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Trotz außenpolitischer Erfolge: Pubertätskrise der Demokratie

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Die junge spanische Demokratie steckt in ihrer ersten Pubertätskrise: Wenn ihr Auftritt seit der Franco-Dik- tatur auch ohne Revolution vor sich gegangen ist, so haben doch eine Reihe yon Mikrorevolutionen das gleichsam idyllische Panorama gestört. Die Summe dieser kleinen Revolutionen ergibt eine innenpolitische Situation, die bedrohlich erscheint, falls nicht zeitgerecht wirksame Lösungen gefunden werden.

Auffälligstes Phänomen in diesem Zusammenhang sind die Zerfallserscheinungen der öffentlichen Ordnung: Die Serie strafbarer Delikte hat erschreckend zugenommen. Diebstähle, Raubüberfälle, Vergewaltigungen und Mißbräuche haben sich im ganzen Land vervielfacht. Da die Gegenmaßnahmen der Polizei bisher nicht wirksam genug waren, wird schon von einer Entmoralisierung der öffentlichen Sicherheitsorgane gesprochen, die noch während der Fran- co-Diktatur mit der bedingungslosen Unterstützung der Regierung rechnen konnten.

Krisenerscheinungen in Form von systematischen Rebellionen traten vor allem in den Gefängnissen auf: Strafgefangene protestierten gegen die General-Amnestie politischer Gefangener, die in den Augen der Mithäftlinge auch nichts anderes als Verbrecher sind. Damit im Zusammenhang erfolgte eine zusätzliche Radikalisierung in der baskischen Bevölkerung, die nicht nur Generalamnestie, sondern auch die Wiedererlangung der administrativen und politischen Privilegien forderte, die im Bürgerkrieg verloren gegangen waren. Gemeinsam mit den Statuten von Katalonien werden die baskischen Forderungen zu den Kernpunkten der Neuen Verfassung zählen, die derzeit in Bearbeitung ist.

Die zweite Mikrorevolution, die ebenfalls heftige Diskussionen in der spanischen Bevölkerung auslöste, war der allgemeine Preisanstieg im Anschluß an die Peseta-Entwertung. Die Regierung, die mit strengen Maßnahmen eine ökonomische Stabilisierung anstrebte, konnte oder wußte dieses Versprechen nicht zu halten. Die Benzin-Versteuerung hat beachtliche Preisanstiege im Straßen- und Eisenbahntransport mit sich gebracht, ebenso im Post- und Telegrafenwesen.

Gleichzeitig hat eine Reihe von systematischen Streiks angehalten, die den Mangel an Disziplin in der Arbeiterklasse anzeigten, weil die Werktätigen scheinbar noch nicht genügend in den unterschiedlichen und aufgespaltenen Gewerkschaften organisiert sind.

Diese ökonomische Krise stelltdas größte Problem in den kommenden Monaten dar. Die Regierung wird es in enger Zusammenarbeit mit der Opposition und der ganzen Bevölkerung zu lösen haben. Ein schwieriges Unternehmen, weil Spanien weder in nationaler noch realistischer Hinsicht ein Modell der Kooperation praktiziert.

Alle diese Faktoren haben in der heterogenen Zusammensetzung der Union des Demokratischen Zentrums (UCD) ein gewisses Unbehagen herbeigerufen: Es wurde von einer „Miniregierungskrise” gesprochen, von einigen politischen Persönlichkeiten sogar die Bildung einer neuen Regierung der nationalen Einheit vorgeschlagen. Eine solche Maßnahme, riskant und gefährlich zugleich, kann nicht mit der Zustimmung der Opposition rechnen, die Suärez lieber scheitern sähe.

Zweifellos aber stehen die innenpolitischen Spannungen im Gegensatz zu den außenpolitischen Erfolgen: Spanien hat im Ausland einen Sympathiezuwachs erfahren, der im ganzen Jahrhundert seinesgleichen sucht. Die Besuche bedeutender, ausländischer Persönlichkeiten in Spanien reißen nicht ab: Zuletzt war es der Außenminister von Großbritannien, besonders auffällig, weil sich London und Madrid wegen Gibraltar ständig in den Haaren hegen. Ebenfalls außergewöhnlich war der private Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky bei König Juan Carlos in Mallorca.

Spanien hat offiziell seinen Beitritt zur EWG erbeten und Ministerpräsident Suärez hat während seiner ersten offiziellen Reisen nach Kopenhagen, Paris, Rom und La Valetta weitere Besuche in Hauptstädte der Gemeinschaft angekündigt. Die Aussichten auf einen EWG-Beitritt sind nicht schlecht, obwohl Schwierigkeiten des „grünen Europas” zu erwarten sind, besonders von Frankreich, das in den nachbarlichen Agrarprodukten eine starke Konkurrenz sieht.

Der Führer der Opposition, Felipe Gonzales, hat erste Reisen nach Übersee durchgeführt. Bei seinen Besuchen in Venezuela und Chüe hat er ein glaubhaftes Bild von der spanischen Demokratie gezeichnet.

Die Alternative zwischen effektiver Innen- und Außenpolitik und die Auseinandersetzungen in den sozialen und ökonomischen Bereichen bestimmten also das Bild der jungen Demokratie Spaniens in diesem Sommer, die sich nun in einem neuen Stil den auftretenden Problemen stellen muß.

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