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Die Rezentralisierung der Dezentralisation

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Zurück aus Belgrad, wo der kleine Parteitag bereits auf dei im nächsten Jahr kommenden großen schließen Haß, überdenk man, was vom „jugoslawischen Modell“ des Tjtoismus blieb Augenscheinlich die „Arbeiterselbstverwaltung“. Sie ist, wem man es so will, die extremste Position der Mitbestimmung, ir einem Fragenkreis also, der längst ganz Europa einbezogen hat das westliche wie das östliche.

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Zurück aus Belgrad, wo der kleine Parteitag bereits auf dei im nächsten Jahr kommenden großen schließen Haß, überdenk man, was vom „jugoslawischen Modell“ des Tjtoismus blieb Augenscheinlich die „Arbeiterselbstverwaltung“. Sie ist, wem man es so will, die extremste Position der Mitbestimmung, ir einem Fragenkreis also, der längst ganz Europa einbezogen hat das westliche wie das östliche.

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Als Tito seinen Bruch mit Moskau vollzog, richtig gesagt: er wurde von Stalin aus dem Lager hinausgeworfen, war er selbstverständlich Kommunist, ja, was sein eigenes Modell betraf, extremer Stalinist. Ersteres Ist er bis heute geblieben, entgegen allen im Umlauf befindlichen Annahmen. Wenige Jahre nach diesem Bruch sah er sich gezwungen, dem „eigenen Weg“ einen „ideologischen Unterbau“ zu geben. Er hatte sich ja vorerst rfür von Stalin und nicht vom „Sowjetismus“ getrennt. Da es aber im Umkreis der „sozialistischen Welt“ nicht gut möglich ist, daß man der gleichen Ideologie anhängt, deren Mekka aber bekämpft (oder von diesem bekämpft wird), mußte man sich nach dialektisch logischen Unterschieden umsehen. Alsbald verfiel man, darin Marx, Engels und Lenin sehr frei interpretierend, auf die „Arbeiterselbstverwalt^ng“.

Sie ist, wie schon erwähnt, die „Mitbestimmung der am Produktionsprozeß durch ihre Arbeitskraft unmittelbar Beteiligten“ in extremis. Ihr Gegenpol wäre die Forderung nach völliger Unterwerfung unter das Produktivkapital. Alles andere, also auch das, worüber wir jetzt in Österreich sprechen, liegt irgendwo dazwischen.

Wir müssen einsehen, daß diese Frage eine politische, ideologische Seite und eine sachlich-materielle hat. Im demokratischen Prozeß kann also eine Lösung nur in Form eines Kompromisses gefunden werden, da wir mit Recht annehmen müssen, daß die Zielvorstellungen der hauptsächlichen Kontrahenten oder, sagen wir, der sozialen Partner, weit auseinanderliegen. Mit Mehrheitsbeschlüssen, an sich durchaus nicht undemokratisch, kann ein die Sozietät so sehr betreffendes (und veränderndes) Problem nicht sauber gelöst werden.

Das „Jugoslawische Modell“, von dem jetzt, wie wir meinen, im wesentlichen nur noch die „Arbeiterselbstverwaltung“ sichtbar bleibt, geht auf ein Diktat, nämlich auf einen absolut wirkenden Parteibeschluß, zurück; die gesetzgeberischen und verfassungsrechtlichen Flankierungen wurden sozusagen nachgeliefert.

Die „Arbeiterselbstverwaltung“ besagt in der Praxis, daß der Kreis der jeweils Beschäftigten — und zwar jeder einzelne — auf genossenschaftliche Weise zugleich „Unternehmer“ und „Arbeitnehmer“ ist. Dieser Kreis bestimmt die Produktion, den Produktionsablauf, die Ge-' winn- und Verlustkalkulation, die Investitionen, die Personal-, Lohn-und Gehaltsfragen, die Arbeitsnlatz-bewertung, und er bestimmt auch darüber, wer das Unternehmen „führt“, also die Direktoren. Sie werden in der Regel auf Grund einer „Ausschreibung“ und eines Vertrages gewählt, und zwar für zwei Jahre.

Darüber hinaus- arbeitet das Unternehmen „kapitalistisch“, es ist nur einer staatlichen Rahmenplanung und der staatlichen Fjnanz-und Kreditpolitik unterworfen, wie das ja mehr oder weniger für jedes ökonomische System gültig ist. Welcher Teil des Gewinnes Investitionen zufließt, welcher Teil jedem persönlich zukommt — natürlich nach Abzug von Steuern und Abschreibungen —, das bestimmt die „Selbstverwaltung“.

Da man ein solches System nicht im zentral-planwirtschaftlichen Rahmen praktizieren kann, dezentralisierten Staat und Partei ihre Mächtigkeit, worauf sich das herausbildete, was man eine „sozialistische Marktwirtschaft“ nennen könnte. “

Sehr bald stellte sich aber heraus, was Milovan Djilas, der zur „Unper-son“ erklärte Miterflnder dieses Systems, voraussah: es ist zumindest ungemein schwierig, ein „bisserl Sozialismus“ und ein „bisserl Kapitalismus“ zusammenzugießen und dann zu erwarten, das werde funktionieren. Das Gegenteil trat nämlich ein: der „kapitalistische“ und der „sozialistische“ Teil des Experimentes „vereinigten“ sich nicht, sondern behinderten einander ständig.

Zunächst schwand das „sozialistische Solidaritätsbewußtsein“ dahin und wurde durch oft rücksichtslose Konkurrenz und Vorteils-hasoherei ersetzt. Bei vorherrschend niedrigem Lebensstandard entwickelten sich, des Gewinnes wegen, „Selbstverwaltete Antreibersysteme“, ganz abgesehen davon, daß Standort- und bedarfswidrige Gründungen und Produktionen erfolgten. Es geschah, was man sonst nur dem „Monopolkapitalismus“ /.uschreibt: die Großen fraßen die Kleinen. Da „ungezielt“ vorgegangen wurde, verwandelte sich der erwartete „Gewinn“ sehr häufig in unerwartet hohe Verluste, etwa 900 Betriebe mit einigen hunderttausend direkt und indirekt davon Lebenden wurden insolvent. Die Verluste wirkten sich zunächst in „Lohndrückern“ aus, dann sogar in Lohnkürzungen, in einigen Fällen mußte auch ein längerer Lohnaufschub oder überhaupt ein Totalverlust an Löhnen in Kauf genommen werden.

Das „Sozialistische“ des Modells konnte natürlich nicht dulden, daß die Arbeiter gewissermaßen „sich selbst ausbeuteten“ und daß Betriebe in Konkurs gingen. Der Staat — die Teilrepubliken — hatten einzuspringen, womit sich zumeist eine Redelegierung von „Selbstverwaltungsrechten“ an die Bürokratie verband. Auch wurden Mindestlöhne festgesetzt, die nicht unterschritten werden durften, worauf etliche Betriebe zusperren mußten und — aber nicht nur deswegen, sondern mehr noch wegen verfehlter Produktionsvorstellungen — Arbeitslosigkeit um sich zu greifen begann.

Nun gab es aber und gibt es natürlich einen weitaus größeren Teil, der nicht auf der Strecke blieb, ja, der sogar floriert. Darunter entstanden Unternehmungen von höchster Qualität, großem Ruf und gesichertem Absatz.

Hier tauchten alsbald andere, nicht minder schwierige Probleme auf. Je rationalisierter, ja technisierter, je automatisierter produziert wurde, je komplizierter die Produktionsmaterie sich darstellte, desto schneller schwand der eigentliche Kern der „Arbeitersejpstverwal-tung“ dahin: an seine Stelle traten die Technokraten und die Bürokraten. Sie irafen, da ja auch der Staat dezentralisiert hatte, also „Selbstverwaltungsräume“ schuf, alsbald auf die ihnen entsprechende Spezies von Partnern im Bank- und Kreditwesen, im Ex- und Importgeschäft, aber auch im Finanz- und Steuerwesen. Das bewirkte einmal der komplizierte Arbeitsvorgang, der für Arbeiter nicht mehr zu durchschauen war, zum anderen Male aber die Maxime, daß der ökonomische Erfolg selbstverständlich über der ideologischen Absicht stehen müsse, da mit der letzteren „nichts zu gewinnen“ sei.

Man vertröstete sich darauf, daß ja mit tatsächlich rapide um sich greifender allgemeiner Bildung das Einsichtsvermögen und damit die Fähigkeit der Arbeiter, selbst zu verwalten und selbst zu entscheiden, gesteigert werden würde. Womit man nicht gerechnet hatte, war dies: mit gesteigerter Bildung schwand das Bedürfnis, „Arbeiter“ zu sein. Die, welche höheres Wissen erlangt hatten, wollten eine entsprechend qualifizierte Stellung einnehmen, sei es als Facharbeiter, als Meister, oder als „Technokrat“ und Manager. Und sie sträubten sich natürlich dagegen, von den „gewöhnlichen Arbeitern“, die das Recht auf „Selbstverwaltung“ sehr' ernst nahmen, Richtlinien vorgeschrieben zu erhalten. Ein Teil wanderte ab, zumeist ins Ausland, der andere verfiel auf raffinierte Ausgestaltung der Vorherrschaft der Manager, ein dritter, sehr großer, verhielt sich fortan opportunistisch.

Einerseits bangten Direktoren um ihre Wiederwahl (aber nuch Ingenieure und Lobbyisten) oder befürchteten ihre vorzeitige Ablösung und gaben sachwidrig nach, worauf der Betriebserfolg natürlich dahinschwand; anderseits begannen die Arbeiter als „Gegenwehr“ niedrigere Normen durchzusetzen, höhere Bezahlung, die Arbeitsbereitschaft verringerte sich, nicht selten hielt Bummelei Einzug — die Produktion schrumpfte und verschlechterte sich. Daneben — aber damit in keinem ursächlichen Zusammenhäng stehend — wuchsen Korrumption und Korruption heran.

Staat und Partei sahen ratlos zu. Schließlich veranstaltete man das auch jetzt nooh in vollem Gange befindliche Halali auf die „Technokraten, Bürokraten und Manager“. Und natürlich auch auf die „kleineigen-tümerisohen Elementargewalten“, da sich wegen des unbefriedigend verlaufenden Selbstverwaltungsexperimentes immer mehr „Privatniks“ etablierten und, wie nicht anders zu erwarten, mit ihren zumeist erfolgreichen „kleinkapitalistischen Methoden“ große Erfolge erzielten, die „ideologiefeindliche'“ Bazillenschwärme in die Gesellschaft streuten.

Jetzt will man die Dezentralisierung rezentralisieren; die „Demokratie“ wird verkürzt, die „Arbeiterselbstverwaltung“, des Titoismus eigentliches Kernstück, aber erweitert. Das kann, soll es funktionieren, nur durch einigermaßen straffen Zentralismus geschehen. Was soviel heißt, als daß Bürokratismus und Technokratismus einen neuen, einen „sozialistischen Charakter“ erhalten. Die Partei leitet, lenkt, wählt aus, kontrolliert und korrigiert.

Man darf erwarten, daß damit die Schwächen des alten Systems überwunden werden, wenigstens zum Teil. Indessen werden neue, aus Logik und Erfahrung vorhersagbare Schwächen an deren Stelle treten. Das „Experiment“ ist also nicht „überwunden“, der erhoffte „Qualitätssprung“ nicht geschafft, sondern es beginnt nur ein neues „Experiment“, das natürlich gar nicht neu ist. Es besitzt eine stärkere Ähnlichkeit mit dem, was im „sozialistischen Lager“ üblich ist. ,

Immerhin, einige Probleme — bewältigte und unbewältigte — sind auch für uns lehrreich und werden, so sie es nicht schon offen oder verdeckt sind, auch die unseren werden. Freilich, einen Vorteil besitzen wir und sollten ihn nicht preisgeben: den Zwang zum demokratischen Kompromiß und die Abneigung gegen das Diktat. Ideologien, zumal revolutionäre, sehen sich zumeist der Fatalität gegenüber, irgendwann einmal gezwungen zu sein, die Wirklichkeit der Theorie mehr oder weniger gewaltsam anzupassen. Pragmatische Demokratien können

— durch Konsens oder Kompromiß

— ihre „Theorie“ mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung bringen.

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