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Digital In Arbeit

Arbeitswelt 2000

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Beim Gewerkschaftskongreß im September wird die Vermögensbildung von Arbeitnehmern, aber auch die Trennung in Arbeiter und Angestellte diskutiert werden.

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Beim Gewerkschaftskongreß im September wird die Vermögensbildung von Arbeitnehmern, aber auch die Trennung in Arbeiter und Angestellte diskutiert werden.

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„Ich sehe in meiner Arbeit keinen Sinn; ich arbeite, bis ich sechzig bin und warte auf die Rente. In meiner Abteilung, da gibt es keinen Aufstieg, da kommt man hin und bleibt das, was man ist. Für mich gibt es keine Veränderung. Ich bin Helfer und bleibe Helfer.“ •

Der 33jährige Hilfsarbeiter beantwortet meine Fragen ebenso gleichmütig und monoton, wie er seine Arbeit verrichtet. Früh schon mußte er Verantwortung tragen. Sein erster Sohn (17) ist heute in jenem Alter, in dem er selbst Vater wurde. Sein zweites Kind kam ein Jahr später zur Welt. Damals wurde sein sozialer Lernprozeß jäh unterbrochen.

Schlosser wollte er lernen, Maurer hat er gelernt und heute ist er Hilfsarbeiter: Die beiden Bauunternehmen, in denen er in seinem erlernten Beruf tätig war, sind zugrundegegangen. Seither lebt er in Angst und sucht Sicherheit: „Hier muß ich halt jede Dreckarbeit machen, die großen Tanks reinigen, aber ich habe einen sicheren Arbeitsplatz.“

Entscheidend für die Stellung im Betrieb ist, ob eine Hilfstätigkeit oder eine gelernte Arbeit verrichtet wird. Welten der Bewußtseinslage liegen dazwischen. In der Hierarchie vom leitenden Angestellten über den Angestellten zum Vorarbeiter und Facharbeiter stellt der Hilfsarbeiter die unterste Stufe dar.

Das weiß und empfindet er, obwohl man es ihn bewußt meistens nicht fühlen läßt. Der Meister begegnet ihm als Kumpel, er gibt seine Anweisungen in kameradschaftlich lockerem Ton, bestes Einvernehmen besteht mit anderen Arbeitern. Trotzdem kann er sich eines permanenten Gefühls der Diskriminierung nicht erwehren. Und dieses Gefühl empfinden auch die meisten anderen Arbeiter, wenn sie mit Angestellten zu tun haben. Deshalb breite Zustimmung auf die Frage, ob die Zweiteilung in Arbeiter und Angestellte fallen gelassen werden und der einheitliche Begriff „Arbeitnehmer“ eingeführt werden soll.

Ein junger Facharbeiter unterbricht die Frage spontan: „Da wäre ich schon sehr dafür. Man erlebt die schönsten Dinge als Arbeiter. Die Damen im Bürohaus sagen einem glatt ins Gesicht: ,Mit einem Arbeiter unterhalte ich mich gar nicht.' Sie glauben, sie sind gesellschaftlich eine

Schichte höher, und man kriegt das auch zu spüren.“

Die Arbeiter erhoffen sich viel von einer derartigen Reform, ebenso wie Österreichs sozialistische Politiker. „Wir wollen schrittweise das Sozialprestige des Arbeiters heben. Es ist dies ein sozialpsychologisches Problem, und es gibt keine sinnvolle Begründung für die Trennung von Arbeitern und Angestellten. Den Angestellten wird nichts genommen. Wenn einer ein Butterbrot hat, so will man ihm nicht die Butter wegnehmen, es besteht bloß auch für den anderen ein Rechtsanspruch auf Butter“, findet der frischgebackene Nationalratsabgeordnete Rupert Gmo-ser einen büdhaften Vergleich. Durch die Entgeltfortzahlung und die Abfertigung für Arbeiter seien die arbeitsrechtlichen Unterschiede weiter verringert worden, es gebe sie praktisch nicht mehr.

Anders sieht es die Volkspartei. Der Angestellte sei von jeher sozialer Schrittmacher gewesen, als Vorbild für den Aufstieg durch Leistung. Im ÖVP-Pressedienst vom 22. Mai heißt es: „Der ÖAAB lehnt es ab, den Begriff des Angestellten aus dem Arbeitnehmersektor zu entfernen. Das iol\ aber nicht heißen, daß wir nicht auch für eine Angleichung der Arbeiter bei den wichtigsten Rechten sind. Wir glauben aber, daß es von Vorteil für alle Arbeitnehmer ist, wenn die großen Berufsgruppen eine gewisse Selbständigkeit erhalten.“

Und der amtierende Obmann des ÖVP-Arbeiter- und Angestelltenbundes, Herbert Kohlmaier, zur FURCHE: „Die Gemeinschaft geht verloren, dies führt zu unübersichtlichen, unüberschaubaren Gebilden.“ Außerdem ortet Kohlmaier irrationale Barrieren bei den Angestellten.

In der Bundesrepublik Deutsch- -land installieren einige Unternehmen Teams, in denen Arbeiter und Angestellte gemeinsam ein Projekt ausführen. Doch in den Arbeitspausen und beim Mittagstisch gehen Arbeiter und Angestellte getrennte Wege. Trotzdem könnte das Modell Chancen haben, braucht es doch manchmal Generationen, um VorurteUe zu brechen.

Damit sind wir auch schon im Reich der Zukunft. Was wissen wir von der „Arbeitswelt 2000“? Stehen wir heute vor einem arbeits- und damit gesellschaftspolitischen Scheideweg? Wo und wie werden die Entscheidungen für die Zukunft fallen?

Die beiden Großparteien sprechen locker vom „Volkskapitalismus“ der Zukunft und unterscheiden sich wesentlich in der Auslegung. Für die ÖVP geht es um die konsequente Fortführung der sozialen Marktwirtschaft und um ihr Modell der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand (freiwillige Beteiligung an der Substanz und am Ergebnis jenes Unternehmens, in dem der Arbeitnehmer beschäftigt ist).

Die Sozialistische Partei will die kollektive Vermögensbildung: Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, für jeden Arbeitnehmer bestimmte Beträge in einen zentralen Fonds einzuzahlen, der das Kapital für die Arbeitnehmer bildet. Der Arbeitnehmer erwirbt so nicht Besitzanteile an seinem Betrieb, sondern an den anonymen Produktionsmitteln der Gesellschaft. Das wieder betrachtet die Volkspartei als staatssozialistische Strukturen, die für den Gedanken des Privateigentums keinen Platz mehr ließen.

Beim Gewerkschaftskongreß im September wird der gesamte Komplex zur Diskussion stehen: „Im Hinblick auf das Jahr 1980 werden wir das Thema Vermögensbildung diskutieren. Wir werden kein Plagiat von Herrn Mock vorstellen, wiewohl der Arbeitnehmer die Chance der freien Entscheidung zugesichert bekommen muß“, gelobt der Präsident der Metallarbeitergewerkschaft, Karl Sekanina. Zuallererst bedürfe es einiger Etappen der Bildung und Information. Derzeit bestehe bei den Arbeitnehmern so gut wie kein Interesse an der Vermögensbildung. Dasselbe glauben auch andere Politiker, quer durch die Parteien.

In vielen Großbetrieben kann sich der Arbeiter überhaupt nichts unter dieser Vermögensbildung vorstellen. Auch die Koppelung mit neuen Formen der Mitsprache, der Mitbestimmung, erscheint vielen unrealisierbar; sie zweifeln an ihrer Fähigkeit, die großen Zusammenhänge zu erkennen und zu durchschauen. Anders in Klein- und Mittelbetrieben. Hier kann sich der eine oder andere sehr wohl vorstellen, Mitbesitzer in einer Gemeinschaft zu sein, allerdings nur im eigenen Betrieb, wie es das VP-Modell vorsieht.

Wenn es um direkte Mitbestimmung geht - auch ein Aspekt der zukünftigen Arbeitswelt - wird der Arbeiter konkreter. „Wir in der Praxis“, so ein Arbeiter in einem größeren Betrieb, „sehen manchmal recht gut, was notwendig wäre. Als das Lager neu gebaut wurde, habe ich einen Plan entworfen. Was glauben Sie, wie die Architekten über mich hergefallen sind?! Und dann war es ihr Werk, das nicht funktionierte und umgebaut werden mußte. Mein Vorschlag war richtig.“ Manche Betriebe wissen um den Wert dieser Erfahrungen und haben ein innerbetriebliches Vorschlagswesen eingeführt.

Das Jahr 2000 soll die Gesellschaft verändert vorfinden. Der einzelne soll mündiger werden; die betriebliche Hierarchie ist aufgebrochen; Humanisierung und Demokratisierung sollen Hand in Hand eine neue Arbeitswelt schaffen, in der das Recht auf Menschenwürde seinen sicheren Platz hat, wie Rupert Gmoser es formuliert. Die jüngsten Schlagzeilen über die Probleme der Schichtarbeit beweisen beispielhaft, wie weit wir von den erwähnten Vorstellungen noch entfernt sind. Und eine bisher unveröffentlichte Studie der Wirtschaftsuniversität Wien zum Thema „Schicht-Nachtarbeit aus soziologischer Sicht“ gibt nicht viel Hoffnung. Gewöhnung an Schichtarbeit findet nicht statt.

Folgt man den beiden Autoren Gertraude Mikl-Horke und Helmut Leuker, so paßt sich der physiologische Rhythmus des Individuums an den Rhythmus der Schichtarbeit nicht an. Die Verfasser der Studie sprechen vom sozialen Zeitbewußtsein: Dem Schichtarbeiter ist bewußt, daß er sich abweichend verhält. Dies wieder führt zu Depravation und in der Folge zu psychosomatischen Erkrankungen.

Dazu ein älterer Schichtarbeiter: „So weit ich mir das alles vorstellen kann, wird es Schichtarbeit immer geben müssen. Es wäre deshalb schön, wenigstens früher in Pension gehen zu können.“ Genau das ist der Vorschlag der Volkspartei, den die Sozialisten als zuwenig weitgehend bis dato verwerfen.

Sucht man nach weiteren Konturen der „Arbeitswelt 2000“, so darf das „heiße Eisen“ Arbeitszeitverkürzung nicht fehlen, und damit auch das Thema Freizeit. Vieles mehr wird uns noch einfallen müssen, damit Menschen ihre Freizeit sinnvoll erleben. Soziales Engagement, Nachbarschaftshilfe könnte in die Freizeitgestaltung eingebaut werden, um nur ein Beispiel zu nennen.

Vorerst allerdings müßte Einigkeit über den Weg zur Verkürzung der Arbeitszeit gefunden werden. Viele Vorschläge stehen zur Debatte:

• 35-Stunden-Woche

• Verlängerung der Schulpflicht

• Herabsetzung des Pensionsalters

• Mehr Urlaub

• zusätzlich Bildungs- und Schulungsurlaube

• Anrechnung von Pendelzeiten u. a.

Eines ist sicher: Die 35-Stunden-Woche will heute beinahe niemand, weder die Politiker noch die Arbeitnehmer. Ausnahme: Frauen könnten sich Teilzeitarbeit für jedermann wünschen. Mann und Frau würden sowohl berufstätig sein als auch gemeinsam den Haushalt besorgen und - was vielleicht schon als geheimer Wunsch vereinzelt in jungen Väterherzen nistet - ihre Kinder ebenso betreuen, wie es bis jetzt das Vorrecht der Mutter war.

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