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Religiöse Situation in Spanien

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Wir bringen nachstehend einen Auszug aus einem in der Schweizer katholischen Zeitschrift „Orientierung" (29. Jahrgang, Nr. 22) unter dem Titel „Bemerkungen über den spanischen Katholizismus" abgedruckten Artikel. Der nicht angeführte Verfasser weist in einer Einleitung darauf hin, daß er in seinen Darlegungen einen bestimmten Standpunkt vertrete, „der nur von einer Minderheit der spanischen Katholiken geteilt wird".

In Spanien kann man sehr deutlich die beiden grundlegenden Richtungen unterscheiden, deren Gegensatz im Zweiten Vatikanischen Konzil zutage getreten ist. Hier geht es uns aber nur um die typisch spanischen Züge dieser zwei Strömungen in ihrer Haltung gegenüber dem Problem des „spanischen Katholizismus“:

• Konservative Richtung (zu ihr gehört ein großer Teil des höheren Klerus): Zum Gefühl des Mißtrauens gegenüber der modernen Welt, das für jeden Konservativismus typisch ist, kommt eine ganz besondere Sicht von Spaniens Geschichte hinzu. Spanien sei nicht einfach eine Nation . unter anderen, sondern eine Art „zweites auserwähltes Volk“, zu dessen Wesen notwendig der Katholizismus gehöre. So hat man vor einigen Jahren diskutiert, ob man ein rechter Spanier sein könne, wenn man nicht katholisch sei. Die „historische Sendung“ Spaniens verlange die „Verteidigung und Ausbreitung des Evangeliums“, die „Verteidigung der geistigen Werte“, und um dieser Sendung willen habe Spanien große Opfer gebracht und werde sie auch weiterhin zu bringen haben. Es liegt auf der Hand, daß diese Konzeption direkt zu einem „politischen“ Katholizismus führt, denn wenn Spanien dem Katholizismus dient, muß natürlich auch der Katholizismus Spanien dienen.

Diese politische Konzeption jfeg spanischen Katholizismus' ist heute nicht tot, obwohl sie von den Intellektuellen weitgehend aufgegeben wurde. Jedoch bildet sie die theoretische Grundlage für die Stellung der offizellen spanischen Kirche bis vor dem Konzil. In unserer entchrist- lichten Welt sei Spanien der einsame Verteidiger der geistlichen und religiösen Werte und müsse das bleiben, ungeachtet der Tatsache, daß in anderen Ländern die religiöse Freiheit sich durchgesetzt hat. Das Ideal, das um jeden Preis verteidigt werden müsse, sei die uneingeschränkte Verbindung von Kirche und Staat. Man muß um der Gerechtigkeit willen beifügen, daß dies auch mehr oder weniger die offizielle Auffassung Roms war, so wenig sie viele Katholiken zu überzeugen vermochte. Aber man darf nicht glauben, daß die spanische Hierarchie diese offizielle Linie mit freudiger Begeisterung vertreten ,hat.

Die „Reformer“

• Gegenüber diesem Problem ist die „reformfreudige“ Richtung viel realistischer. Man leugnet nicht den gewaltigen Anteil des Katholizismus an der Geschichte Spaniens, auch nicht den religiösen Geist, der noch immer im Volk lebendig ist. Aber man stellt ganz einfach fest — das ist nichts als Realismus —, daß die

Massen, und besonders die untersten Schichten, sich von der Kirche getrennt haben. Diese Trennung war vor 1936 offenkundig und wurde seither nicht überwunden. Man sieht, daß Spanien, wie alle europäischen Länder, mehr und mehr ein ent- christliches Land wird.

Seit dem Ende des Bürgerkrieges (1936) ist das intellektuelle Leben Spaniens durch „Abgeschlossenheit nach „außen“ .gekennzeichnet. Man hat versucht, die neue Generation im traditionalistischen Sinn zu erziehen. Die intellektuellen Vorbilder waren nicht mehr die der früheren Generation (Ortega y Gasset, Unamuno).Alle Studenten mußten Vorlesungen über „politische Bildung“ anhören. Man versuchte sogar, an den philosophischen Fakultäten eine bestimmte offizielle Scholastik durchzusetzen.

In den letzten Jahren hat sich viel geändert, vor allem weil viele Studenten ins Ausland kamen. Die Mehrzahl zwar nur in den Sommerferien, aber es sind auch recht viele, die ihre Studien im Ausland machen. Andererseits gibt es den Tourismus, der uns im Jahre 1964 15 Millionen Ausländer ins Land gebracht hat. All das macht natürlich eine Isolierung unmöglich.

Wandel in der Theologie

Etwas Ähnliches geht in der Theologie vor sich. Die beiden theologischen Fakultäten von nationaler Bedeutung (Comillas und Salamanca) haben, wenigstens bis vor kurzem, sehr wenig zu einer lebendigen und aktuellen Theologie beigetragen. So ist es unvermeidlich, daß sehr starke Spannungen entstehen zwischen derart rückständigen Professoren und den Minderheiten der fähigsten jungen Professoren und Schüler, welche die ge samte neuere theologische Literatur kennen. Es verdient Beachtung, daß gerade die Theologiestudenten am häufigsten im Ausland studieren (besonders in Deutschland und Italien).

Die Katholische Aktion hat eine schwere, aber heilsame Krise durchgemacht. Lange war sie eine Massenbewegung, in der die Mitglieder meist passiv waren und der Priester die treibende Kraft sein mußte. Seit einigen Jahren ist sie eine Bewegung von wenigen, aber aktiven und verantwortlichen Laien.

Sie ist in spezialisierte Untergruppen auf geteilt (die den entsprechenden internationalen Gliederungen angeschlossen sind), die ein Zeugnis christlicher Präsenz und christlichen Engagements in der Welt geben wollen. Solcher Einsatz führt natürlich sehr rasch zu Konflikten mit der Autorität. Im offiziösen Organ des Informationsministeriums klagte man am 19. Juni über „kommunistische Infiltration“ in der Katholischen Aktion.

Die Haltung des Klerus

• Der Klerus. Zuerst die Hierarchie: Wir müssen ehrfürchtig von ihr reden, gewiß es handelt sich bei den meisten um Männer mit bestem Willen, um fromme Männer, die sich ehrlich mühen um die Probleme der Kirche, aber wir müssen auch versuchen, objektiv zu sein. Im allgemeinen (es gibt auch Ausnahmen, besonders unter den in letzter Zeit ernannten) gehörten die spanischen Bischöfe zum konservativen Flügel des Konzils. Immerhin scheinen viele von ihnen durch das Konzil einen starken Schock erlitten zu haben. Es ist zum Beispiel auch aufgefallen, daß im vergangenen Jahr einige alte Bischöfe (sicher auf Grund ihrer Erfahrungen am Konzil) demissioniert haben.

Die soziologische Stellung des Bischofs zu den Gläubigen und seinen Untergebenen ist durch zwei Vorurteile bestimmt: daß Spanien ein offiziell und restlos katholisches Land sei und der Bischof folglich als öffentliche Autorität eine äußere Größe vorstellen müsse. Das führt dazu, daß ein Teil des Klerus und der Laien, besonders die jüngeren, findet, die Bischöfe seien zu weit entfernt von den wirklichen Problemen, zu „pompös“, mit zuviel gesellschaftlicher Repräsentation und einem falschen Zeigen von Reichtum, wasnnür‘ dazu;-beiträgt, die Armen noch weiter von der Kirche zu entfernen.

Zweitens ein Wort über die Ausbildung der Priester; Es sind relativ wenige Seminaristen, die an einer Universität studieren. Die meisten studieren an den Diözesansemina- rien (interdiözesane gibt es nicht). Es ist anzuerkennen, daß man in den letzten Jahren in einigen Seminarien verschiedene Verbesserungen feststellen konnte. Es gibt Seminarien, die eine sehr gute geistliche und kulturelle Formung geben. Aber der Durchschnitt ist. zweifellos unzureichend. Da die Zahl der Seminarien übertrieben groß ist, ist es praktisch unmöglich, geeignete Professoren zu halten, und so ist das geistige Niveau oft sehr niedrig. Die geistliche Formung ist noch oft sentimental, wenig in die Tiefe gehend, mit vielerlei Frömmigkeitsübungen. Manchmal könnte man meinen, die höchste Tugend des zukünftigen Priesters sei es, die vorhandene Ordnung zu respektieren und ja keine Probleme aufzuwerfen. Man muß jedoch bemerken, daß viele Seminarien in schweren Krisen stecken, die wahrscheinlich positive Folgen zeitigen werden.

Die Spiritualität, die man den jungen Seminaristen vorsetzt, ist noch in vielen Priestern wirksam. Man läßt den „priesterlichen Geist“ in „Weltflucht“ bestehen, was praktisch einer Distanzierung von den Laien gleichkommt. Das zeigt sich in der Organisation des Priesterlebens (mit eigener Sprache und eigenem Lebensstil, die oft abstoßen) und in einem starren Gebetsleben, dem alles andere untergeordnet wird. Man hat, wohl unbewußt, die Vorstellung einer „Heiligengestalt“, angetan mit majestätischen Gewändern. (Es ist eigenartig, wie man zum Beispiel auf dem Tragen der Soutane besteht!)

In bezug auf die jungen Generationen des Klerus besteht eine gewisse Hoffnung. Viele von ihnen haben ein Bedürfnis nach Ehrlichkeit, nach Durchdringung der Umwelt, nach wahrhaft christlichem Zeugnis, ein Bedürfnis, das Christentum zu befreien von seiner Symbiose mit dem Reichtum, der Macht, dem gesellschaftlichen Ansehen. Anzeichen einer großen Zukunft für die Kirche in Spanien.

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