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Emigranten, die eine Elite waren

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In diesen Tagen der immer lauter werdenden Forderung nach einer „Befreiung Spaniens“ sei es mir gestattet, den Leser in den Bereich einer Welt zu führen, die in ihrer Eigenart längst nicht mehr existiert. Vor dreißig Jahren lebte ein erheblicher Teil der spanischen Flüchtlinge in den geistigen Zentren Lateiname-rikas, inBuenos Aires, in Bogota und in Mexico. Professoren der Universität Salamanca, unter ihnen der bedeutende Humanist und Ordinarius für Latinistik, Don Pedro Urbano Gonzales de la Calle, ein ehrwürdiger Greis, der seine gesamte Habe in Spanien zurückgelassen hatte, Jose Francisco Cirre, ein Privatgelehrter aus Madrid, der uns in die Geheimnisse des spanischen Mittelalters und seiner für den Mitteleuropäer schwer verständlichen Vielfalt einführen sollte, der bedeutende Jurist Ots Capdequi, damals der wohl beste Kenner des „Derecho de las Indias“, Jose Pratt, ein Publizist und Historiker von Graden, der Romanist und Jesuitenpater Urria waren damals in der noch stillen und eher friedlich provinziell anmutenden Stadt Bogota tätig. Man hatte den Eindruck, an einem für die Diktatur unerreichbaren Ort zu leben, dauerte die Überfahrt aus Europa doch ganze drei

Wochen, denen eine weitere Woche der Reise auf dem Magdalenenstrom und eine Eisenbahnfahrt von acht oder mehr Stunden' in das Hochland der Anden folgten, in die „Sabana“, in der die Hauptstadt, das alte Santa Fe de Bogota liegt.

Die Flüchtlinge aus Spanien waren um die gleiche Zeit nach Bogota gekommen, zu der auch der nicht unerhebliche Strom von Emigranten aus Deutschland und dem jüngst besetzten Österreich dort anlangte. Man wußte voneinander, man suchte den berühmte Arzt Prof. Antonio Trias y Pujol auf, der seinen Besitz und seinen Lehrstuhl in Spanien verlassen hatte, um einem Regime zu entgehen, das man damals weithin auf Grund der optischen Gegebenheiten mit der nationalsozialistischen Diktatur verglich, ein Vergleich der besonders in den Jahrzehnten nach dem Ende des Bürgerkriegs immer unrichtiger wurde. Spanische Landsleute, insbesondere Emigranten, Angehörige des geistlichen Standes und Flüchtlinge aus den von Hitler beherrschten Gebieten, zahlten nichts oder ungemein wenig bei diesem noblen, ungemein kultivierten Arzt, der zum persönlichen Freundeskreis des Dichters Miguel de Unamuno gezählt hatte.

Die jüngere Generation beider Lager kam nach und nach in ein viel engeres Verhältnis, das jedoch keinesfalls politische Ursachen oder Motive hatte. Man studierte an der gleichen Fakultät und früher oder später entstanden jene dauerhaften Freundschaftsbeziehungen, die über jede Entfernung hinweg der Zeit trotzten.

Im Kreise unserer europäischen Professoren, unter denen es auch einen brillanten Neuhistoriker gab; Rudolf Hommes, der als Kommunist Göttingen nach dem Ersten Weltkrieg verlassen hatte, um als preußischer Monarchist in Bogota sein Leben zu beenden, war der universale Geist der humanistischen Toleranz eine Selbstverständlichkeit. Man schloß Freundschaften nicht nach politischen Gesichtspunkten, man suchte verwandte Seelen, mochten diese nun ähnliche oder gar völlig entgegengesetzte Ansichten haben. Ich war früh als „Konservativer“ bekannt und insbesondere bei meinen spanischen Professoren deshalb ganz und gar nicht schief angesehen. Wie stark oft die Meinungen auseinandergingen, zeigten zwei Begebenheiten: Einer meiner Kollegen, der aus der Provinz Santander del Norte stammte, war ein feuriger Liberaler, ein liebenswerter Hitzkopf, stets heiter und zu Streichen aufgelegt. Damals hatten wir gerade durch Vermittlung unseres preußischen Lehrers Edmund Burke „entdeckt“ und die Gemüter entzündeten sich in einer Weise, die heutzutage kaum verständlich sein würde. Man nahm für oder gegen seine Verurteilung der Französischen Revolution Stellung, wurde jedoch nie persönlich, nie beleidigend, wenigstens so lange nicht, als die politisch geschulten jedoch sonst völlig ungebildeten Kader der Linken unserer Fakultät fernblieben. Mein liberaler Freund beschloß eine lange Debatte über die Bedeutung des Staates mit den für mich unvergeßlichen Worten: „Ich besitze seit meinem sechzehnten Jahr einen Revolver; wenn mir der Staat zu nahe tritt, schieße ich.“ Er erntete mit dieser Feststellung natürlich einen nicht ganz unberechtigten Heiterkeitserfolg, denn irgendwo liegt in der spanischen und insbesondere in der iberoamerikanischen Seele eine leise Neigung zu einem kultivierten Individualismus, der sich mitunter bis zum Anarchismus steigert. Bei anderer Gelegenheit; geriet ich in Schwierigkeiten, als ein Dozent der Pädagogik, der an einem der vielen, leider allzu vielen Tea-chers Colleges der Vereinigten Staaten studiert hatte, wie man ein Wissensgebiet zu vermitteln habe, ohne jedoch viel von diesem Gebiet zu wissen — es handelte sich um Weltgeschichte — gegen mich ein Disziplinarverfahren beantragte, weil ich eine unmißverständliche Äußerung gegen seine egalitären Auffassungen von mir gegeben hatte. Die Affäre weitete sich aus und es kam zu einer Verhandlung vor einem Gremium, das unter dem Vorsitz eines spanischen Emigranten, des catalanischen Anthropologen und Ethnologen Jose de Recassens stand, der im Bürgerkrieg in einer der ganz linken Divisionen gekämpft hatte. Natürlich erwartete mein bedauernswerter Pädagoge, daß dieser Mann gegen mich, den erzkonservativen Studenten, entscheiden werde, was zu meinem Ausschluß vom Studium geführt hätte. Wir wurden ins Rektorat gerufen und der übrigens hochgelehrte und witzige Spanier Recassens nahm persönlich zu den Vorwürfen Stellung. Er erklärte den Anwesenden, daß ich sein Schüler gewesen sei, zeigte auf den jakobinischen Ankläger und sagte schlicht und einfach „Este sefior no sabe ni caminar por la calle“, was auf Deutsch so viel heißt wie: „Dieser Mensch ist zu dumm, um auf der Straße geradeaus zu gehen.“ Der Pädagoge verließ wutentbrannt den Raum, ich mußte herzhaft lachen und konnte aus dieser Begebenheit eine wertvolle Lehre mitnehmen. Der kultivierte Spanier, er mag stehen wo immer, ist ein Gentleman. Er mag für oder gegen Franco sein, er verachtet das ideologische Geschwätz der Linken nicht minder als etwa den Rassismus der Rechtsradikalen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, waren im Kreise der spanischen Emigration Menschen eines Typus vertreten, von dem Ortega y Gasset die Bezeichnung der „selecta mino-ria“, der „Elite“, geprägt hat. Um die geistige Haltung eines großen Teiles der spanischen Emigration zu verstehen, darf man nicht unsere billigen Vorstellungen von „Links“ und „Rechts“ anwenden, die einfach irreführend sind. So war mein Lehrer Jose Francisco Cirre ein tiefgläubiger Katholik, der mit Stolz von seinen maurischen Vorfahren sprach — wie überhaupt die Spanier voll Stolz auf eine Abstammung von maurischen oder jüdischen Familien hinweisen und für die Sucht, „rassenrein“ zu sein, eher Verachtung empfinden — was ihn jedoch nicht daran hinderte, das Regime Francos abzulehnen.

Während der Kriegsjahre und als Folge der Hilfeleistung, welche Deutschland und Italien Franco gegeben hatten (wobei allerdings meist die erhebliche Rolle der Sowjets auf der Seite der sogenannten Loyalisten vergessen wird), war für uns alle der Eindruck entstanden, daß Spanien den Achsenmächten zuzuzählen sei. Mit dem Ende des Krieges in Europa wurde dieser Eindruck mit allen Mitteln aufrechterhalten und unter einer „Liberalisierung“ in Spanien verstand man zunächst die Beseitigung des Generalisimo und seiner Regierung. Ich selbst ahnte damals noch nicht, wie kompliziert der Fall Spanien in Wirklichkeit lag. Ich wußte nicht, daß General Franco einer Familie entstammt, welche vor mehr als einem Jahrhundert vom Judentum zum katholischen Glauben übergetreten war. Ich war daher sehr erstaunt, als ich in Erfahrung brachte, daß es während des Krieges im spanischen Außenamt eine Abteilung gab, zu deren Aufgaben es zählte, Insassen der Konzentrationslager, die möglicherweise spanischer Herkunft waren, aus. den Vernichtungslagern zu befreien und nach Spanien zu bringen. Nun gab es in Europa eine stattliche Anzahl von Juden spanischer Herkunft und die Zahl der tatsächlich Geretteten dürfte in die Tausende gehen.

So soll General Franco persönlich den ersten, von der SS schwer bewachten Transport an der Grenze begrüßt haben, gewiß nicht zur Freude der verantwortlichen SS-Offiziere. Ich erwähne diesen Vorfall, weil er Anlaß zu einem Interessanten Gespräch wurde, das ich mit meinem Lehrer Jose Pratt führte, der unter dem letzten Präsidenten der spanischen Republik die Rolle des Präsidialchefs bekleidet hatte. Jose Pratt lehrte in Bogota die Geschichte Spaniens zur Zeit der „Con-quista“ und fiel uns durch seine unvoreingenommene, von Hochachtung für die Casa de Austria gekennzeichnete Haltung auf. Im Jahre 1949, als ich gerade an der Universität des Jesuitenordens promoviert hatte, traf ich Jose Pratt in einem der zahlreichen Cafes Bogotas. Ich erzählte ihm, was ich über die Hilfeleistung der Spanier gehört hatte und so ergab sich ein Gespräch über die Zukunft Spaniens, in dessen Verlauf Jose Pratt mir auseinandersetzte, daß die baldige Wiederherstellung der Monarchie in Spanien eine durchaus akzeptable Lösung bieten könne, akzeptabel für alle jene Emigranten, die unter der Regierung des Generals nicht zurückkehren wollten. Die Ansichten Pratts glichen stark den Thesen Ortega y Gassets, der um diese Zeit aus der Emigration nach Spanien zurückgekehrt war und seine Lehrtätigkeit an der Universität Madrid wiederaufgenommen hatte. Pratt wußte um meine persönlichen politischen Sympathien. Er hatte meine Dissertation „La Estabi-lidad del Gobierno“ (Die Stabilität der Regierung) gelesen, in der ich, vom Beispiel der Geschichte Roms ausgehend die These aufgestellt hatte, daß die alten Staaten zwischen der Wiederherstellung der Monarchie und dem parteibedingten Kampf um das Persönliche Regiment zu wählen haben würden. Pratt, der Republikaner war, zeigte sich von dieser These fasziniert und schrieb unverzüglich eine längere Rezension für die damals führende Tageszeitung Bogotas, den liberalen „Tiem-po“. Die Rezension wurde nicht veröffentlicht, wohl weniger, weil man etwas gegen meine Ansichten hatte, sondern, wie ich vermute, weil nach Ansicht der „progressiven Kräfte“ in aller Welt ein geachtetes Mitglied der spanischen Emigration derartige Thesen nicht gutheißen durfte.

Der Liberalismus der emigrierten Spanier war ganz anderer Natur als jener der „Progressiven“. Die Vorstellung der „Libertas“ als einer sittlich fundierten Freiheit und der „Li-beralitas“ der Römer mag viel zu diesem spanischen Liberalismus beigetragen haben. Für uns Heutige ist es sehr schwer, zu entscheiden, ob es sich dabei um konservative Liberale oder um liberale Konservative handelte. So viel ist gewiß: Man war Gegner General Francos, doch nicht aus den billigen Gründen, die gegenwärtig ins Treffen geführt werden. Keiner meiner spanischen Freunde würde für die läutstarke Protestaktion der jüngsten Zeit große Sympathie empfunden haben, eben weil sie aus Kreisen kommt, die Mensehen wie Ortega nicht als „liberal“ sondern als „kollektivistisch“ und „totalitär“ bezeichnet haben würden. Aus dieser Sicht der Dinge erklärt sich nicht nur die Rückkehr Ortegas und des einen oder anderen meiner Freunde nach Spanien, sondern auch die für uns Mitteleuropäer durchaus komplizierte Frage nach der Persönlichkeit des Generals. Auf Grund meiner Erfahrungen und auf Grund meiner Überzeugung, die insbesondere durch das Studium der legalen Institution der „Diktatur“ in Rom bestimmend sind, die als Hilfsmittel für Zeiten der Not gedacht war und nicht als Dauerinstitution, glaube ich, daß diejenigen unter den Emigranten, die heimgekehrt sind, wußten, daß der Haß, den der Bürgerkrieg, der auf beiden Seiten mit großer Grausamkeit geführt worden war, verbreitet hatte, ein Ende finden müsse. Immerhin ist General Franco zum Unterschied von dem Plebejer Hitler ein kultivierter Offizier, der sich einer kultivierten Sprache befleißigt und der auch in gro-

ßen Kategorien zu denken vermag. Wäre dies anders, so hätte man einem Mann wie Ortega, der gewiß nie von seinen Grundsätzen abwich, nicht sofort nach seiner Rückkehr das Instituto de Humanidades in Madrid anvertraut. Spanien nach dem Muster anderer westlicher Staaten regieren zu wollen, bedeutet nicht nur Unkenntnis des spanischen Menschen, sondern auch politische Ahnungslosigkeit. Wenn man unter „Liberalisierung“ die Angleichung an fremde Verfassungen meint, sollte man beherzigen, was Ortega y Gasset über die Nachahmung fremder Institutionen sagte: „Sie gehört in den Bereich der Sozialpathologie“. Die Spanier werden das schwere Erbe des großen Bürgerkrieges nur auf einem Weg überwinden können, der ihnen nicht aufgedrängt wird, der nicht „a priori“ die Anarchie und aus dieser die Diktatur der Kommunisten zur Folge hat. Er wird großer staatsmännischer Weisheit auf allen Seiten bedürfen, um dies möglich zu machen und man geht nicht fehl, zu sagen, daß Prinz Juan Carlos vor einer schwere Bewährungsprobe steht.

Die Jahrzehnte sind über die kleinen Episoden hinweggegangen. Selten in meinem Leben aber,habe ich einen liebenswerteren Kreis von Menschen gefunden als den der spanischen Emigranten, unter denen sich so mancher Don Qüijote befand. Man mag über die Quijotes unter den Spaniern lächeln: Cervantes hat mit dieser Gestalt ein Bildnis Spaniens gegeben, das nicht verlorengehen sollte. Im Gegensatz zu so vielen gleichgeschalteten Ländern, hat Spanien noch viel zu verlieren.

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