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Digital In Arbeit

Arbeiter und Kirche heute

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Seit Jahrzehnten wird kirchlicher-seits über die Kluft geklagt, die zwischen den Arbeitern und der Kirche besteht, ist die Gewinnung und Einbindung der Arbeiter ins pfarrliche Leben Gegenstand pastoraler Bemühungen. Die heurige Pastoraltagung in Wien-Lainz hat versucht, weiterführende Informationen auf theologischer und praktischer Ebene zur „Arbeiterpastoral in der Pfarre“ zu vermitteln.

Doch schon zu umschreiben, wer heute „Arbeiter“ ist, bereitet einigermaßen Schwierigkeiten. Dazu Oswald von Nell-Breuning in seinem Referat: „Arbeiter sind diejenigen, die für uns die groben oder weniger geachteten, obendrein am schlechtesten entlohnten, nur einen kümmerlichen Lebensunterhalt erbringenden Arbeiten verrichten bzw. Dienstleistungen vollbringen, für die wir uns zu gut dünken oder zu fein sind, im Vergleich zu denen wir beanspruchen, etwas Besseres, Feineres, Vornehmeres zu sein.“

Umgekehrt erfaßt die in früheren Zeiten für Arbeiter typische Unsicherheit des Arbeitsplatzes heute selbstverständlich auch Angestellte. Diese verrichten heute vielfach auch untergeordnete Tätigkeiten mit minimalen Intelligenzanforderungen. Der symbolische Wert typischer Arbeitskleidung wird ersetzt durch Statussymbole wie Auto, Haus, Haushaltsausstattung, die die eigentliche Klassenzugehörigkeiten überdek-ken. In der Bundesrepublik Deutschland sind laut Nell-Breuning sieben

Achtel der Erwerbstätigen „Arbeitnehmer“, von denen wenigstens ein Teil das System der kapitalistischen Klassengesellschaft ablehnt, es verändern möchte. Die Kirche, der Klerus, steht nicht nur in der Bundesrepublik nicht auf ihrer Seite, hat wenig Verständnis für ihre Situation.

Wenn nun das „Evangelium als Frohbotschaft für die Arbeiter“ (so Prof. Franz Zeilinger, Graz, in seinem Referat) verstanden werden muß, reicht es dann aus, „den Menschen als Teilhaber am Schöpfungswerk“ in seiner Beziehung zur Arbeit zu erfassen? Ist die Mühsal von Arbeit hinreichend erklärt mit einem Verweis darauf, daß dahinter eine verschuldete Unterbrechung der Beziehung zu Gott steht, an der angesetzt werden muß, und nicht an der Veränderung der Arbeitswelt? Ist das Bewußtsein der „klassenlosen Gesellschaft“ der Glaubenden, der Bruderschaft aller Menschen, ausreichend? Zusammenarbeiten fördert Miteinanderdenken und Miteinan-derhandeln, aber ist dies die Verwirklichung der Gerechtigkeit Gottes hier und jetzt?

Solche Fragen stellen sich erst dann brennend, wenn - wie bei dieser Tagung geschehen - charakteristische Arbeitssituationen heute dargestellt werden: Lehrling in einem kleinstädtischen Selbstbedienungsladen, Arbeiterin in einer oberösterreichischen Textilfabrik, Tischler im steirischen Erzberg, Schmied in einem Baubetrieb. Oder bei den Beispielen aus der Arbeiterpastoral, in einer Großstadtpfarre, einer Landpfarre mit Pendlern, einer Industriepfarre in Fohnsdorf und einer Großstadtpfarre mit Gastarbeitern.

Eines ist ihnen gemeinsam: das Wichtigste ist, Zugang zu finden zum Menschen, zu seiner Situation, zu seinen Schwierigkeiten, die von seinem Arbeitersein stark geprägt sind. Unabdingbar ist, Vertrauen zu haben und Vertrauen zu schenken. Das macht die Repräsentanten der Kirche, die Kirche selbst für sie glaubwürdig.

In einem der Arbeitskreise, die als Diskussionsforum die Pastoraltagung begleiteten, wurde diese Glaubwürdigkeit ebenfalls rasch zum zentralen Punkt: wenn es um das Verhältnis der Kirche zu den Funktionären von Gewerkschaften und politischen Parteien - auch nichtchristlichen - geht!

Wie anders sieht Bischof Bednorz der polnischen Diözese Kattowitz aus der Situation seines Landes das Gegenüber von Kirche und Arbeiterschaft! Wie in früheren Zeiten die Kirche dort nicht Verbündete der Mächtigen, Reichen war, ist sie heute nicht mit den Machthabern.

Die Kirche begleitet in Polen die Arbeiter von ihrer Kindheit an, sie ist finanziell von den Arbeitern abhängig, sie sorgt für die Vermittlung des Glaubens an Jugendliche und Erwachsene und hilft zum Leben im Glauben. Durch Meßfeier und Sa-kramentenspendung sorgt der Priester für das religiöse Wohl der Arbeiterfamilie und erlebt dafür eine Stär-' kung der kirchlichen Verbundenheit und eine hohe Wertschätzung der katholischen Gemeinschaft.

Da die Kirche die seelische Heimat der Arbeiter ist, ist es auch nicht verwunderlich, daß die Priesterberufe zum großen Teil aus der Arbeiterschaft kommen. Erfahrung von Freiheit wird am ehesten im Raum der Kirche möglich.

Uber die Situation der Familien im „Arbeiter“-Milieu wäre die Kirche gehalten, nachzudenken und ihre Pastoralen Folgerungen daraus zu ziehen. Und auch über die Möglichkeit der Bewährung gelebten Christentums in einer Umwelt, der Religion, Kirche, Christus tote Begriffe geworden sind, weil diejenigen versagt haben, deren Aufgabe in der Vergangenheit das Zeugnis christlichen Lebens gewesen wäre.

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