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Wenn aber das Salz schal wird?

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Salz und Sozialismus sind der Verwässerung ausgesetzt. Davor warnt Norbert Leser Parteibürokraten anläßlich des 100. Geburtstages der österreichischen Sozialdemokratie.

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Salz und Sozialismus sind der Verwässerung ausgesetzt. Davor warnt Norbert Leser Parteibürokraten anläßlich des 100. Geburtstages der österreichischen Sozialdemokratie.

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Bei der Club-2-Diskussion, die nach den letzten auch noch die nächsten hundert Jahre der SPÖ behandeln wollte, nahm SPÖ- Vorsitzender Bundeskanzler Franz Vranitzky Anstoß an der in seiner Partei offenbar geläufigen Formulierung von den „Menschen draußen“. Norbert Leser, Verfasser des Buches mit dem metaphorischen Titel „Salz der Gesellschaft“, hätte auf die Frage, wie sich in einer dem Gleichheitsideal verpflichteten Partei eine solche Insider-Formulierung einbürgern konnte, wohl die beste Antwort geben können.

Der frühe Parteieinzelgänger und Vordenker der SPÖ, aber auch Grenzgänger zwischen So-

zialismus und Katholizismus, Ordinarius für Gesellschaftsphilosophie an der Universität Wien und international anerkannte Marxismusforscher schildert in seinem Buch am eigenen Beispiel den Prozeß der Entfremdung von der realen SPÖ.

Obwohl er sich als Außenseiter fühlt, läßt Leser freilich keinen Zweifel an seiner Meinung, daß „die Sozialistische Partei eine unersetzliche Funktion im österreichischen Parteiensystem“ hat.

Leser beherrscht die Kunst, Metaphern zu bilden und führt sie gleich zu Beginn in „Zwölf Thesen“ vor, die „Salz als Symbol des Sozialismus“ verwenden. Er positioniert damit den Sozialismus bescheiden unterhalb einer alle Bedürfnisse befriedigenden Weltanschauung oder Ersatzreligion, aber auch selbstbewußt oberhalb des Überflüssigen oder auch nur Entbehrlichen.

Denn wer fände schon Demokratie als „salzlose Kost“ genießbar? Wenn jedoch Leser in seiner ersten These dem Sozialismus „den Rang eines .Salzes der Erde* beziehungsweise der Gesellschaft im biblischen Sinne“ zuspricht, errichtet er wohl nicht ganz unbewußt ein „Salz-Monopol“, auch wenn er sich in These neun selbstkritisch auf die Formulierung zurückzieht: „Salz wie Sozialismus als Gesellschaftsidee sind der Gefahr der Verwässerung und des Schalwerdens ausgesetzt…“

Wir wollen die Salz-Metapho- rik nicht überstrapazieren und es mit der Feststellung bewenden lassen: die sich in unserer Demokratie häufenden „Geschmacklosigkeiten“ sollten nicht nur mit einem „Salzstreuer“ bekämpft werden.

Charakteristisch für das Werk Lesers über „Wesen und Wandel des österreichischen Sozialismus“ ist der Mut zum „Aussprechen dessen, was ist“. Das macht die „Leser“-Strahlen seiner Analyse so durchdringend. Ihn beirren weder Tabus seiner Partei noch die Rücksichtnahme auf eine eigene Parteikarriere. Auch hat noch selten ein Autor seine durch persönliche Enttäuschungen mitbestimmte Position so offengelegt

So erwähnt Leser, daß er schon in den frühen fünfziger Jahren als Funktionär der Sozialistischen Studenten von Karl Waldbrunner belehrt wurde, daß ein sozialistischer Minister nicht wie ein gewöhnlicher Genosse ansprechbar ist. Als Bruno Pittermann bei der Nationalratswahl 1966 „die unumgängliche Rechnung für eine Politik der Führungslosigkeit und Gaukelei… präsentiert erhalten“ hatte, schmiedete Leser, inzwischen Dozent, gemeinsam mit

seinem Mentor Migsch die Plattform, von der aus Koref mit seiner Rede eine „Initialzündung für die Parteireform“ gab.

Die mit dem Parteitag 1967 beginnende Ära Bruno Kreiskys wurde für den Politologen Leser zum Schlüsselerlebnis. Obwohl ihn seine „eher pessimistische, christlich gefärbte Anthropologie“ eigentlich „immunisieren“ hätte müssen, folgte der großen Faszination die ebenso große Enttäuschung durch Kreisky.

Dieser hat nach Ansicht Lesers vor allem die „historische Chance“, in der Frage des Privilegienabbaues „bahnbrechend zu wirken“ und damit „die sozialistische Mehrheit auch moralisch auf unabsehbare Zeit zementieren zu können“, versäumt. Hier schwingt auch die persönliche Enttäuschung des Ratgebers mit.

Schon 1973 sah sich Leser mit seinen sieben Punkten einer noch ausständigen Reform einer „Mauer des Schweigens“ gegenüber, an deren Errichtung auch Heinz Fischer und Karl Blecha „beteiligt waren“. Nach der Erteilung der Generalvollmacht am 6. November 1978 wurde Kreisky von Leser beschworen, diese „für einschneidende Maßnahmen im Sinne des Privilegienabbaues zu nützen“.

Aber den großsprecherisch verkündeten „Zehn Geboten“ folgten keine auch nur annähernd so großen Taten.

So zieht Leser nach den ersten hundert Jahren, die zwischen 1971 und 1983 von absoluten Mehrheiten der SPÖ geprägt waren, die vom Schalwerden des Salzes Zeugnis ablegende Bilanz: „Am Anfang der Sozialdemokratie stand ein Millionär, Viktor Adler, der sein Vermögen in die Partei steckte und in Armut lebte. Am vorläufigen Ende stehen Emporkömmlinge, die der Partei Millionen verdanken und entnommen haben…“

Kreiskys letzte Weichenstellung, die kleine Koalition, die der laut Leser „zu hoch hinauf geratene Parteisekretär“ Fred Sinowatz zu exekutieren hatte, entsprang der „Spekulation, die ÖVP zu einer Mittelpartei herabzudrücken und die FPÖ zu einer Mittelpartei hochzupäppeln“. Daß diese Spekulation gelingt, hält Leser nach wie vor für möglich, auch wenn er

,Franz Vranitzky ist insofern eine glückliche Mischung der Elemente, als er aus kleinen Verhältnissen kommt und sich aus diesen emporgearbeitet hat, ohne seine Wurzeln zu verleugnen und zu verdrängen. Außerdem ist er ein Intellektueller von Format, der nicht nur gut zu formulieren versteht, dessen Aussagen vielmehr auch gedankliche Schärfe und einen bei Spitzenpolitikern selten anzutreffenden Tiefgang verraten. Er ist sich wohl dessen bewußt, daß auch technokratisches Management nicht der Weisheit letzter Schluß ist.

Trotzdem besteht die Gefahr, daß ein Mann, der seit Jahrzehnten ein Spitzenverdiener ist und sich vor seinem Eintritt in die Politik vorwiegend in Kreisen von Menschen bewegt hat, unter denen sich nicht nur Auf Steiger befinden, die sich ihren Weg nach oben durch harte Arbeit erkämpft und sich trotzdem ein soziales Engagement bewahrt haben, sondern auch Emporkömmlinge und Parvenüs, die Geldverdienen für das höchste Ziel halten und ihre Reichtümer auch noch protzig zur Schau stellen, dazu neigt, die in dieser zahlenmäßig kleinen, einflußmäßig aber großen Welt geltenden Maßstäbe zu akzeptieren und zur Anwendung zu bringen.

In diese Richtung wiesen Personalentscheidungen Vranitzkys, die in einer Zeit, die kleinen Menschen große Opfer auferlegt, Großzügigkeit gegenüber im Dunstkreis der Macht Angesiedelten und von ihr Erkorenen verraten. Die weitere Begünstigung solcher Tendenzen wäre aber nicht nur ein Schritt zurück in der Frage des Privilegienabbaus, sondern auch ein Unrecht an den vielen Machtlosen und Machtfemen, denen die Sozialdemokratie in erster Linie verpflichtet bleiben muß.“

(Seite 262)

es nicht wünscht.

Was Leser über Vranitzky (siehe Kasten) schreibt, läßt sich so lesen, als ob der Bundeskanzler und Parteivorsitzende zwischen den Rücktritten von Blecha und Leopold Gratz auf Ratschläge Lesers gehört hätte. Warnt doch Leser „vor der Beibehaltung der Praxis, einen vom politischen Gegner Angegriffenen zu verteidigen und Parteifreunde auch dann zu mauern, wenn die Angriffe der Sache nach berechtigt sind und es an der Partei läge, so rasch als möglich Konsequenzen zu ziehen…“ Allerdings besteht auch die Gefahr der Selbstüberschät

zung des Ratgebers, wenn für den Fall der Befolgung aller seiner Ratschläge unter dem niedlichen Titel eines „kleinen, neuen Sonnenaufgangs“ die „Wiedererlangung der absoluten Mehrheit“ in Aussicht gestellt wird.

Und bei diesem Ziel sollte man nicht auf das Wort Lord Actons vergessen, wonach Macht die Tendenz hat, zu verderben, und auf seinen Nachsatz von der absoluten Verderbnis der absoluten Macht.

Dem Verhältnis zwischen Kirche und Sozialismus ist das letzte Kapitel des Buches gewidmet. An diesem zeitgeschichtlichen Kapitel hat Leser auch als Ghostwriter Kreiskys in einem 1968 veröffentlichten Artikel mitgeschrieben. Darin hieß es, daß es „nach der Regelung der Konkordatsmaterien und der Schulgesetzgebung… kaum mehr offene Fragen“ gebe.

Seither folgten finanzielle Zugeständnisse an die Kirche, aber auch Rückschläge wie in der Frage der Fristenlösung. Obwohl auf beiden Seiten Vorurteile abgebaut wurden, so erfolgte doch nach Lesers Einschätzung „keine Annäherung in der Tiefe“. Weitere Verständigungschancen sieht er zwischen katholischer Soziallehre und Sozialismus, weil „sowohl der demokratische Sozialismus als auch die katholische Kirche, die hiefür durch das Subsidiaritätsprinzip bestens gerüstet ist, zunehmend dem Aberglauben entsagen, daß nur der Staat in der Lage ist, gesellschaftlich relevante Aufgaben zu erfüllen“.

Die fehlende Annäherung in der Tiefe findet auch in der Entfremdung Lesers von der SPÖ Ausdruck. Mit seiner nicht nur wissenschaftlich fundierten, sondern auch christlich inspirierten These von der „geteilten Schuld“ anläß

„Der Sozialismus tut gut daran, nach vorne und nicht in die Vergangenheit zu blik- ken und sich nicht an seine Traditionen zu klammem, damit es ihm nicht wie der Frau des biblischen Loth ergehe, die durch Zurückblik- ken auf der Flucht zu einer Salzsäule erstarrt ist.

*

Der Sozialismus ist gut beraten, wenn er sich nur dort als Salz gebrauchen läßt, wo die Menschen nach ihm verlangen, und sich nicht ungefragt aufdrängt. Er ist schlecht beraten, wenn er der Versuchung nachgibt, sein historisches Vokabular und Instrumentarium in Form eines realen oder eines Verbalradikalismus zu strapazieren und Salz in vernarbende Wunden zu streuen und so nicht zu deren Hei- ‘ lung, sondern zu deren Auf- wühlung sowie zur Polarisierung in der Gesellschaft beizutragen.“

(Lesers Thesen XI und XII: Salz als Symbol des Sozialismus)

lich des 50. Gedenktages des Februar 1934 erntete er einen Sturm der Entrüstung, und es wurden sogar Stimmen laut, die seinen Parteiausschluß forderten.

Auch die „Art, mit der“ — in der Kampagne gegen Kurt Waldheim - „nicht nur gegen eine Person, sondern gegen eine ganze Generation von Kriegsteilnehmern gehetzt wurde“, verstimmte ihn, wiewohl auch seine seit 1987 in der FURCHE erscheinenden Glossen auf Widerspruch bei den Sozialisten stießen.

Dem Werk des Grenzgängers Leser ist mit einer Charakterisierung nicht gerecht zu werden: Es ist Kritik am und Plädoyer für den Sozialismus, es ist Zeitgeschichte mit vielen neuen Einblicken wie zum Beispiel in den Fall Olah oder in die Genesis des letzten Präsidentschaftswahlkampfes, und es ist nicht zuletzt, wenn auch oft nur zwischen den Zeilen, Schilderung des Schicksals eines manchmal gebetenen, öfter aber auch ungebetenen Politik-Ratgebers.

PS: Wovor sich der nichtsozialistische Rezensent hüten muß, ist, die thematisch auf die SPÖ konzentrierte Kritik als eine nur gegen die SPÖ anwendbare miß- zuverstehen.

Hilfreich ist dabei die Bemerkung des Autors, daß die „Parteien… im Jahr 1945 in gewissem Sinne vor dem Staat da“ waren und aus dieser „Schöpferrolle… vielfach auch Allmachtsgefühle entwickelt“ haben. So manches, was Leser zur Parteibuchoder Privilegienwirtschaft anmerkt, dürfen deshalb ruhig auch andere auf sich beziehen.

Der Autor, Staatssekretär a.D., ist Publizist und war bis Ende 1988 Chefredakteur des W irtschaftsverlages.

SALZ DER GESELLSCHAFT. Von Norbert Leser. Orac Verlag, Wien 1988.416 Seiten, öS 385,-

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