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Frischer Wind …

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Am 11. und 12. September fand, wie bereits kurz berichtet, im Bildungs- und Erholungsheim der Katholischen Arbeiterbewegung KAB „Wiesenhof" bei Hall in Tirol die erste gesamtösterreichische Studientagung der KAB Oesterreichs statt.

Nun sind wir ja in Oesterreich Tagungen auf normaler, hoher und höchster Ebene gewohnt und wissen auch, daß man von manchen Konferenzen sagen kann: „Außer Spesen nichts gewesen": andere Zusammenkünfte haben vorwiegend dekorative Wirkung, etlichen Tagungen kommt aber doch beachtliche sachliche Bedeutung zu. Zu dieser letzten Gruppe kann man wohl die Studientagung der KAB zählen. Die Katholische Arbeiter j u g e n d hat sich in den knapp 14 Jahren ihres Bestehens bei uns einen Namen gemacht. Die Katholische Arbeiter- bewegung, ihre natürliche Nachfolgerin auf dem Erwachsenensektor, war — obwohl sie stetig anwuchs und gut arbeitete — bisher noch vielen unbekannt und ist nun zum erstenmal an das Licht der Oeffentlichkeit getreten.

Die Versammlung von etwa 120 Arbeiterführern aus dem katholischen Lager verdiente den dekorativen Rahmen, den ihr unter anderem die Anwesenheit der Bischöfe Dr. Paulus Rusch und Dr. Leo Pietsch, der Nationalräte Dr. Kummer, Dengler, Hetzenauer, Bundesrates Salcher, eines Vertreters des Bundes Internationaler Katholischer Arbeiterbewegungen, Albert Vandamme Belgien, Diözesanführers Willi Heidkamp Paderborn als Vertreter der westdeutschen KAB, August Steffens, Generalsekretärs der Schweizer KAB, sowie des Verbandspräses des Süddeutschen Werkvolkes, Msgr. Meier, und ein eigenes Glückwunschtelegramm Johannes XXIII. gab.

Die Referate Nationalrats Dr. Karl Kummer, „Die Situation der österreichischen Arbeiterschaft", Bischofs Dr. Paul Rusch,’ „Die Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Einstoßes der KAB in die Arbeiterschaft“, und KAB-Füh- rers Josef S t e u r e r, „E>ie kommenden Schwerpunkte der KAB-Arbeit“, gaben eine umfassende Uebersicht über die Probleme und Fern- und Nahziele der KAB von heute.

Einen Einblick in die Gedankenwelt des katholischen Arbeiters und seine schwierige Position, in der er an zahlreichen Frontabschnitten in Angriff und Abwehr steht, können etwa folgende Fragmente aus den zweitägigen Beratungen auf dem Wiesenhof geben:

In einem der Arbeitskreise, dem Arbeitskreis Religiöse Fragen, berichteten die Teilnehmer, daß die Arbeitskollegen ihrer Betriebe wohl durchschnittlich recht verschwommene Vorstellungen von Gott haben, aber doch in ihrer Mehrzahl „an etwas“ glauben. „Und was halten die Kollegen in den Betrieben, in denen Sie arbeiten, von der Kirche?“, wurde als Frage gestellt. Die Antworten darauf waren weniger günstig: „Die Kirche erscheint vielen als ein Verein, mit dem man praktisch kaum etwas zu tun hat.“ „Als Geldinstitut mit Beitragsforderungen.“ „Als fortschrittsfeindliche Verdummungsanstalt.“ „Als Schutzmacht der Unternehmer." „Priester sind die uniformierte Garde der OeVP." Saubere Hände zu haben und kameradschaftliches Sich-Kümmern um die Arbeitskollegen wurden als gängigste Mittel bezeichnet, die Kirche im Betrieb „salonfähig" — man könnte auch sagen „betriebsfähig“ — zu machen.

Der Arbeitskreis Wirtschaftliche Fragen zeigte nach umfangreichen Voruntersuchungen, daß das Schlagwort vom Arbeiter, der ohnehin schon zuviel hat und das, was er hat, vertrinkt, durchaus nicht die Situation der durchschnittlichen Arbeiterfamilie charakterisiert. Als ein Marschziel in Wirtschaftsfragen wurde unter anderem der Investitionslohn angegeben.

Die Fülle der offenen sozialen Pro- b 1 e m e sei durch einige der behandelten Fragen angedeutet: Ist der Arbeiter überhaupt an sozialen Fragen interessiert? Wie steht der Arbeiter sozialen Einrichtungen gegenüber? Zum Beispiel Krankenkasse . .. Wie ist das Betriebsklima? Welche Fragen sozialer Natur bedürfen noch einer Lösung? Was müßte von der KAB her Führung, Gruppe, Aktivist, Zeitung „Neuer Arbeiter“ auf dem sozialen Sektor geschehen?

Der Arbeitskreis Fragen der Freizeit zeigte neben vielem anderen die derzeitigen Probleme der Pendlet und Schichtarbeiter auf. Ein Satz aus den Situationsberichten: „Das Wochenende wird größtenteils von Eltern und Kindern getrennt verbracht.“

Der Arbeitskreis Sittliche, moralische Fragen griff Probleme auf wie zum Beispiel: Wie stehen die Arbeiter zur Arbeit? Arbeitsauffassung. Halten sie sich am Betriebseigentum schadlos? Fühlen sich die Arbeiter solidarisch in Lohnfragen? Wie ist die Eheauffassung bei den Arbeitern? Treue; Ursache von Ehescheidungen. Wie ist die Kindererziehung in den Arbeiterfamilien? Gebrauchen die Arbeiter die Möglichkeiten beruflicher Fortbildung? Gibt es Arbeiter, die sich gegen Zoten im Betrieb wehren? Bei diesen Fragen wurde z. B. festgestellt, daß Kinderliebe und Kinderreichtum durchschnittlich als besser, als vielleicht erwartet wird, zu bezeichnen sind.

Der Arbeitskreis Kulturelle Fragen stellte u. a. die Frage nach einem Bildungsziel. Das „Sehen’Ternen, das der belgische Arbeiterpriester Josef C a r d i j n seine Aktivisten lehrt, und das in den „Untersuchungen“ im Rahmen der Aktivistenrunden immer wieder geübt wird, prägt einen Typ des katholischen Arbeiters, der — geistig’rege und aufgeschlossen — alle großen und kleinen Dinge und Vorgänge seiner Welt geistig zu verarbeiten und in die richtige Gesamtordnung zu bringen versucht. In diesem Arbeitskreis kam auch manches von altem und neuem Brauchtum in der Berufswelt zur Sprache: Das Gautschen bei den Buchdruckern, Pilotensingen und das Einsingen beim Kabellegen, Richtfeiern, der 1. Mai, die Karfreitagsgedenkminute, Werkzeugsegnung, Feiern im Betrieb, wie Geburtstagfeiern, Dienstjubiläen, Betriebsausflüge, Weihnachten. Für jeden Aktivisten gibt es hier Gelegenheit, Gutes auszubauen und Auswüchse und Mißwuchs zu beschneiden.

Starke Betonung fanden die sogenannten Dienste des KAB. Verschaffung billiger Kinderwagen, Gehschulenverleih, Spardienst, Siedlungsbau, sind einige dieser auf längere Dauer eingerichteten Dienste.

Bei den Beratungen über die Schwierigkeiten der KAB-Arbeit wurden von einem Großteil der Teilnehmer auch Schwierigkeiten im eigenen katholischen Lager genannt. Wohl gibt es viele Arbeiter, die sich für das Reich Gottes auf Erden interessieren oder sich interessieren lassen würden, aber es gibt nicht viele Priester, die sich für die Arbeiter interessieren und geeig-nete Wege wirksamer Arbeiterseelsorge zu gehen vermögen. Geradezu alarmierend waren die zahlreichen Klagen über die Verständnislosigkeit weiter katholischer Kreise für die Anliegen des katholischen Arbeiters und die Behinderungen, die im katholischen Lager einer dem Arbeiter artgemäßen und angemessenen Missionierung entgegenstehen. Wie schwer sich verschiedengeartete Gesellschaftsschichten zu verstehen vermögen, kann folgende Episode illustrieren:

Irgendwo kam unter den bei der Studientagung Anwesenden das Wort auf: „Die katholische Aktion hat von Gott zehn Talente bekommen: sieben davon benützt sie, um die Katholische Arbeiterbewegung zu bekämpfen …“ Unwillkürlich erinnert diese Problematik an Sätze aus dem Referat eines spanischen Priesters, eines Ethikprofessors, das die Schweizer Zeitschrift „Orientierung“ vom 31. August 1959 wiedergab. Unter dem Untertitel „Verhaftetsein der Kirche an die Bourgeoisie" schreibt die „Orientierung“ S. 173:

„Vielleicht das größte Problem, das sich heute die katholische Kirche stellt, ist ihre Abwesenheit iw Milieu der Masse des Volkes, iw besonderen der Masse der Arbeiter. Dies wußte selbst die höchste t Hierarchie der Kirche zugeben. Allgemein bekannt ist auch, daß diese Masse des Volkes in der Kirche etwas ihr Fremdes sieht, etwas, das zur Welt der Bourgeoisie gehört, welche sie ebenfalls — und das nicht ohne schwerwiegende Gründe — als eine außerhalb liegende, ihr gegenüberstehende Wirklichkeit betrachtet… Einrichtungen wie die JOC = KAJ, denen entscheidende Fortschritte in Richtung auf die Erlösung der Arbeiterwelt im katholischen Sinn gelungen sind, haben diese nur erreicht, weil sie voll und ganz das Problem der Inkarnation im Arbeiterstand zu lösen verstanden . . . Es läßt sich nur schwer vermeiden, die spanische Kirche als vorwiegend bürgerlich zu bezeichnen. Die klerikale Welt ist, was ihre soziale Seite betrifft, der Welt des Proletariats fremd und bildet ihr gegenüber die Vorhut des Bürgertums. Vom apostolischen Gesichtspunkt aus ist diese Situation kompromittierend . . .“

Tatsächlich scheint auch bei uns — nachdem die katholische Welt schon eipmal die Arbeiterschaft verloren hat — derzeit ernste Gefahr zu bestehen, daß sie dazu auch noch die Hoffnung, die Arbeitermasse in absehbarer Zeit zurückgewinnen zu können, verliert. Dieser Verlust wäre diesmal eindeutig ohne Schuld auf Seite der Arbeiter. Natürlich werden manche diese Feststellung als „Trauma", als „Arbeiterkomplex“ abtun wollen. Doch ist der Arbeiter nicht nur empfindlich, sondern auch feinfühlig. Das mit einem psychologischen Schlagwort abtun zu wollen, hieße: „Wo das Verständnis fehlt, stellt ein Komplex zur rechten Zeit sich ein."

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