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Wir heißen euch hoffen

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Optimismus herrscht seit der Regierungsumbildung Francos unter den — Ausländern in Spanien. Diplomaten, Kaufleute, Journalisten sprechen von der „gelenkten Demokratie“, in die sich das diktatoriale Regime nun verwandeln und die somit die grundlegenden sozialen und politischen Freiheiten (die wirtschaftlichen sind größtenteils bereits zugestanden) endlich gewähren werde.

Die Mehrheit der Spanier aber ist skeptischer, ja zerstörerisch negativ. Das unhöfliche Sprichwort von den „alten Hunden mit neuen Halsbändern“ wird allenthalben zitiert. Die ersten, höchst schüchternen Regungen einer Art Pressefreiheit, der Versuch des Innenministers, der Nation eine — seine — Darstellung der Streiks und der Münchener Oppositionellenzusammenkunft zu geben sowie die auf beide Ereignisse folgende Einschränkung der Verfassung zu rechtfertigen, beeindrucken kaum. „Man lügt uns an“, sagte mir ein alter Bauer, „wie man uns anlog, seit ich denken kann, unter der Volksfront und unter dem König. Nur daß man jetzt seine Phantasien ausführlicher zu belegen sucht.“ Es ist schwer, dieses oft enttäuschte Volk, das noch dazu in Lob wie Kritik zu Übertreibungen neigt, zu überzeugen. Erstaunlicherweise hört man allenthalben Worte der Sehnsucht nach Primo de Riveras aufgeklärter Diktatur (1923 bis 1930), nach der „dicta-blanda“, dem weichen Diktatürchen. Das Selbstvertrauen, die demokratischen Grundregeln beobachten zu können, ist offensichtlich gering.

Die Einstellung der wenigen politisch aktiven 7'ikel. die mit unterschiedlicher Begeisterung das Regime stützen, läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Bekenntnis zu den Prinzipien von Francos Staat, aber Ablehnung der bisherigen Methoden in den Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten, Warnung vor einem neuen Vertrauensbruch an der Nation. Diese Stimmung äußert sich sogar in der Presse.

Der falangistische „Arriba“ erwähnt die Fragen, die das Volk häufig an die Regierung stellte und die „so oft unbeantwortet blieben und betrügerisch umgangen wurden“. Die Hoffnung auf einen „numerus apertus“, eine künftige „offene Ordnung“, wird nachdrücklich in diesem Parteiorgan geäußert. Der katholische „Ya“ fordert die Möglichkeit für den Bürger, „seinen Beitrag zu den politischen Aufgaben durch freie Äußerung von Ratschlägen zu leisten“. Das Stimmungsbarometer unter den Monarchisten schließlich, soweit es an ihrem Blatt „ABC“ abzulesen ist, steht auf „veränderlich“, wohl, weil man für die baldige Restauration unter Don Juan, dem Vater von Juan Carlos, bangt und befürchtet, Spanien werde nach Francos Abtreten zur präsidentia-listischen Republik. Darum versetzte die Zeitung dem neuen Vizeregierungspräsidenten, Generalkapitän Munoz Grandes, den Eselstritt, indem sie an seinen leitenden Posten in der „Guar-dia de Asalto“, dem republikanischen, mehrheitlich „roten Schutzsturm“, erinnerte.

Die Meinung der Opposition endlich drückte sich unmißverständlich am Münchener Kongreß aus. „Spanien ist krank und muß wie jeder ansteckende Kranke isoliert und geheilt werden.“ Viel von der alten, unseligen Volksfrontmentalität kommt da ans Licht, das freilich begreifliche Unvermögen zu vergessen, der starrköpfige Unwillen, eine 25jährige Realität, sie sei einem lieb oder leid, zur Kenntnis zu nehmen. Die Zweiteilung der Nation dauert fort, und mit dem einzigen Mittel, sie aus der Welt zu schaffen, mit der öffentlichen Konfrontation zwischen den Ansichten des Regimes und seiner Gegner, scheinen sich die Ärzte des sklerotischen Systems noch nicht befreunden zu können.

Wie aber sollte es anders sein nach einem Regierungswechsel, der unter dem Druck der Umstände erfolgte! Einmal rieten — über Mittelsleute oder persönlich — selbst bewährte Franco-Freunde wie Merkatz und Erhard in Deutschland, Politiker um de Gaulle, konservative US-Kongreßleute, die Stimmung im Ausland nach den Streiks und München zu berücksichtigen, da sonst die spanische EWG-Kandidatur gefährdet wäre. Die wütende Reaktion der Sozialisten, Gewerkschafter, Liberalen, demokratischen Katholiken im Westen hat somit Früchte getragen. Zum zweiten veranlaßte Francos Jagd-unfall vom 24. Dezember die höchsten Offiziere des Landes zu einer respektvollen, aber eindringlichen Vorstellung beim Generalissimus, sein Haus endlich zu bestellen.

Am Weihnachtsabend explodierte ein Jagdgewehr in Francos Hand. Vor der Operation wies der Anästhesist darauf hin, daß die Intervention für einen 69jährigen Mann fatale Folgen haben könnte. „Es ist denkbar, daß Seine Exzellenz nicht mehr aus der Narkose aufwacht“, sollen seine Worte gewesen sein. Daraufhin rief der Cau-dillo den Generalkapitän der Armee, Marschall Munoz Grandes, zu sich und übertrug ihm die Regelung seiner Nachfolge. Details dazu sind nicht überprüfbar, sicher ist lediglich, daß Franco sein geringes Vertrauen zu den eigenen verfassungsgemäßen Institutionen in der Sukzessionsfrage manifestierte, indem er das Schicksal der Nation in die Hände des nach ihm stärksten Mannes, der auch bei einem Teil des Volkes Ansehen genießt, legte.

Nach seiner Genesung habe Franco, sagt man. die Bestellung der künftigen Staatsführung wieder auf die lange Bank schieben wollen. Da brachen die Streiks aus, und Munoz Grandes, nach Beratung mit zwei anderen einflußreichen Generälen, soll nun ziemlich drängend geworden sein. Der Münchener Coup mit seinen Folgen dürfte das Gefäß zum Überlaufen gebracht haben: Der Generalkapitän wurde Vizepremier, somit Francos Stellvertreter als Regierungs-, nicht aber als Staatschef.

Des Caudillo Nachfolge ist also noch immer nicht geklärt. Munoz Grandes ist wohl Monarchist, aber darum noch kein Anhänger Juans oder Juan Carlos', und ähnliches gilt von den meisten anderen Kabinettsmitgliedern, vor allem von den neuen Militärministern. Sollten sie sich der Worte des Republikaners Castelar erinnern, der dem König einmal zurief: ..Majestät, die beste Republik sind Sie.'“, und dereinst erklären: „Der beste König ist ein Caudillo (Führer)“, besonders, wenn sie selbst Caudillo-Kandidaten wären? Auch die angeblich baldige Begegnung Franco-Don Juan muß noch keine Klärung bringen. Der Generalissimus könnte ja bloß versuchen, den im Zusammenhang mit der Münchener Affäre durch die hiesige Propaganda bloßgestellten Thronanwärter zu versöhnen, ohne feste Zusagen zu machen. Man munkelt sogar, er wolle Don Juan zum Verzicht zugunsten seines Sohnes bewegen. Kurz, die Nachfolgefrage ist ungelöst, der Mann, der einmal die Staatsführung übernehmen soll, unbekannt.

Etwas mehr Klarheit, hofft man, herrscht auf dem Sozialsektor, wo schnelle Verbesserungen unerläßlich sind. Dem neuen Arbeitsminister Romeo ist durch ein Rahmendekret „über Regelungen, die bestehenden Arbeitsbestimmungen mit den Kollektivabkommen der Syndikate in Einklang zu bringen“, die Handhabe gegeben, Streiks zu legalisieren. Noch wichtiger wäre eine generelle und substantielle Lohnerhöhung, wozu Anfänge vorhanden sind. Soforthilfe tut not, da nach offizieller Statistik in 11 von 16 Produktionszweigen Linterbeschäftigung herrscht. Sie ist möglich, denn dieselben Statistiken beweisen einen — wenn auch ungleichmäßigen — Produktionsanstieg, und staatliche Vertreter gestanden in Gesprächen mit dem Internationalen Währungsfonds, daß die bisherigen Lohnerhöhungen nur bescheiden waren. Zu bedenken ist ferner, daß der rasant wachsende Tourismus — in diesem Jahr mindestens neun Millionen Besucher — eine ebenfalls offiziell zugegebene Lebenskostensteigerung, besonders auf dem Lebensmittelsektor, auslöst. Der Regierung ist bis nach den Ferien Frist gegeben, hier helfend einzugreifen. Wenn nicht, ist es um den moralischen Kredit, den ihr jetzt einige einräumen, geschehen.

Einigermaßen Sicherheit besteht nur Tiinsichtlich der militärischen Reformen. Der neue Marineminister, Nieto Antunez, dürfte es durchsetzen, daß Spanien von Amerika einen Flugzeugträger erhält, unter dem Hinweis dar auf, daß Frankreich deren zwei hat. Besonders aufschlußreich aber ist, daß das Luftfahrtministerium einem der drei Asse aus dem Marokko- und Bürgerkrieg, Generalleutnant Lacalle, übertragen wurde. Das soll bedeuten, daß bei der Verlängerung des Abkommens mit den USA, die nicht mehr in Frage steht, Spanien mach entsprechenden amerikanischen Lieferungen der Jagdschutz übertragen wird, während das Pentagon sich die Leitung der Bomberformation vorbehält.

Die zielbewußte Verfolgung des militärischen Programms glaubt man Madrid ohne weiteres. Unsicherheit aber besteht hinsichtlich der politischsozialen Erneuerungen. Der zu Optimismus neigende Ausländer in Spanien, der heute sein „Wir heißen euch hoffen!“ ausruft, baut darauf, daß er sein erwartungsvolles Vertrauen dereinst nicht wird revidieren müssen.

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