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Abschied von der alten Größe

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Wenn man den Zustand der SPÖ, die sich seit langem in einem Umbruch, ja in einer Identitätskrise befindet, auf einen einprägsamen Nenner bringen will, bietet sich die Formel vom „Abschied von der Größe" an, die den eingetretenen Funktionswandel wohl am besten beschreibt.

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Wenn man den Zustand der SPÖ, die sich seit langem in einem Umbruch, ja in einer Identitätskrise befindet, auf einen einprägsamen Nenner bringen will, bietet sich die Formel vom „Abschied von der Größe" an, die den eingetretenen Funktionswandel wohl am besten beschreibt.

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Diese Formel gilt zunächst in einem inhaltlichen Sinne: die SPÖ hat, wie die anderen sozialistischen Parteien Europas auch, ja wie die traditionellen Parteien überhaupt, ihre beste Zeit bereits hinter sich und lebt in einer vergleichsweise bescheidenen Gegenwart, die für die Zukunft keinen neuen Aufschwung, sondern eine weitere Reduzierung des historischen Aktionsradius verheißt. >

Diese Verengung der Perspektive hängt mit der weitgehenden Erfüllung des historischen Auftrages, mit der Kehrseite des erreichten Erfolges, der zum Alltag und zur Selbstverständlichkeit wird, zusammen. Parteien unterliegen als kollektivpsychische Organismen im Sinne von Freud ähnlichen Gesetzmäßigkeiten des Stirb und Werde wie das Individuum. Ähnlich wie Individuen fällt es aber auch Parteien schwer, sich diese Gesetzmäßigkeit einzugestehen und sich im tatsächlichen Verhalten auf sie einzustellen. Allzu leicht erliegen Individuen wie kollektive psychische Gebilde der Versuchung, das Überkommene fortzuschreiben, in die Zukunft zu verlängern und so zu tun, als ob alles beim Alten geblieben wäre.

Im Falle der SPÖ kommt hinzu, daß sie sich nicht bloß für eine Partei neben anderen, sondern für die vorweggenommene Zukunft der Gesellschaft hielt und daher auch dazu neigte, sich, auch wenn sie die Spielregeln der Demokratie einhielt, als das künftig Ganze zu verstehen, den anderen Parteien demgegenüber nur die Rolle von Verzögerern des im eigenen Lager konzentrierten historischen Fortschrittes zuzubilligen. Dieser geistige Monopolanspruch wurde nach 1945 schrittweise aufgegeben, wirkte und wirkt aber im Selbstverständnis nach und erschwert den inneren Nachyollzug des historisch bereits Geschehenen.

Wenn man sich in Erinnerung ruft, daß der Austromarxismus Bauerscher Prägung, der noch bei Bruno Kreisky durchschlug, bestrebt war, immer mitten „zwischen Reformismus und Bolschewismus" zu stehen, also innerhalb des Marxismus eine liberale Alternative zum totalitären Leninismus darzustellen, erscheint es nicht zu weit hergeholt, wenn man die* Abdankung als geistige Großmacht, die die österreichische Sozialdemokratie einmal war, mit der Verabschiedung der Sowjetunion als Großmacht und ihre Reduzierung auf einen immer noch ansehnlichen Kern- und Nachfolgestaat vergleicht. Der Austromarxismus, der mit dem Tod von Bruno Kreisky, mit dem Ende der A. Z. und dem Machtverfall der Partei im „Roten Wien" letzte Bollwerke, die aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragen, verloren hat, ist als geistige Großmacht einer Partei gewichen, die noch immer eine unersetzliche Funktion, aber nicht mehr das Format und die Größe ihrer Vergangenheit hat. Dieser Vergangenheit kann man mit durchaus gemischten Gefühlen gegenüberstehen: auf der einen Seite war sie eine

überspannte, die Menschen und sich selbst überfordernde Idee, die ihren Anspruch nicht einlösen konnte, auf der anderen Seite entwickelte sie inmitten all ihrer Irrtümer eine historische Umwegrentabilität sondergleichen und war vom Feuer echter Geistigkeit und Leidenschaft erfüllt. Demgegenüber nimmt sich die SPÖ von heute gestutzter, aber auch realistischer und weniger fordernd beziehungsweise herausfordernd aus.

Der gegenwärtige Parteiobmann Franz Vranitzky, der als Bundeskanzler die politische Führungsrolle dieser Partei trotz aller historischen Aderlässe verkörpert, ist, um beim angezogenen Vergleich zwischen

politischer und geistiger Großmacht zu bleiben, in gewisser Hinsicht mit Gorbatschow in der Sowjetunion vergleichbar, nicht nur; was die Lässigkeit und Eleganz in Erscheinung und Auftreten anbelangt, sondern möglicherweise auch bezüglich des Mißverstehens der eigenen Rolle und Wirkung. Beide verstanden beziehungsweise verstehen sich als Reformer der Idee, unter deren Vorzeichen sie angetreten sind, ohne sich rechtzeitig bewußt zu werden, daß die Ideen, denen sie zu größerer Wirksamkeit verhelfen wollen, historisch auslaufende und keiner Reform im eigentliche Sinne mehr fähige sind.

Diese Überlegung leitet zu dem zweiten Sinn über, in dem die SPÖ Abschied von der Größe nehmen muß, dazu aber noch weniger willens und bereit scheint als im erstgemeinten, übertragenen Sinn. Es ist freilich auch viel verlangt, einem unvermeidlichen Schrumpfungsprozeß der einstigen numerischen Größe gelassen gegenüberzustehen,

zumal man sich ja in Konkurrenz zu anderen Parteien befindet und daher eine Maximie-rung der Stimmenzahl anstreben muß.

Leichter müßte es theoretisch schon fallen, sich mit einer geringer werdenden Mitgliederzahl abzufinden, ja aus der Not eine Tugend zu machen und der Praxis der permanenten Werbeaktion, die noch dazu eng mit Patrona-ge verbunden ist, abzuschwören. Aber wenn die SPÖ nicht nur eine Massenpartei bleiben will, was durchaus legitim ist, sondern auch eine Mitgliederpartei, die den fragwürdigen Ehrgeiz hat, möglichst viele Wähler und Staatsbürger zu „organisieren", muß sie sich auch diese im Gang befindliche Entwicklung abringen lassen.

Die Krise der Parteiendemokratie und der sie tragenden Parteien ist nicht auf die SPÖ beschränkt, wird aber an ihrem Fall besonders deutlich und trifft sie besonders hart. Im Vergleich zu den anderen sozialdemokratischen Parteien Europas verfügt sie noch immer über ein beachtliche Stärke und hat auch gute Aussicht, die politische Führungsrolle zu behaupten, wenn sie sich über die erfolgte Namensänderung hinaus von den Ideen des Sozialismus klassischer Prägung abwendet, so vom Gedanken der Verstaatlichung, der ihr als Identifikationsmerkmal abhanden gekommen ist, ohne damit aufzuhören, Anwalt der Schwachen in der Gesellschaft zu sein.

Durch das Großwerden einer Schicht hochbezahlter Funktionäre in Partei, Staat und Wirtschaft hat sich die SPÖ allerdings Scharten ins eigene Schwert geschlagen und es sich selbst erschwert, wenn schon nicht für mehr Gleichheit im alten Sinn, so doch wenigstens für Verringerung der Spannen im Einkommensbereich einzutreten. Die eigene Praxis und die eigenen Praktiken haben den schon von außen verengten Spielraum der Politik von innen noch weiter reduziert. Gegen dieses vermeidbare Kleinerwerden der eigenen Chancen und Glaubwürdigkeit sollte sich die SPÖ wehren und auflehnen, auch wenn ihr im übrigen zu raten ist, den Abschied von der Größe und der Magie der großen Zahl freiwillig und geordnet zu vollziehen.

ERRATUM: Ein bedauerlicher Übermittlungsfehler hat im Kommentar von Gabor Kiszely vergangene Woche (FURCHE 36/1992, Seite 3) aus „slowakischen Nationalistenkreisen" „ungarische Nationalistenkreise in der Slowakei" werden lassen. Der Satz muß richtig lauten: „Der Behauptung pflichteten natürlich auch slowakische Nationalistenkreise bei." Wir bitten für den entstandenen Unsinn um Entschuldigung.

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