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Digital In Arbeit

Vermögen durch gerechten Lohn

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Über die letzte große Sozialver-lcündigung der katholischen Kirche ist j schon sehr viel gesprochen und geschrieben worden Von fast allen politischen Lagern wurden Teile der Enzyklika „Mater et magistra“ zum Beweis für die Richtigkeit oder wenigstens zur Bekräftigung der eigenen Programmatik zitiert. Doch scheint es. daß sich an manche konkrete Richtlinie, die von Papst Johannes XXIII. recht eindeutig aufgestellt wurde, die praktische Politik nicht gerne heranwagt. Einer der vom Heiligen Vater klar formulierten Grundsätze lautet wörtlich:

„Hier muß bemerkt werden, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse vieler Länder den Mittel- und Großbetrieben ein besonders schnelles Wachstum im Wege der Selbstfinanzierung ihrer Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen gestatten. Wo dies zutrifft, könnte den Arbeitern ein rechtmäßiger Anspruch an diese Unternehmungen zuzuerkennen sein, den diese einzulösen hätten, vor allem dann, wenn sie im übrigen nicht mehr als den Mindestlohn zahlen.“ t

Das Problem, das hier mit aller Deutlichkeit angeschnitten erscheint, ist an sich bekannt. Sozialistische Bewegungen haben es unter der Parole des Kampfes um den vollen Arbeitsertrag, die konservative katholische Sozialpolitik unter dem Aspekt der möglichsten Beseitigung des Lohnvertrages, der Aufhebung der Trennung von Kapital und Arbeit durch Mitbesitz der Arbeiter am Betrieb, Produktionsgenossenschaften usw. aufgegriffen. In der neuen Sozialenzyklika ist die Problematik nun unter dem Gesichtspunkt eines „I n v e s t i v 1 o h-n e s“ abermals beleuchtet.

Gerechte Aufteilung der Gewinne

Nach herkömmlicher Auffassung unterscheidet man die Produktionsfaktoren '„Boden — Kapital — Arbeit!“* In unserem Wirtschaftssystem isVrrbr darrrt ein gewinnbringendes .Unternehmen möglich, wenn diese drei Produktionsfaktoren zu einem gemeinsamen Einsatz kommen. Jeder dieser Produktionsfaktoren hat daher auch einen Anspruch auf einen Teil des Gewinnes: Der Boden wirft die Grundrente ab, der Unternehmer hat Anspruch auf den Unternehmergewinn, der durch Kapitalzins, Risikoprämie und Unternehmerlohn charakterisiert erscheint, und schließlich erhält der Arbeiter seinen Arbeitslohn. Das Lohnproblem, wie es unserer Zeit gestellt ist, ergibt sich aus der Frage nach der gerechten Aufteilung der Gewinne beziehungsweise des Wertzuwachses der Volkswirtschaft auf die Arbeitnehmerschaft.

Das einfachste Modell zum Verständnis des Problems sieht folgendermaßen aus: Ein Unternehmer stellt Boden, Werkhallen, Maschinen, Betriebskapital usw. zur Verfügung und beschäftigt eine Anzahl von Arbeitern und Angestellten. Wenn an der Ausstattung de Unternehmens zu Lasten des Ertrages nur die notwendigen Ersatzinvestitionen vorgenommen werden, so kann der restliche Gewinn zur Aufteilung zwischen Unternehmer und Arbeitnehmerschaft verwendet werden. Auch hier ist die gerechte Verteilung schon, ein dornenvolles Problem. In Wirklichkeit liegen die Dinge aber noch viel komplizierter: Sowohl der Unternehmer als auch die Arbeitnehmerschaft haben nämlich ein eminentes Interesse, daß ein Betrieb nicht nur seine momentane Größe und Produktionskapazität beibehält, sondern daß er wächst! Dieses Wachstum der Betriebe geht nun so vor sich, daß meistens nur ein Teil des Ertrages vom Unternehmer für eine mehr oder minder luxuriöse Lebenshaltung entnommen und ein weiterer Teil für Arbeitslöhne und Gehälter aufgewendet wird, während ein oft sehr großer Teil für Erweiterungsinvestitionen reserviert bleibt. Durch diese Erweiterungsinvestitionen vergrößern sich die Betriebe und gewinnen natürlich auch bedeutend an Wert für ihre Eigentümer.

Warum die Reichen immer reicher werden

Hier tritt nun die Ungerechtigkeit zutage: Während ein Teil der durch

Am Zahltag

itöri? 0<H r;i> insibemijftrfsc' das Zusammenwirken von Kapital und Arbeit erzielten Erfolge zwischen den Trägern des Kapitals und den Trägern der Arbeitskraft aufgeteilt wird, fließt der Wertzuwachs durch Vergrößerung und Modernisierung der Betriebe allein dem Kapitalträger zu. Praktisch bedeutet dies also, daß trotz unter Umständen zunehmender Lohnhöhe die Einkommens- und Vermögensverteilung immer unbefriedigender wird!

Dabei ist es unleugbar, daß alle Schichten des Volkes — Unternehmer, Arbeiter, Angestellte, Pensionisten — an der ständigen Expansion der Volkswirtschaft geradezu ein Lebensinteresse haben muß. Nicht nur die Fortschritte auf dem Lohnsektor, auch das ganze Gebäude unserer sozialen Sicherheit, so zum Beispiel die Versorgung der bereits aus dem Arbeitsprozeß ausgeschiedenen Menschen, hängen vom Gedeihen der Wirtschaft ab.

Der gigantische Wiederaufbau nach dem Krieg wäre nicht ohne Investitionstätigkeit möglich gewesen. Vielfach wird daraus gefolgert, daß die Einkommensverteilung nun einmal so sein müsse, daß ein ausreichender Teil des Sozialprodukts an spar- und investitionswillige Einkommensbezieher fällt. Nicht ganz zu Unrecht erwartete man, daß dieser Spar- und Investitionswille vor allem bei den Beziehern großer Einkommen vorhanden ist, wogegen die Bezieher kleiner Einkommen Jede Einkommenssteigerung überwiegend zur Erhöhung der Lebenshaltung verwenden müssen, also dem Konsum- und nicht dem Investitionssektor zuführen. Unter dieser Rücksicht erscheint der Unternehmergewinn manchen als die förderungswürdigste Einkommensart, und derartige Überlegungen finden zum Beispiel in der Steuergesetzgebung einen gewissen Niederschlag.

Das heiße Eisen der „Lohngerechtigkeit“ anzufassen kann man sich nicht mit dem Hinweis ersparen, daß die ungeheure Investitionstätigkeit der Nachkriegszeit eher im Abflauen begriffen ist und daher die Beteiligung der Arbeitnehmer an diesem wirtschaftlichen Wertzuwachs immer weniger interessant wird. Es ist bedauerlich genug, daß der Wiederaufbau unserer Wirtschaft bisher vor allem im

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Zwangssparens über die Preise erfolgte. Die Verteilung des Wertzuwachses der österreichischen Volkswirtschaft hat daher der Zwangsläufigkeit dieses Systems, nicht aber der Gerechtigkeit entsprochen!

In der Bundesrepublik Deutschland, wo diese Probleme viel eingehender studiert und diskutiert werden als bei uns, hat ein namhafter Vertreter der katholischen Soziallehre über diese Vermögenshäufung bei Unternehmern und Kapitalbesitzern im Zuge des Wiederaufbaues folgendes geschrieben:

„Wohl haben die Arbeiter einen schönen Lohn dabei verdient, aber ein gerechter Anteil am Ertrag, vor

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&#9632;I' wschn-'T m ni V?“ ' allem an den unverteilten Gewinnen, wurde ihnen vorenthalten. Bedenkt man. wie dringend die Reform unserer Vermögensverteilung ist und welche einmalige Gelegenheit diese Nachkriegsentwicklung bot, so kann der Vorgang nur als ein Skandal bezeichnet werden, der nach Abhilfe schreit.“

Selbst der bekannte Verfechter der „sozialen Marktwirtschaft“ neoliberaler Prägung, Prof. Alexander Rüstow, ist der Überzeugung, niemand werde im Ernst behaupten wollen, „daß die Verteilung von Vermögen und Einkommen in unserer plutokratischen Wirtschaftsordnung irgend etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun hätte“.

Der Investivlohn

Da der Gewinn, den ein Unternehmen erzielt, nicht ohne die tätige Mitwirkung der Arbeiter und Angestellten zustande kommt, beansprucht die Arbeitnehmerschaft mit Recht diejenige Quote für sich, die ihrem Anteil am Betriebserfolg entspräche. Doch nicht nur vom einzelnen Betrieb aus ist das Problem zu sehen. Der gesamte Wertzuwachs der österreichischen Volkswirtschaft seit dem Wiederaufbau ist neben dem unternehmerischen Einsatz der Leistung aller Arbeitnehmer zuzuschreiben, und zwar nicht nur den in den Betrieben direkt an der Produktion beteiligten, sondern indirekt auch allen anderen, mit Planung, Verwaltung, behördlicher Aufsicht und anderem beschäftigten Arbeitnehmern.

Objektiv gesehen ist weder die Inanspruchnahme der gesamten Nettowertschöpfung oder des Substanzzuwachses der Unternehmen durch die Unternehmer noch die Inanspruchnahme des gesamten „Mehrwertes“ durch die Arbeitnehmerschaft sozial gerechtfertigt. Die Lage des arbeitenden Menschen als Konsumlohnempfänger ist aber nun einmal nicht unbegrenzt zu verbessern. Lohnerhöhungen, die über den Produktivitätszuwachs hinausgehen, führen bekanntlich zu Preiserhöhungen, sind daher nur nominelle und nicht reale Einkommensverbesserungen. Die Summe der in unserer Wirtschaft möglichen

Arbeitnehmereinkommen wäre aber dann noch weiter steigerungsfähig, wenn diese Erhöhung nicht ausschließlich in den Konsum, sondern auch in die Kapitalbildung ginge!

Die erste Folgerung aus diesen unabänderlichen Gegebenheiten ist demnach der Aufruf zum Sparen. Sparen aber heißt Konsumverzicht, und wenn jetzt immer lauter der Ruf nach Sparsamkeit erschallt, so muß man doch wohl auch die Ehrlichkeit aufbringen, zuzugeben, daß ein Konsumverzicht noch manchen Schichten unseres Volkes nicht zumutbar ist. Oder will man es vielleicht dem alleinverdienenden Familienerhalter mit vielen Kindern verargen, wenn er die bei der nächsten Steuersenkung und allfälligen Erhöhung der Kinderbeihilfen bestenfalls zu erwartende Einkommenserhöhung von 30 bis 40 Schilling monatlich dazu verwendet, seinen Kindern statt Äpfeln nun auch hie und da Orangen und Bananen zu kaufen? Und wie steht es mit den Kleinverdienern, den Rentnern, den Saisonbeschäftigten usw.?

Größter Gewinn: Aktien

Von der Zumutbarkeit des Konsumverzichtes abgesehen, hat die Forderung nach Einführung eines Investiv-lohnes jedoch noch einen anderen Aspekt. Wer etwa seine Ersparnisse in ein Geldinstitut trägt, erhält dafür Zinsen, die fast nur den jährlichen

Kaufkraftschwund wettmachen Wer seine Ersparnisse in dauerhaften Konsumgütern anlegt, nützt diese ab und erleidet dadurch eine Wertverminderung. Das gilt natürlich auch für Eigentumswohnungen, Autos und so weiter. Hätte aber beispielsweise im Jahre 1953 jemand ein Börsenpapier erworben, so würde dieses heute durchschnittlich den dreifachen bis fünffachen Wert darstellen! Eine gesunde Gesellschaftsordnung müßte also weitesten Kreisen nicht nur „Eigentumsbildung“, sondern eine echte „Vermögensbildung“ ermöglichen!

Man hat deshalb vor längerer Zeit mit der Beteiligung der Arbeiter an ihrem Betrieb zu experimentieren begonnen. Zweifellos stellt ein solcher Mitbesitz auch einen Anteil an der Vermögensbildung im Betrieb dar, sofern sich das Unternehmen gedeihlich entwickelt. Anderseits ist aber damit eine Risikohäufung für den Arbeitnehmer verbunden, der nun nicht nur mit,seinem Arbeitsplatz, sondern auch durch seinen Mitbesitz vom Wohl und Wehe des Betriebes abhängig ist, Schließlich aber ist eine solche Mitbeteiligung gar nicht bei allen Betrieben möglich, ja sie wäre sogar für weite Zweige der Arbeitnehmerschaft, wie zum Beispiel die öffentlich Bediensteten, ausgeschlossen. Das aber ist wieder eine Ungerechtigkeit, denn an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung sind — wie wir schon oben darlegten — alle Arbeitnehmer beteiligt.

Die Frage des Investivlohnes ist daher nicht auf Betriebsebene zu lösen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde vor einiger Zeit vorgeschlagen, eine Art Sozialfonds zu bilden, der Zertifikate, ähnlich etwa den österreichischen Investmentzertifikaten, als Lohn- und Gehaltsbestandteile ausgeben könnte. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich wird hier noch manches Neuland beschritten werden müssen, doch scheint die Lösung des Problems am ehesten auf diesem Weg, nämlich durch Kapitalmarktpapiere, möglich.

Den Schwierigkeiten zum Trotz

Die gerechte Beteiligung der wertschaffenden Arbeit neben dem wertschaffenden Kapital an der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung kommt nicht von selbst in Gang. Können wir aber noch länger zusehen, daß die Kapitalbildung das Privileg einer kleinen gesellschaftlichen Gruppe bleibt, daß die gesamten Nettoinvestitionen ausschließlich in das Vermögen einiger weniger fallen? Es ist eine Binsenwahrheit, daß — je mehr breiteste Kreise an der Kapitalbildung beteiligt sind — um so krisenfester nicht allein die Volkswirtschaft, sondern die gesamte Sozialstruktur wird. Es ist auch schon oft betont worden, daß eine auf Privateigentum beruhende Gesellschaftsordnung nur dann in ihrem Bestand gefestigt ist, wenn möglichst viel gestreutes Privateigentum vorhanden ist. Man wird das nur auf den Spezialfall anzuwenden haben und sagen können: Das Privateigentum an Produktionsmitteln ist nur dann sinnvoll und in der Sozialordnung aufrechtzuerhalten, wenn breitesten Kreisen Anteil an den Produktionsmitteln und ihrer Wertschöpfung gewährt wird!

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