeutig geschlagen worden. Die Sozialisten dürften begriffen haben, daß eine Partei auf die Dauer kein bloßes Uhrwerk sein kann, das von einer in Wien befindlichen Unruhe in Gang gehalten wird.
Und auf die bevorstehenden Landtagswahlen, ohne daß sie besonders erwähnt worden wären, ist momentan die gesammelte Kraft der SPÖ ausgerichtet. Die (nur scheinbar zufällig) dominierenden Rollen der Landesparteiobmänner Czettel,
Hartl, Kery und Wagner, die in voller Absicht kaum den Präsidiumstisch verließen, der (nur scheinbar zufällig) vom Zaun gebrochene Streit mit der zentralistischen Frauenorganisation Herta Firnbergs, bei dem es ausschließlich um die volle Integration der Frau in die Bezirks- und Landesorganisationen ging — die über kurz oder lang wohl doch erfolgen wird —, und der Umstand, daß über die Probleme der SPÖ im ländlichen Raum weit ausführlicher gesprochen wurde als über die brennenden Probleme, die die SPÖ in den Städten hat, waren bloß die sicht-und hörbaren Zeichen dafür, worum es diesem Parteitag vom Anfang bis zum Ende in Wirklichkeit ging: noch unter Kreisky die Mehrheit der Bundesländer zu erobern, wenn es sein muß unter Opfern. (Das erste wird wohl Sebastian heißen. Und das zweite Steinocher.)
Daß Kreiskys weltanschaulicher Leitsatz „Demokratie der Weg — Sozialismus das Ziel“, die Grundlage seiner bundespolitischen Strategie, nun eine innerparteiliche Ableitung erhalten hat, bei welcher das Wort „Demokratie“ gegen „Föderalismus“ ausgetauscht wurde, und daß diese Ableitung in den kommenden* Jahren die Grundlage der SPÖ-Taktik sein wird, genügt nicht, um diesen Parteitag als einen der Stärke zu qualifizieren. Es kommt vielmehr das Wichtigste noch hinzu: daß die SPÖ vor und auf diesem Parteitag das Kunststück zuwege brachte, quasi
im Vorbeigehen ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften neu zu ordnen, die Nachfolgefrage zu erledigen, den Marxismus als hinfällig zu erklären und eine neue Koalitionsform zu präsentieren.
1974 war Kreisky der aggressivste, Benya der abwägendste unter den Rednern. (Die ÖVP zog damals daraus den falschen Schluß, daß Kreiskys politische Taktik Benyas Strategie der Sozialpartnerschaft unterlegen sei.) Diesmal waren die Rollen verkehrt: Kreisky war abwägend, Benya aggressiv. Aber es waren eben nicht nur Rollen, die neu verteilt waren, sondern Gewichte. Die SPÖ hat an sich selbst erfahren, daß eine unkontrollierte Interessenverflechtung mit dem ÖGB die Beweglichkeit beider Organisationen hemmt,
Wiener SP-Obmann Gratz: Vortritt für Androsch
während mehr Spielraum beiden zusammen eine viel größere Schwungkraft verleihen würde.
Nur die Zaungäste dieses Parteitages rätselten herum, wie das von ihnen so genannte „Kronprinzenstechen“ wohl ausgehen werde. Für die Parteitagsdelegierten und für den aufmerksamen Beobachter stellte sich dieses Problem gar nicht. Kreisky erklärte sehr deutlich, wann und warum er seine Regierung umbilden wolle: möglichst bald, damit jene, die bei der nächsten Nationalratswahl die Leistungen der sozialistischen Regierung nach außen verantworten, genug Zeit haben, um der Bevölkerung zu beweisen, daß sie besser geeignet sind, ihr Ressort zu verwalten, als etwa ein Kandidat der Oppositionspartei. Im darauffolgenden Satz erklärte Kreisky, bis zum Ende dieser Legislaturperiode im Amt bleiben zu wollen. Er wird also auch den nächsten Wahlkampf führen, denn was auf Ressortminister zutrifft, gilt für einen Regierungschef in noch viel höherem Maße. Daß er dann — vorausgesetzt, die SPÖ erringt auch 1979 die absolute Mehrheit — nach eineinhalb jähriger weiterer Regierungszeit an seinem 70. Geburtstag zurücktreten wird, und zwar aus den oben erwähnten Gründen, ist wahrscheinlich. Völlig unwahrscheinlich ist nur, daß es bis dahin (oder dann) zu einem Nachfolgekampf zwischen Gratz und Androsch kommen wird, wie seinerzeit zwischen Kreisky und Czettel. Es war auf diesem Parteitag ganz deutlich zu spüren, daß die beiden sich arrangiert haben und das Arrangement dürfte überraschenderweise so aussehen, daß, auf Grund der heute vorhersehbaren Sach-zwänge, Leopold Gratz zunächst Hannes Androsch den Vortritt läßt.
In derselben Rede, in der Kreisky sein Nachfolgeproblem als hinfällig abtat, kam er auf etwas zu sprechen, das für einige der interessanteste Teil seiner Ausführungen war: auf den Strukturwandel in der Gesellschaft. Derselbe Kreisky, der noch
1974 vor jubelnden Delegierten ausgerufen hatte: „Wir sind und bleiben eine Arbeiterpartei!“ verwandte diesmal auffallend viel Zeit, die allmähliche Schwerpunktverlagerung innerhalb der Arbeitnehmergesellschaft von den Arbeitern zu den Angestellten zu erklären und zu untermauern. Was nach außen hin (wenn auch nicht mit diesen Worten) als das Problem dargestellt wurde, daß man sich von einer Arbeiterpartei in eine Arbeiter- und Angestelltenpartei werde verwandeln müssen, war in Wahrheit die nüchterne Mitteilung: das Proletariat, der Messias der Marxisten, ist tot.
Die Position der Stärke, aus der Kreisky und seine Partei momentan agieren, kam wohl am deutlichsten beim heikelsten Punkt des Parteitages, dem der Öffnung der Partei, zum Vorschein. Kreisky sagte, auch hier unwidersprochen, der Sinn, parteiungebundene Minister ins Kabinett zu nehmen, erkläre sich daraus, daß die SPÖ von weit mehr Menschen gewählt werde, als sie Mitglieder zähle, man also in der Repräsentation nach außen auch jene Bevölkerungsgruppen berücksichtigen müsse, die noch nicht zu ihr gefunden hätten. Die Wählerkoalition, die bisher angestrebt wurde, SPÖ-Wähler plus Kreisky-Wähler, wird also bewußt in einer Regierungskoalition SPÖ-Minister plus Kreis-ky-Minister repräsentiert und von dieser Plattform aus wird in Zukunft das Ringen urn die Liberalen nicht nur ein Kampf um Wählerstimmen sein, sondern ein Kampf um koalierende Mitarbeiter. Die Marschroute scheint festgelegt: jede herausragende Persönlichkeit dieses Landes, ganz gleich, ob sie einer oder keiner Partei angehört, kann künftighin in die Regierung kommen oder von dieser mit einer entscheidenden Funktion betraut werden. Einzige Bedingung: als Regierungsmitglied die Regierungsbeschlüsse mittragen, als Regierungsbeauftragter die Regierungsbeschlüsse durchführen.
Und wie es um die allgemeine Meinung bestellt ist, wurde deutlich, als . die Nachricht herumgeisterte, Kurt Waldheim sei Kreiskys Wunschkandidat für die Nachfolge Bielkas. Da war keiner, der diese Meldung als absurd von sich wies, keiner, der es für unwahrscheinlich hielt, ein ehemaliger ÖVP-Außen-minister und Präsidentschaftskandidat würde in eine sozialistische Regierung eintreten, keiner, der diese Meldung dementierte. Am wenigsten Kurt Waldheim selbst. So stark ist die SPÖ schon geworden.
Die ÖVP hätte besser getan, statt vor dem Parteitag mit schwerem Geschütz aufzufahren — was ihr keine andere Wahl ließ, als ihn hinterher herunterzuspielen —, sich nach diesem Parteitag auf seine Ergebnisse zu konzentrieren. Für die Opposition ist es nämlich kein Zeichen der Schwäche, wenn sie sich mit der Regierungspartei befaßt, so lange, so gründlich und so öffentlich dies notwendig ist. Die ÖVP hätte daraus Gewinn ziehen können und die Schwachstellen der SPÖ aufdecken: daß sie als Partei ein gestörtes Verhältnis zu den Alten hat, was auch darin erkennbar war, daß Robert Uhlir, der Pensionistenvertreter, nicht in den Parteivorstand gewählt wurde; daß die meisten SPÖ-Funk-tionäre (Ausnahmen: Kreisky und Broda) ein gestörtes Verhältnis zur Frau in der Politik haben; daß die sozialistische Jugend untereinander zerstritten ist und die jungen Arbeiter den jungen Intellektuellen mißtrauen. Diese innerparteilichen Schwächen der SPÖ (es sind bei weitem nicht die einzigen) waren nicht zu übersehen.
Dennoch: zu glauben, diese SPÖ blicke ratlos in die Gegenwart und ängstlich in die Zukunft, ist ein frommer Wunsch. Es war ein Parteitag der Stärke. Nichts sonst.
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