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Zur Diskussion: Kirche und Arbeiterschaft

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Der Bericht der „Furche“ über das Unternehmen eines Ordensmannes, Arbeiterschaft, zumal jene, die bisher der Kirche ferngestanden ist, um seine Kanzel zu scharen und mit ihren vielfältigen Fragen des leiblichen und geistigen Seins sich auseinanderzusetzen („Wagnis zum Wort“, Nr. 24), hat viele briefliche und mündliche Äußerungen an die Redaktion angeregt. Am meisten aus Laienkreisen, auch solchen, die wirklich „fernstanden“. Die Fruchtbarkeit der eingeleiteten Aussprache wurde damit -erwiesen. Aus Seelsorger kreisen ist uns unter anderem eine freimütige Äußerung zugekommen, die den ganzen Ernst des Gegenstandes erkennen läßt. Obwohl der uns bekannte Verfasser nicht mit Namen zeichnet und damit die Verantwortung der Veröffentlichung der Redaktion übergibt, glauben wir keinen Abstrich machen zu dürfen.

In einer österreichischen Provinzstadt erscheint eine sozialdemokratische Zeitung, die in den dreißiger Jahren wegen ihrer religionsfeindlichen Hetzereien berüchtigt war. Der Redakteur, der die Leitung dieses Blattes im Jahre 1945 übernommen hat, vermeidet grundsätzlich jede antikirchliche Bemerkung, obwohl er besonders für die Lokalnachrichten immer wieder Einsendungen alten Stils erhält. Ja, er ging noch weiter und brachte heuer den Bericht über eine Erstkommunionfeier in einer Gemeinde. Ich glaube, daß er dies nicht aus propagandistischen, sondern aus rein grundsätzlichen Erwägungen getan hat. Aber er gesteht, daß in diesem Dorf die Abnehmerzahl der Zeitung auf das beinahe Dreifache stieg.

Das Interesse für Religion und Kirche ist zweifellos bei der jüngeren und geistig regsameren Generation unter den Sozialisten im Steigen. Ein führender Sozialist sagte mir folgendes auf meine Frage nach dem Verhältnis der Arbeiterschaft zur Kirche im Augenblick:

„Wir stehen euch frei gegenüber, ohne Hemmungen und ohne Affekt. Wir sehen mit Genugtuung, wie die Kirche sich bemüht, sich der Parteipolitik fernzuhalten. Wir hören aufmerksam, was ihr zu den großen Weltproblemen, um deren Lösung sich der Sozialismus bemüht, zu sagen habt. Die Masse der Arbeiter steht der Kirche ohne Haß, aber auch ohne Liebe gegenüber, sie ist verstrickt in die Nöte des Augenblicks. Die Lohnfrage, das Essen und Ähnliches bildet ihr Hauptinteresse.“

Ich fragte ihn weiter, was er zum Bemühen der Kirche, die Arbeiterschaft wieder für die Religion zu gewinnen, zu sagen habe. Er meinte:

„Bis dahin ist ein weiter Weg. Die Masse als Ganzes wird der Kirche wohl endgültig verloren sein. Aussichtslos aber ist die Missionierung der Arbeiterschaft keineswegs. Mit Klugheit und Taktgefühl wird sich im Laufe der Zeit einiges erreichen lassen.“

Ich fragte ihn, welche Methoden nach seiner Meinung geeignet wären, um an die Arbeiterseele heranzukommen.

Darauf die Antwort:

„Die alte Priestergeneration, die noch stark in der Vergangenheit lebt, wird meines Erachtens schwerlich die Wege finden. Unter den Jüngeren aber ist ein großes Maß von sozialem Verständnis und persönlicher Eignung vorhanden. Die müßten eben allerhand probieren, ihnen müßte man freie Hand geben.“

Auf Priesterkonferenzen beschäftigt man sich jetzt eingehend mit der Frage: Wie kann die Kirche an die Arbeiter herankommen? Es ist erschütternd, die Ratlosigkeit der Seelsorger vor dieser ungeheuren Aufgabe zu sehen. Es ist viel guter Wille und einiges Bemühen vorhanden, aber es zeigt sich, daß bisher ein Minimum geleistet worden ist und daß man eben über neue Wege erst beraten muß. Die Studentenseel-sorge, die Jugendseelsorge und andere Teilgebiete der Seelsorgearbeit sind in schönstem Aufschwung, während bei der Arbeiterseelsorge in unserem Lande kaum die bescheidensten Ansätze zu bemerken sind. Viele Seelsorger sagen resigniert: Es ist nichts zu machen, der Boden ist zu hart, die Saat kann nicht aufgehen. Vor fünfzehn, zwanzig Jahren war die damals jüngste Priestergeneration zu großen pastoralen Experimenten bereit, aber ihre Einsatzfähigkeit fand leider von Seiten der kirchlichen Führung nicht die entsprechende Förderung. Heute ist es so, daß sich die tüchtigsten Seelsorger lieber um die Gebildeten als um die Arbeiter bemühen.

Wahrscheinlich ist einer der Gründe dafür, daß die Arbeit unter den Gebildeten ehrenvoller und erfolgreicher erscheint. Es geht aber nicht an, daß in der Arbeiterseelsorge die zweite oder dritte Garnitur arbeitet, wo es der Kraft und Begeisterung der Tüchtigsten bedürfte, um den Durchstoß zu machen.

Es ist zu erwarten, daß die Müdigkeit der Seelsorger, die eine Kriegsfolge ist, durch einen aktiven Idealismus verdrängt wird. In Kürze werden sich wohl die Besten um jene Plätze reißen, wo die großen pastoralen Entscheidungen unserer Zeit fallen. Der Missionsauftrag Jesu „Geht hinaus in alle Welt und lehret alle Völker“ gilt heute für die Innenmission genau so wie für die Heidenmission.

Es wird nicht anders gehen, als daß sich eine Anzahl Priester eigens der Arbeiterseelsorge widmet. Sie müssen eine zweite Berufung empfangen. Die erste Berufung zum Priestertum genügt nicht. Ich glaube nicht, daß Orden und Kongregationen die Beweglichkeit aufbringen, die zu neuen Versuchen notwendig ist. Es müßten Priester der jungen Generation sein, die ganz frei dastehen und sich zum großen Werk der Arbeiterseelsorge gedrängt fühlen. In kleinen Gemeinschaften müßten sie sich unter den Arbeitern niederlassen und Gottessiedlungen errichten. Sie müßten versuchen, an die Arbeiter schon rein lebensmäßig heranzukommen. Sie dürften keine verkappten Bürger sein. Von oben her müßte man ihnen das Recht zu Versuchen geben und dürfte nicht gleich Feuer schreien, wenn sie nicht auf den ersten Schlag das Richtige finden. Die Mitarbeit in den Fabriken halte ich nicht für notwendig, aber wahrscheinlich müßten sie das geistliche Kleid mit dem einfachen Rock des Arbeitsmenschen vertauschen. Man müßte ihnen Mittel zur Verfügung stellen, daß sie neben der Gottesdienststätte Häuser oder wenigstens Baracken aufstellen könnten, die zur Heimstätte der neuen Gemeinde würden.

Die Priester dürften sich nicht in wohlversperrte bürgerliche Pfarrhäuser zurückziehen, sondern sollten ein offenes Haus haben, wo alle aus- und eingehen können. Die Kinder müßten dort Hort und Heim, die Burschen und Männer ihren K.lub haben.

Die Priester dieser freien Gemeinschaft für die Arbeiterseelsorge müßten Idealisten reinsten Wassers sein. Wenn der Anfang gemacht ist, werden sich dafür die Besten begeistern. Das Priestertum wird in ihnen einen neuen Glanz und eine neue apostolische Bedeutung erhalten. Die passendste kirchenrechtliche Form dieser Priestergemeinschaft währe wohl das Oratorium. Neben der praktischen Seelsorgearbeit würden sie sich von selber den großen geistigen Auseinandersetzungen der Gegenwart zuwenden. Wahrscheinlich wird sich daraus ein Zusammenleben und Zusammenarbeiten mit Laien ergeben, die sich ausschließlich wie die Priester oder in mehr oder weniger starkem Ausmaß der Arbeit für das Reich Gottes widmen. Die soziale Stufung in Patres und Brüder, wie sie in den alten Orden ist, dürfte nicht wieder aufleben. Gerade dem berufenen Laien würde eine wichtige Arbeit nicht bloß in der Missionierung als auch in der ganzen Formung der Gemeinschaft zufallen. Die in Klerus und Laien gespaltene Kirche müßte in ihnen wieder eins werden. Das Laienpriestertum darf kein Gerede bleiben, sondern muß ernst genommen werden.

Die Pfarrseelsorge hat im ganzen gesehen in der Arbeiterseelsorge versagt. Man kann es ihr auch nicht verargen, da sie sich auf Menschen stützt, die freiwillig und gerne kommen. Und das sind eben beinahe immer Menschen vom bürgerlichen Typus. Die Arbeiter haben aber so viel Klassenbewußtsein und Ressentiment, daß sie nur von Ihresgleichen angesprochen werden können. Zentralen, überpfarrlichen Stellen kommt in der Arbeiterseelsorge große Bedeutung zu.

Die Begegnung von Kirche und Arbeiterschaft wird auf zwei Wegen erfolgen, dem der großen geistigen Auseinandersetzung über die Fragen der modernen Weltgestaltung und dem einer neuen und intensiven Arbeiterseelsorge.

Bei einer Aussprache in einer Priesterkonferenz über diese Fragen sagte ein junger Priester, der vor kurzer Zeit aus der Gefangenschaft heimgekommen war:

„Ich bin bereit, alles hinzuschmeißen und neu anzufangen. Ich warte nur darauf, daß andere dasselbe tun.“

Möge das, was geschehen muß, bald geschehen!

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