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Die drei Flügel und ihre Kämpfe

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SPÖ-Vorsitzender Fred Si-nowatz hat der Partei Einheit und Geschlossenheit verordnet. Doch Konflikte wird es geben, so lange es drei derart unterschiedliche Flügel gibt.

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SPÖ-Vorsitzender Fred Si-nowatz hat der Partei Einheit und Geschlossenheit verordnet. Doch Konflikte wird es geben, so lange es drei derart unterschiedliche Flügel gibt.

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Der politische Erfolg einer sozialdemokratischen Partei hängt davon ab, die Massenloyalität der Lohnabhängigen nicht zu verlieren; sie stellen die Macht dar, die die Partei stark macht, über ökonomische Macht und kulturelle Hegemonie kann die Sozialdemokratie Gesellschaften zur Zeit nicht dominieren. Zur Erhaltung dieser Massenloyalität ist es aber erforderlich, daß die Programme und die grundsatzpolitischen Aussagen der Partei die Theorie ihrer Klasse widerspiegeln.

Die bedeutsamste Theorie dieser Klasse ist nun ohne Zweifel der Marxismus, deshalb kann es kein sozialdemokratisches Parteiprogramm ohne marxistische Elemente geben. Neben ihm existieren aber auch noch andere Theorien der Arbeiterbewegung— Lassalleanismus, kathedersozialistische Sozialstaatstheorien, genossenschaftliche Modelle, reformistische und revisionistische Weiterentwicklung des Marxismus, radikaldemokratische und trade-unionistische Theorien...

So sind jedenfalls marxistische und andere sozialistische Theoreme Bestandteile der Theorie der Sozialdemokratie, die sich in der Regel aber darin noch nicht erschöpft. Durch den organisatorischen Aufstieg der Arbeiterbewegung kam sie nämlich in die Lage, auch staatliche Funktionen in beträchtlichem Ausmaß übernehmen zu müssen.

Diese neue Rolle konnte nun nicht ohne Folgen für die Theorie der Bewegung bleiben: Wenn sich die Funktionäre der Sozialdemokratie erfolgreich — oder erfolgreicher als die politischen Gegner — in diesen neuen Rollen behaupten wollten, so mußten sie imstande sein, diesen Staat zumindest ebensogut zu verwalten wie der bürgerliche Gegner.

Das konnte aber nur gelingen, wenn sie die „Sachzwänge" des Systems grundsätzlich akzeptieren, denn jedes systemsprengende Handeln mußte krisenhafte Erscheinungen und damit - von den im System Stehenden aus gesehen - „Erfolglosigkeit" und deshalb die mögliche Abwahl bedeuten. So sahen sie sich gezwungen, manche ihrer aus der Situation der gesellschaftlichen Opposition stammenden Auffassungen zu revidieren und durch Theorien bürgerlichen Ursprungs, die den Interessen der Arbeiterbewegung nicht widersprachen, zu ersetzen.

Aus dieser Widersprüchlichkeit der drei Elemente ihrer Theorie kann sich die Sozialdemokratie auch nicht herausbewegen: Gibt sie die sozialistischen Elemente auf, so verliert sie so viel an Attraktivität und Glaubwürdigkeit bei ihrer Basis, daß sie keine Wahlen mehr gewinnen kann, weil sie nach links verliert. Löst sie sich von den systemimmanenten Elementen ihrer Theorie, so verliert sie ihre Problemlösungskapazität im Kapitalismus und verliert aufgrund der von ihr mitproduzierten Krisen erst recht wieder an Massenloyalität, sofern sie nicht über eine derart hochpolitisierte Basis verfügt, daß diese Einsicht in die Notwendigkeit und die wahren Ursachen der Krisen hat.

In den letzten Jahren fand nun ein weiterer Widerspruch Eingang in die Theorie der Sozialdemokratie: Die Theorien der neuen sozialen Bewegungen - Ökologie-, Frauen- und Friedensbewegung - wurden vor allem von der Parteilinken aufgegriffen und zu „rot-grünen" Theoremen verdichtet.

Die historisch notwendigen unterschiedlichen Strömungen finden nun auch eine Entsprechung in den Parteistrukturen und den Kräfteverhältnissen in den Entscheidungszentren. In sozialdemokratischen Parteien im allgemeinen und in der SPÖ im besonderen sind drei Flügel zu unterscheiden: Eine marxistische Linke, ein sozialdemokratisch-reformistisches Zentrum und eine systemintegrierte Rechte.

Diese drei Strömungen sind nun in der SPÖ nicht annähernd gleich stark, denn während das reformistische Zentrum und die integrierte Rechte große, zumeist in einem labilen Gleichgewicht befindliche Teile der Partei stellen, ist die Linke zahlenmäßig auf ein paar tausend Köpfe beschränkt; allerdings schreibt sie mehr Bücher, als beide anderen Richtungen zusammen, sie ist im' Bildungsbereich der Partei stark, im „brain-trust" der Mächtigen ganz respektabel und in den mittleren Funktionärskadern immer noch merkbar präsent.

Eine Besonderheit der SPÖ ist hiebei, daß gerade die Kernschichten der Arbeiterbewegung, die gewerkschaftlich organisierten Sozialisten, der Gewerkschaftsflügel der Partei, den integriertesten Teil der Bewegung darstellen; jenen Teil, dessen Ideologie sich am weitesten vom Sozialismus entfernt hat. Auf die Ursachen dieser Erscheinung ist an dieser Stelle nicht einzugehen, es reicht die Feststellung des Faktums.

Sie hat nun in den letzten Jahren noch dadurch eine spezielle

Ausprägung erhalten, daß diese Parteirechte einen Zuzug aus Kreisen erhielt, die völlig ideologielos oder mit klaren bürgerlichen Vorstellungen nur des eigenen Karriere-Vorteils wegen zur Sozialdemokratie gestoßen sind. Symbol dieser Koalition in der SPÖ ist ohne Zweifel die Achse zwischen ÖGB-Spitze und dem ehemaligen Vizekanzler Androsch.

Die Exponenten des reformistischen Flügels der SPÖ tragen seit 1970 wesentlich die Politik dieser Partei: Allen voran Kreisky, der dazu aufgrund seiner Funktion als Kandidat der Rechten sowie aufgrund seiner Vergangenheit als Austromarxist zudem noch Loyalität von rechts und von links erwarten konnte; neben ihm Broda, dessen Bedeutung für die politische Entwicklung der SPÖ weitgehend kraß unterschätzt wird; dann—ohne eine Reihung vornehmen zu wollen - Firnberg, Blecha, Lanc und Fischer sowie die beiden „Linksaußen" der Bundesregierung, Dohnal und Dallinger; weiters noch wesentliche Gruppen der Funktionsträger der Partei und hier vor allem ihrer Wiener Landesorganisation, der Bildungsorganisation und einer Reihe von traditionsbewußten Bezirken.

Die Linke besteht aus den Jugendorganisationen, deren Exponenten erstmals ohne Verleugnung ihrer bisherigen politischen Position, sondern gerade wegen ihrer linken Aussagen in den Nationalrat und in den Wiener Landtag (wenn auch nur als Alibi-Linke) einzogen; daneben gehören ihr die wenigen noch aktiven, hochgeachteten und theoretisch hochgebildeten „alten" Au-stromarxisten an, als deren Symbolfigur wohl Jojef Hindels gelten kann; weiters sind die den Jugendorganisationen entwachsenen, aber weiterhin eng kooperierenden Parteilinken dazuzuzäh-len, für die die Zeitschrift „Tribüne" ein ganz Österreich umfassendes Netzwerk aufgebaut hat; und schließlich sind noch jene „68er" einbezogen, die in der SPÖ verblieben sind, ohne sich besonders in deren Organisationen zu engagieren — ihr Tätigkeitsbereich liegt eher in der wissenschaftlichen Arbeit in parteinahen Instituten und Institutionen.

Der Autor, seit Jahren Funktionär der SPÖ, derzeit Mitglied des Bundesvorstandes der Jungen Generation, ist Jurist im Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes. Der Beitrag ist ein Vorabdruck aus einem Aufsatz in: ÖSTERREICHISCHES JAHRBUCH'83 FÜR POLITIK. Hrsg. Khol/Stirnemann, 01-denbourg und Verlag für Geschichte und Politik, München/Wien 1984 (erscheint Anfang März).

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