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Der Sohn des Prätendenten

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Madrid, im Oktober

Spanien ist ein Königreich. Seine verfassungsmäßige Bezeichnung ist „Reino de Espana".

Es ist nicht verwunderlich, daß diese Tatsache sehr oft besonderer Hervorhebung bedarf, denn im Königreich Spanien gibt es weder einen König noch eine Regentschaft. Der offizielle Titel Francisco Francos lautet „Staatschef und Generalissimus“.

Der Staatschef des Königreiches Spanien hat keinen Erben und keinen Nachfolger. Die Nachfolge soll nach seinem Tode vom sogenannten „Consejo del Reino" bestimmt werden, der unter dem Vorsitz des Präsidenten der „Cortes“ Esteban Bilbao steht. Die Verfassung schließt keinesfalls aus, daß die Nachfolge auf ein Mitglied der früher herrschenden königlichen Familie übergeht.

Darüber, daß mit den Bestimmungen über die Nachfolge in der Staatsführung die Frage der Nachfolge selbst keinesfalls gelöst ist, besteht bei niemandem, und am allerwenigsten beim Staatschef selbst ein Zweifel. Daß damit die Nachfolge in der Staatsführung das brennendste Problem des heutigen Spanien ist, daß von seiner Lösung die Zukunft Spaniens in entscheidender Weise abhängt, liegt auf der Hand. Zahllose Annahmen, doch keinerlei autorisierte Ansichten liegen über die Möglichkeiten dieser Lösung vor. Eines steht nur fest: letzten Endes wird es zweifellos der Staatschef selbst sein, der entscheiden beziehungsweise die Lösung angeben wird. Wann dieser Zeitpunkt kommen wird, weiß heute noch niemand, wahrscheinich Francisco Franco selbst nicht. Heute kann man nur bestimmte Tatsachen anführen, diese zusammenstellen und daraus logische Schlüsse ziehen: Die gegenwärtigen. Beziehungen zwischen dem Thronprätendenten Don Juan und dem Staatschef Francisco Franco berechtigen nicht zur Annahme, daß die „Dynastie-Klausel" des Nachfolgegesetzes für Don Juan Anwendung finden könnte. Die verschiedenen Versuche einer Annäherung zwischen dem Thronprätendenten und dem Staaatschef können als endgültig gescheitert angesehen werden. Weder der Austausch von Briefen noch die Entsendung von Emissären noch die persönliche Zusammenkunft, die an Bord eines spanischen Kriegsschiffes zwischen Don Juan und Franco stattfand, haben etwas an dieser Lage der Dinge zu ändern vermocht. Es ist müßig, darüber Betrachtungen aiizustellen, wer in Wirklichkeit Schuld an diesem Mißerfolg trägt. Doch besteht zweifellos die Ansicht zu Recht, daß der größere Teil der Schuld nicht bei den Hauptpersonen, sondern bei bestimmten Nebenfiguren liegt.

Wenn man sich aber auf den Boden der Tatsachen stellt, die Möglichkeit einer Restauration, Don Juans ausschaltet, die abenteuerlichsten Kombinationen, die über die Nachfolge angestellt wurden, zu den Akten legt und nach dem am ehesten in Frage kommenden Nachfolger Ausschau hält, springt einem zwangsläufig eine Person in die Augen: der Sohn des Prätendenten, Don Juans Sohn, Don Juan Carlos! — Bestimmte Vorgänge, die sich in der letzten Zeit und in den allerletzten Tagen abspielten, berechtigen dazu, die Möglichkeit einer Nachfolge des

Sohnes des Prätendenten mehr als jemals bisher in Betracht zu ziehen.

Don Juan Carlos hat seine Mittelschulstudien in Spanien. absolviert. Er hat im vergangenen Jahr das spanische Abitur abgelegt. Sein Aufenthalt in Spanien verlief bis dahin mit Wissen und Willen des Vaters und des Staatschefs unter Anwendung aller Rücksichtnahmen, sinnvoller Berücksichtigung seiner besonderen Stellung und angelegentlicher persönlicher Anteilnahme Francos.

Die Meinungsverschiedenheiten über die weitere Ausbildung des siebzehnjährigen Don Juan Carlos ergaben sich nach dem. Abitur. Nach Ansicht des Vaters sollte er nunmehr einige Jahre im Ausland, in England, in Frankreich, den Vereinigten Staaten und anderen Ländern verbringen, um Fremdsprachen bis zur Vollkommenheit zu erlernen, sich mit der Art anderer Völker vertraut zu machen und einen Ueberblick über die politische Lage in den einzelnen Ländern wie über die Außenpolitik im allgemeinen zu erlangen. Nach Ansicht Francos sollte er nach dem Abitur mehrere Jahre in den verschiedenen Waffengattungen der spanischen Armee dienen, entsprechende militärische Ausbildung genießen, kameradschaftliche Verbindungen zum Offizierskorps der verschiedenen Waffengattungen ausbauen und dann erst seine „Tour de Grand Duque" im Ausland antreten.

Der Meinungsstreit zwischen dem Prätendenten und dem Staatschef kam nicht zur Austragung. Das Schicksal wollte es, daß sich die Briefe, in denen Don Juan einerseits und Franco anderseits ihre Ansichten über den künftigen Werdegang des Sohnes des Prätendenten zum Ausdruck brachten, kreuzten. Staatschef und Prätendent wurden der Notwendigkeit enthoben, Argumente mit Gegenargumenten zu beantworten. Während die Briefe zwischen Madrid und Lissabon hinüber und herüber gingen, wurde die Reise Don Juan Carlos’ von Tanger nach der Halbinsel vorbereitet, womit auch die Würfel gefallen waren: der Sohn des Prätendenten wird vorerst nicht die Reise ins Ausland, sondern seine Dienstzeit in den Regimentern und den Einheiten der Wehrmacht des „Königreiches Spanien" antreten.

Selbstverständlich wäre das nicht möglich, wenn der Vater nicht die von selbst entstandene Lage als vollzogene Tatsache anerkannt und gutgeheißen hätte, und nicht mit Unrecht mißt man dieser Anerkennung und Gutheißung eine besondere entscheidende und historische Tragweite bei: s i e b e deutet letzten Endes’ nicht mehr und nicht weniger als den Verzicht des Vaters zugunsten des Sohnes. Faktisch ist der Sohn des Prätendenten an Stelle des Prätendenten getreten, wenn nicht auf Grund offizieller und formeller Entscheidungen, so doch nach unmißverständlichen Symptomen. Sollten die Symptome tatsächlich die Vorläufer von Entscheidungen sein, würde sich von Seiten des Prätendenten Don Juan ein Opfer ergeben, dessen Wert nicht genügend hoch einzuschätzen wäre. Entsagung des Prätendenten zugunsten seines Sohnes, der sicherlich nicht gegen den Willen seines Vaters die Nachfolge angetreten hätte, wäre eine geschichtliche Tat, die nicht nur im Dienste der Dynastie der spanischen Bourbonen, sondern mehr noch in dem des Königreiches Spanien stehen würde.

Sollten die Anzeichen nicht trügen, sollten die bevorstehenden Tatsachen den ihnen zugemessenen Sinn haben und auch in der Zu- kunft behalten, wäre das brennendste Problem des neuen Spanien gelöst. Die Tragweite dieser Lösung würde aber mit der Sichemng des Gleichgewichtes auf der iberischen Halbinsel weit über die Grenzen Spaniens reichen und in hervorragender Weise der Sicherung Europas selbst dienen.

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