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Sozialismus und Kirdie

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Am 21. Mai 1946 hielt der damalige sozialistische Ministerpräsident Hollands, Professor Schermerhorn, an der alten katholischen Universität in Löwen einen Vortrag — das allein ist schon symbolisch —, über die politische Zusammenarbeit zwischen Holland und Belgien. Ein großer Teil des Vortrages befaßte sich mit einer Überlegung zur Annäherung der Katholiken und Sozialisten. Schermerhorn lokalisiert das Christentum und den Sozialismus zwischen den beiden extremen Mächten, dem liberalen Kapitalismus und dem totalitären Kollektivismus. In diesen beiden sieht er die Feinde der menschlichen Persönlichkeit und Freiheit. Er spricht für eine Allianz zwischen jenem Flügel der Katholiken, die mit der Durchführung der sozialen Enzykliken der Päpste ernst machen wollen, und einem Sozialismus, den er einmal den personalistischen, einmal den demokratischen nennt. Beiden wäre gemeinsam: 1. die verantwortliche Person als Voraussetzung einer Neuordnung der Gesellschaft; 2. die Gegnerschaft zum Kapitalismus; 3. beide erkennten die Gefahr, die dem Menschen aus einer brutal gehandhabten Technik kommt.

Die holländischen Sozialisten haben inzwischen als erste unter allen sozialistischen Parteien des Kontinents ihre Besinnung mit der Neugründung ihrer Partei als der „Partij van de Arbeid“ abgeschlossen und damit als erste sich vom weltanschaulichen Marxismus losgesagt; sie sind damit an die Seite der größten sozialistischen Partei Europas, der Labour Party Englands, getreten. Diese selbst hat ihre eigene Geschichte und hätte eine Absage an den materialistischen Marxismus nie nötig. Die tätig katholischen Abgeordneten des englischen Parlaments gehören fast ausschließlich der Labour Party an.

Gibt es bei uns in Österreich Aussichten auf eine ähnliche Entwicklung, wie es die in den Niederlanden ist?

Wir wollen nur vorsichtig registrieren, welche Anzeichen auf eine Besinnung zu nennen wären, sagen aber gleich, daß es nach ufherer Meinung hier um eine unaufhaltsame Berichtigung geht, die über alle Wünsche und alle Bedenken hinweggeht; einfach deswegen, weil ein Irrweg, und wenn er auch noch so lange festgehalten wird, in seiner Verwirklichung schließlich in Ausweglosigkeiten mündet, die zur Umkehr zwingen. Der Irrtum, um den es hier geht, ist die materialistische Geschichtsauffassung des Marxismus. Es kommt so alle tausend Jahre in der Geschichte der Philosophie vor, daß auf einige Jahrzehnte die Welt der Körper als das einzig Wirkliche glaubhaft gemacht werden kann, von der aus Seelisch-Geistiges nur als Wirkung oder Sublimierung gedeutet sein will. Das Unglück wollte es, daß vor hundert Jahren das philosophiegeschichtliche Horoskop auf Materialismus stand und Karl Marx seine geniale Wirtschafts- und Gesellschaftskritik mit einer ökonomischen Geschichtsdeutung verband. „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt“ (Marx, „Zur Kritik der politischen Ökonomie“). Damit war auch der religionsfeindliche Ausgang der Befreiungsbewegung. die gleichzeitig von Karl Marx aufgerufen wurde, mitgegeben und damit auch die Abwehrhaltung des Christentums gegen eine Arbeiterbewegung, die nicht nur den Arbeiter zu seinen wirtschaftlichen und politischen Rechten verhelfen, sondern ihn gleichzeitig mit dem Gift einer Geist- und Religionsfeindlichkeit erfüllen wollte.

Inzwischen hat sich der philosophische Himmel schon einige Male weitergedreht,aber der dogmatische Marxismus will das nicht zur Kenntnis nehmen. Mit einer drolligen Überlegenheit hält er an einem materialistischen Weltbild fest, mit dem man sich bei Licht eigentlich seit zwei Menschenaltern nicht mehr zeigen dürfte. Er stellt philosophiepolitisch — man verzeihe den Ausdruck — den blamabelsten Konservativismus dar, der sich in der politischen Wirklichkeit heute zu zeigen wagt. In dieser Tatsache allein liegt eine Dynamik, gegen die auf die Dauer auch der luftdichtes! abgesperrte Polizeistaat nicht durchhalten kann.

Bleiben wir aber bei unserer gestellten Frage: Welche Anzeichen gibt es in Österreich, die auf einen Abbau der Spannung zwischen marxistischer Arbeiterschaft und Kirche schließen lassen? — Schauen wir nach beiden Seiten.

Auf selten der Kirche ist zuerst ihre Distanzierung von aller Parteipolitik zu nennen. Der Klerus darf keiner Partei beitreten und hat die strenge Weisung, sich in der Seelsorge von aller Tätigkeit für oder gegen eine parteipolitische Gruppe zu enthalten. Vom Kanon 139, § 4, der den Priestern die Annahme von politischen Mandaten verwehrt, wird nicht mehr dispensiert. Von der Bildung von eigenen christlichen Gewerkschaften, die die Geschlossenheit der Arbeiter stören müssen, wurde abgesehen. Voraussetzung ist, daß sich die Gewerkschaften — man sollte meinen, daß dies von jeher eine Selbstverständlichkeit gewesen wäre — auf ihre wirtschaftspolitische Funktion und auf sie allein beschränken. Dazu kommt eine großzügige und offene Haltung katholischer Politiker, die sie dem sozialistischen Nachbar gegenüber einnehmen. Es sei nur erinnert an einen Vortrag, den Minister Dr. Hurdes im März 1947 in einer Reihe „Christentum und Politik“ hielt und in dem er (noch dazu als Generalsekretär seiner Partei) den Satz wagte: „Es gibt nicht wenige, die aus Christentum Sozialisten geworden sind.“ Was hätte ein christlicher Politiker vor zwanzig Jahren dazu gesagt? Hurdes fährt fort: „Sie erwecken unsere beste Hoffnung auf künftige Zusammenarbeit der Parteien, auf Wettstreit unserer Parteien um überparteiliche Ziele des Menschentums, der Kultur, des schaffenden Geistes, der über die Ende hinausreicht." Hier ist nicht nur eine völlig neue Haltung spürbar, hier wird zweifellos auch der Weg gezeigt, den die Entwicklung gehen wird, ob sich dagegen Politiker wehren oder nicht.

fenden Gottlosen“, wohl eine der grauenhaftesten Gründungen der Menschheitsgeschichte, mit dem „Besboschnik“ eingestellt. Damit fiel auch der eigentliche Rückhalt der internationalen Gottlosenbewegung. Diese wird nicht nur für alle spätere Zeit als eine unfaßbare Beleidigung der menschlichen Würde gelten, sie zeigt auch (was für unser Thema allein von Bedeutung ist), zu welchem Grade der Pervertierung der konsequente Marxismus fähig ist. Die sozialistischen Parteien denken nicht daran,, die sogenannten „Freidenker“ wieder auf ihre- Anhänger loszulassen.

Was ist an positiven Anzeichen zu nennen? Zuerst einige Artikel der „Zu-,

Welche Anzeichen einer Besinnung gibt es auf Seiten der sozialistischen Parteien? Wir können an dieser Stelle nur zusammenfassend einige bezeichnende Tatsachen nennen.

Negativ ist zuerst das Aufgeben der aggressiven Religionsfeindlichkeit festzustellen, eine Feststellung, die nicht sagen will, daß sich die Abkehr vom Kampf gegea Religion und Kirche durchgängig durchgesetzt hätte. Schon während des Krieges wurde in Rußland „Der Bund der kämp kunft", die auf einen Abbau des alten Feindverhältnisses drängen, zunächst wenigstens auf gegenseitiges Verständnis und wechselseitige Duldung. Aber der Sozialismus wird auch da immer noch als Weltanschauung gefaßt. „Die Kirche mit ihrem' Jenseits- und der Sozialismus mit seinen Diesseitstendenzen verkörpern die Ordnungsprinzipien zweier Welten" („Zukunft“, 1945, 4), also noch nicht: die Ordnung Prinzipien dieser Welt. Weiter noch als die „Zukunft“ stieß gelegentlich die Zeitschrift der sozialistischen Hochschüler, „Det Strom“, vor (besonders in einem Artikel von Josef Maderner, 16. April 1947). Es sei aber nicht verschwiegen, daß dieser scharfen Widerspruch auslöste, ja, daß überhaupt, wenn einer der Jungen zu weit vorprellte, er von echten Marxisten oft in der stursten Weise zürückgepfiffen wurde. Wir sind hier in Österreich noch lange nicht so weit wie in Bayern, wo unter dem sozialistischen Ministerpräsidenten Dr. Högner und unter dem sozialistischen Unterrichtsminister Dr. Fendt ein neues Schulgesetz herauskam (1. Dezember 1946), das als oberstes Bildungsziel die Ehrfurcht vor Gott (§ 131) und den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach in allen Volksschulen, Berufsschulen und höheren Lehranstalten (§ 136, Absatz 2) ausspricht. Hier ist der . Anschluß an den westeuropäischen Sozialismus vollzogen.’

Über diese Tatsachen hinaus mehrt sich die Zahl der Sozialisten, die tätige Christen sind, ja solche werden immer mehr, die mit dem roten Parteibuch in der' Tasche täglich zur heiligen Kommunion gehen. Es ist wohl klar, daß diese gegenwärtig nur in der Rolle von ehrlichen Pionieren bestehen können. Die Aussprachkreise zwischen gläubigen Katholiken und Sozialisten dürfen nicht überschätzt, aber auch nicht nach dem mageren Ergebnis beurteilt werden, wie jener in der Wiener Wohnung des jetzigen Gesandten in Moskau („Furche“, 25. Mai 1946), weil jedes Resümee notwendig auch die aüseinanderliegendsten Meinungen • be- . rücksichtigen muß. Wer gut hinhorcht, vernimmt auch die sich durchsetzende Überzeugung, daß mit. der klassenlosen Gesellschaft nicht einfach die Humanisierung gegeben ist und daß auch in dieser die sittliche Erziehung eine Aufgabe bleibt. Das deutlichste Zeichen einer Wandlung sind die sozialistisch geführten VolksbildungsStätten. Waren diese vor Jahrzehnten das Betätigungsfeld einer Garnitur von „Freidenkern“, so wird heute für jede Frage der jeweilig erreichbare Fachmann von einer Hochschule geholt. Der „Pfaffenspiegel“ ist ein schlechtes Geschichtsbuch, und über die „Welträtsel“ ist das geistige Deutschland schon vor 50 Jahren errötet. Hier fallen unausweichliche Entscheidungen. Und jede Abwehr derselben endet in einer Blamage oder Sackgasse. Die führenden Bildungsreferenten der Sozialistischen Partei wissen sicher viel mehr von der heute so gut wie durchgängigen Uninteressiertheit der Arbeiter an einer parteimäßig betriebenen weltanschaulichen Schulung, auch wenn die Ablehnung nicht immer so kraß ist als in einem großen Industriezentrum Steiermarks, wo nach wochenlanger Propaganda ein bekannter Vortragender aus Wien vor vier Zuhörern, unter diesen dem katholischen und dem evangelischen Pfarrer des Ortes, stand.

Die Berichtigung des Irrtums einer Feindschaft von Christentum und Befreiung der Arbeiter geht aus einer inneren

Logik weiter und ist darum, die Freiheit des Geistes vorausgesetzt, unaufhaltsam. Sie wird zu einer soziologischen Läuterung von Vorurteilen auf beiden Seiten. Wie der weltanschauliche Marxismus heute eine geistesgeschichtliche Blamage ist, so ist er ein Verhängnis, nicht nur für die Kirche, nein, vor allem für die Arbeiterschaft selbst. Je eher das eingesehen wird, desto früher kann der arbeitende Mensch vor einer Gefährdung seines Menschentums bewahrt werden, vor der allmählich alle Einsichtigen erschrecken.

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