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Eine Pfarre feierte ihr Faschingskränzchen, die jungen Leute fanden sich zum Tanz, die dekorativen und tragenden Säulen der Pfarrarbeit saßen mit dem Pfarrer an einem Tisch, und alsbald kam das Gespräch in Fluß. (Die Worte des Gespräches klangen milder als ihre gedruckte Wiedergabe, denn der Dürnsteiner war gut und die drei Gesprächspartner — soweit sie es vermochten — auch. Sie wollten mit ihrem Gespräch ihre subjektiven Standpunkte feststellen. Gern würden sie sich zu weiteren Gesprächen über diese Fragen zusammensetzen, sagten sie …)

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Eine Pfarre feierte ihr Faschingskränzchen, die jungen Leute fanden sich zum Tanz, die dekorativen und tragenden Säulen der Pfarrarbeit saßen mit dem Pfarrer an einem Tisch, und alsbald kam das Gespräch in Fluß. (Die Worte des Gespräches klangen milder als ihre gedruckte Wiedergabe, denn der Dürnsteiner war gut und die drei Gesprächspartner — soweit sie es vermochten — auch. Sie wollten mit ihrem Gespräch ihre subjektiven Standpunkte feststellen. Gern würden sie sich zu weiteren Gesprächen über diese Fragen zusammensetzen, sagten sie …)

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Stadtpfarrer: Darf ich bekanntmachen: Herr .Gemeinderat Dr. Bürger. („Angenehm!") — Der Leiter unserer KAB-Runde, Mechaniker M. („Sehr erfreut!“)

Bürger: Ich bin wirklich sehr erfreut, daß auch Arbeiter die Notwendigkeit einsehen, sich an die Kirche zu halten.

Arbeiter: Wohl braucht der Arbeiter die Kirche, aber ebenso notwendig braucht auch die Kirche den Arbeiter.

— Entschuldigen Sie, bitte, daß ich so große Worte sage; der Ausspruch ist nicht von mir, sondern von Pius XL

Pfarrer: Ich muß Herrn M. rechtgeben: Die Arbeiterrunde der Pfarre hat viel für unser heutiges Zusammensein beigetragen, und ohne ihre ehrenamtliche Hilfe hätten wir unseren Kindergarten nicht einrichten können. — Auf Ihr Wohl, Herr M.!

Arbeiter: Gesundheit, Herr Pfarrer!

— Wir helfen gern, soweit wir können; pfarrlicher Arbeitsdienst scheint mir aber nicht das Wesentliche und Vordringliche unserer Existenz im kirchlichen Raum zu sein.

Bürger: Seien Sie zufrieden! Sie wirken — wie ich höre — hier an der Pfarre als Kirchenrat mit, eine Stellung, die früher höheren Beamten, Doktoren und namhaften Geschäftsleuten vorbehalten war. Unsere Arbeiter können auf der ganzen Linie zufrieden sein mit der gesellschaftlichen Stellung, die sie erreicht haben; sie haben Löhne, die manchmal schon sind, und die Gewerkschaft. sie; immer noch weiter hinauhutreiben. . ' Arbeiter: Die Haltung der Gewerkschaften wird verständlich, wenn man weiß, daß die Preise den Löhnen immer um weite Zeit voraus sind, und daß den weitaus größeren Gewinn an der Konjunktur immer noch die Unternehmerschaft hatte. Was die Stellung des katholischen Arbeiters im kirchlichen Raum angeht, scheint mir die Welt der Katholiken eine ziemlich stiefmütterliche zu sein. Bedenken Sie etwa, wie viele Religionsprofessoren an der Ausbildung der Studierenden mitwirken, wie viele katholische Konvikte es gibt, wie viele Seelsorger Runden von Akademikern, Gebildeten, Mittelschülern führen. Wie wenig aber wird dagegen für die Ausbildung des jungen und erwachsenen Arbeiters getan, der mehr in die Wüste verirrt ist als der Bürger.

Pfarrer: Sie meinen, im katholischen Raum sei so etwas wie ein Klassenkampf nötig?

Arbeiter: Ja, doch nicht im Sinne von Klassenhaß. Den ihm zukommenden Platz am Licht der Sonne muß der Arbeiter erst erobern. Mich wundert es nicht, daß sich meine Arbeits kameraden im Gotteshaus nicht recht zu Hause fühlen, denn in der liturgischen Gestaltung und in den Pre-

Anwesenheit .Notiz genommen. Zum mir Ldą durchaus verständlich: Die Kirche von gestern hatte im Bürgertum und im Bauernstand ihr Rückgrat; die Kirche von heute könnte aber etwas rascher erkennen, daß sich der Arbeiter nach Gott sehnt (weil er spürt, wie er ohne Gott verlassen und verloren ist). Der kirchliche Raum ist bisweilen so blockiert von Ihresgleichen, daß der Arbeiter dort schwer einen Platz findet.

Bürger: Wollen Sie auf mein Mandat in der Gemeindevertretung anspielen? Im Interesse des Staatsganzen und der katholischen Lehre werde ich immer auch die Interessen meiner Partei vertreten müssen.

Arbeiter: Im Interesse des Staatsganzen und der katholischen Lehre und der Arbeiterschaft werden wir katholischen Arbeiter einen jeweils gerechten Weg gehen müssen.

Bürger: Es gibt nur eine christliche Partei, und man kann nicht zugleich Christ und Marxist sein.

Arbeiter: Es gibt nur eine christliche Gerechtigkeit, und man kann nicht zugleich Christ und Kapitalist sein.

Bürger: Es gibt nur wenige Parteien,

die das politische Leben tragen. Entweder schließt man sich einer ganz an oder man ist für das öffentliche Leben

Arbeif; ist in Bewegung. Jede 'Partei. ’ hat“ ihr Zentrum und mehrere Flügel, und in ihnen Kräfte, die anerkennenswert sind, aber auch Richtungen, die einem nicht zusagen.

Bürger: Irgendwohin muß man sich aber entscheiden.

Arbeiter: Ich entscheide mich für die jeweils gerechte Sache; ist diese gerechte Sache zugleich Sache einer Partei, so gehe ich in dieser Sache mit der betreffenden Partei. Die Parteien sind für die Menschen da, nicht die Menschen für die Partei.

Pfarrer: Ob die Parteien mit einer solchen Haltung zufrieden sind?

Arbeiter: Sie sind es nicht. — Ich verstehe ihr Verlangen nach möglichst bedingungslosen Gefolgsmannen. Es wird aber nur zu ihrem Wohle sein, wenn sie sich jedem gerechten Anliegen öffnen und jeden Bundes- genössen begrüßen, der ein Stück eines guten Weges mit ihnen geht.

Bürger: Es ist verständlich, daß Sie — beeinflußt von Ihrer Umwelt — zu gewissen Linkstendenzen neigen.

Pfarrer: Ich glaube, wir sehen hier besser von persönlichen Auffassungen ab. — Ich bin in meiner Stellung Priester und nicht amtlicher Vertreter einer Partei. Daß Sie einen Raum in der Pfarre für Ihre KAB-Runde zur Verfügung haben, mag Ihnen meine Loyalität beweisen. Übrigens war ich überrascht, als Sie vor einiger Zeit die Gründung einer KAB-Runde an unserer Pfarre anbahnten: Es kostet mich anderwärts große Mühe, Männer für das Mittun an pfarrlichen Versammlungen zu gewinnen und zu erhalten. Nun kamen Sie selbst mit Ihrem Anliegen, eine KAB-Runde zu gründen.

Arbeiter: Ich kam mit Ihrem Anliegen, Hochwürden! Ich kann mich nicht mit der Tatsache abfinden, daß seit Menschengedenken nur '20 Prozent der Pfarrangehörigen (und vielleicht vier Prozent der Arbeiter) praktizierende Katholiken sind. Das ist in meinen Augen ein Skandal, den zu ändern wir alle Kraft einsetzen müssen!

Bürger: Mir tut es leid, daß Sie diese Müht nicht im Rahmen unserer Pfarrmännerrunde auf sich nehmen. —

Einheit der Katholiken ist ein kostbares Gut.

Arbeiter: Auch Menschenrechte sind ein kostbares Gut. Sie haben unlängst bei der Männerversammlung in einem Vortrag über „Rerum Novarum“ die geistige Weite Leos XIII. gepriesen, der den Arbeitern das Recht zuerkannte, in eigenen Verbänden ihre Anliegen wahrzunehmen. Warum ziehen Sie nicht die Konsequenzen für unsere Pfarre? Meine Arbeitskameraden würden sich in der „allgemeinen“ Männerrunde nicht wohlfühlen; sie sind jüngere Jahrgänge, fast alle Konvertiten- oder Katechumenentypen. Sie wollen auch nicht nur (zumeist) unverbindliche bildende Vorträge hören, sondern für die gute Sache etwas tun.

Bürger: Ich habe gehört, daß Ihre Runde die Form eines Aktivistenkreises hat; auch wir haben diese von Cardijn kommende Methode zum Teil übernommen.

Arbeiter: Wenn jemand die Uniform eines Generals anzieht, ist er deswegen noch nicht schon General. Eine Methode ist ein „Anzug nach Maß“ für den Geist einer Bewegung. Die Cardijn-Methode ist der ins Leben und in die Organisation umgesetzte Car- dijn-Geist. Für die pfarrliche Männerrunde ist gemäß der Stellung, Bildung und Tradition der Teilnehmer ein humanistisches Christentum das Gegebene, während w i r mehr Realisten sind.

Pfarrer: Es ist nicht leicht, die Zielstrebigkeit der einzelnen Seelsorgewege zu erkennen und den besten Weg zu gehen. Für mich als Pfarrer ist tatsächlich eine einheitliche Männerrunde leichter zu überblicken und zu betreuen, als mehrere spezialisierte Sparten.

Arbeiter: Es gilt nicht nur die fünfzehn — im Guten „verhärteten“ — Männer zu überblicken, die zur Männerrunde kommen, sondern die sechstausend in den Häusern, Geschäften und Arbeitsstätten des Pfarrgebietes. Wissen Sie, Hochwürden, wie viele von diesen sechstausend Arbeiter sind und wie viele Familien unserer Pfarre Arbeiterfamilien? gestellten dazurechnet. Werden es mehr ’ als die Hqlfte sein.

Arbeiter: Wissen Sie, Herr Pfarrer, daß unsere Stadt 187 Pfarren hat, daß aber nur zwei Pfarrer regelmäßig bei Ihrer Arbeiterrunde mitarbeiten?

Pfarrer: Sie arbeiten mit dem Vorschlaghammer, wenn Sie reden. — Wenn Sie mich davon überzeugen können, daß die (derzeit) fünf Mann Ihrer — das heißt unserer — KAB- Runde das Christentum in der Welt der Arbeit spürbar vorantragen könnten, würde ich es einzurichten versuchen, ihnen mehr Kraft und Zeit zu widmen. Glauben Sie, daß die KAB (und im Jugendsektor die KAJ) Zukunft hat?

Arbeiter: Es kann nicht mit einem Schlag alles nachgeholt sein, was Generationen zu tun versäumt haben. Cardijn hat 1912 mit sechs jungen Arbeitern in Brüssel begonnen. Er sagte ihnen: „Wenn ihr den Glauben habt, werdet ihr die Welt erobern!" — Heute steht die KAJ in 93 Ländern der Erde. — Wir müssen aufholen, um unsere Zeit meistern zu gönnen. Andernfalls ist unser heuriges „Rerum, Novarum“-Jubiläum nur eine Feier von 70 Jahren Dornröschenschlaf.

Bürger: Macht nicht die marxistische Infektion die Möglichkeit einer Verchristlichung der Welt der Arbeit auf breiterer Basis einigermaßen utopisch?

Arbeiter: Die größte Schwierigkeit sind die reaktionären und restaura- tiven Elemente im eigenen katholischen Lager, von hohen Laienführungen bis in die einzelne Pfarre herunter.

Bürger: Darf ich Ihnen nachschenken, damit Sie wenigstens mich von den Menschenfressern ausklammern?

Arbeiter: Wenn ich für jeden Arbeiterapostel der Cardijn-Bewegung in Österreich, der letztlich wegen seines Eifers für die gute Sache von Leuten des eigenen katholischen Lagers „abgeschossen“ wurde, einen Schilling bekäme, würde ich dafür gleich einen Liter Dürnsteiner bezahlen können. — So mache ich es halt von meinem „unverantwortlich hohen“ Lohn. Prost, Herr Doktor! Gesundheit, Herr Pfarrer!

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