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Der Wind hat sich gedreht
Die ersten Frühlingsstürme, die im September über die spanischen Nordküsten hereinbrachen, haben sich langsam, nach stoßweise einsetzenden Gewittern und Orkanen, zu der Regenperiode entwickelt, nach der das Land nach zwei Jahren außergewöhnlicher Trockenheit lechzte. Die Zeichen am politischen Himmel lassen vermuten, daß auch die Jahre der politischen Dürre für Spanien zu Ende gehen werden. Der Besuch der nordamerikanischen Kriegsschiffe in El Ferrol del Caudillo war kein beiläufiger Höflichkeitsbesuch, auch nicht nur eine bedeutsame Geste (die vier Schiffe ankerten gleichsam vor der Haustür des Landguts des Caudillo, das nur wenige Kilometer von der Bucht von Ferrol entfernt gelegen ist), denn sie brachten Admirale, Generale des Heeres und der Luftwaffe der USA und l einen Stab von Technikern, die zunächst eingehend die navalen Einrichtungen des Kriegshafens von Ferrol studierten und dann ihr Interesse auf das gesamte nordwestspanische Küstengebiet ausdehnten. Die strategische Bedeutung der „Rias“ von Galicien, jenes vielgegliederten und landschaftlich so reizvollen Küstengebietes Nordwestspaniens, ist im Laufe der Geschichte oft genug zutage getreten. Im Jahre 1800 griffen die Engländer Ferrol an und versuchten, dort zu landen. Das Jahr 1805 erlebte eine Seeschlacht zwischen der spanischfranzösischen und der britischen Flotte unter Admiral Calder in den Gewässern von Finisterre. 1809 zog sich Sir John Moore durch Galicien nach Coruna zurück, nachdem er in Portugal an Land gegangen war und versucht hatte, gegen Madrid zu marschieren. Admiral Moore und sein Untergebener, Sir David Baird, fanden den Heldentod bei den Kämpfen um La Coruna, als die britischen Streitkräfte sich unter ähnlichen Umständen einschiffen mußten wie 130 Jahre später in Dünkirchen. Während des Weltkrieges, wie auch schon während des Bürgerkrieges 1936— 1939 boten die „Rias bajas“ den deutschen Marine einheiten Zuflucht und Schutz. Die Felseninseln und die Vorgebirge der in die Buchten hineinnagenden. Halbinseln entzogen sie nämlich jeder Sicht von Seeseite her, so daß es dem Gegner nur dann möglich gewesen wäre, ihre Gegenwart festzustellen, wenn er durch Überfliegen der Küste die territoriale Hoheit Spaniens verletzt hätte.
Nur diese kurzen Erinnerungen mögen genügen, die strategische Bedeutung der nordwestspanischen Küste in einer allfälligen Verteidigung Europas zu kennzeichnen. Amerikas Pläne aber scheinen anderer Art zu sein. Kaum drei Wochen nach dem Besuch der Kriegsschiffe unter Admiral Connolly, trafen Gruppen von nordamerikanischen Senatoren und Abgeordneten des Kon-' gresses, die mehrere Länder Mittel- und
Nordeuropas bereist hatten, in Spanien ein. Ihre Spanienreise, so wurden sie nicht müde zu wiederholen, sei ganz privaten Charakters, und sie wollten nur ihrer Europatour „einen angenehmen Abschluß geben“. Indessen machten sie sich, ohne auch nur einen Tag zu verlieren, daran, ganz systematisch die Wirtschaftsprobleme Spaniens zu studieren, und die spanischen Behörden ihrerseits umgaben die „privaten“ Reisenden mit allen Aufmerksamkeiten, die man offiziellen Repräsentanten eines ausländischen Staates zukommen läßt. Bei ihrem Besuch der Hauptstadt stellte sie der ministerielle Zeremonienmeister, der „Introductor de Embajadores“, Baron de las Torres, dem Außenminister vor, und dieser führte sie beim Staatschef ein. Ihre Rundreise, auf der sie zwei Sekretäre der spanischen Gesandtschaft in Washington und Mitglieder der amerikanisch-spanischen Handelskammern begleiteten, führte sie von Katalonien, wo sie Ge-
legenheit hatten, die Wässer- und Kraftwerke und die bedeutenden Fabriken der Textilindustrie kennenzulernen, nach Biskaya, wo sie eingehend die Eisen- und Stahlwerke besichtigten, deren Entwicklungsmöglichkeiten noch enorm 'sind. Ihr besonderes Interesse galt den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter und den Leistungen des spanischen Staates auf sozialem Gebiet überhaupt. Die von den Amerikanern besuchten Betriebe überreichten schriftliche Aufstellungen ihrer pflichtmäßigen und freiwilligen sozialen Lasten, von Krankenkassenbeiträgen, Altersrenten, Hinterbliebenenfürsorge, Teuerungszulage, Ausgaben für Krankenhäuser, Werksapotheken, Lehrlingsheimen, Schulen, Kirchen und kulturellen Fonds. Die Landes-, Provinz- und städtischen Behörden ließen es sich angelegen sein, den Gästen die Einrichtungen der Volkswohlfahrt ihrer Gebiete zu zeigen. Besonders die moderne „Sanatorienstadt“ in den Bergen bei Bilbao erregte die Anerkennung der Amerikaner. Ob diese auch tiefer blicken konnten in die Lebensverhältnisse des spanischen Volkes, steht dahin.
Es ist spanische Art, dem Fremden die Nöte der großen Masse des eigenen Volkes zu verschleiern und stolz auch den Amerie kanern zu sagen: „Zum Unterschied von vielen anderen europäischen Ländern braucht unser Volk keine Almosen von euch, keine sozialen Hilfsaktionen, keine Gare-Pakete. Wenn ihr uns helfen wollt, so helft uns, unsere Industrie auszubauen, unserem Handel Wege zu öffnen. Wenn ihr das tut, so können wir als Gegenleistung unsererseits einen sehr wertvollen Beitrag zur wirtschaftlichen Gesundung Europas leisten und einen Teil eurer Lasten im europäischen Hilfsprogramm abnehmen.“
Immer wieder unterstreicht die spanische Presse: „Wir wollen nichts geschenkt.“
Die nordamerikanischen Abgeordneten erklärten wiederholt, sie würden es sich angelegen sein lassen, bei ihren Wählern und im amerikanischen Volke überhaupt um Verständnis für die Belange Spaniens zu werben. In den Kreisen der amerikanischen Hochfinanz wie bei den Generalstäblern ist diese Werbung längst nicht mehr notwendig. Letztere haben sich seit langem die Überzeugung zu eigen gemacht, die ‘auch wir schon wiederholt an dieser Stelle äußerten. Erstere hingegen sind nach und nach gleichsam auf die Fußtapfen der Deutschen in Spanien gestoßen, sie sind ihnen nachgegangen und haben entdeckt, daß Spanien in der Tat Reichtümer birgt — ungehobene Bodenschätze, eine entwicklungsfähige Industrie, eine Landwirtscbatf, die das Sechsfache produzieren könnte, wenn sie mit neuzeitlichen, rationellen Methoden bekannt gemacht würde —, die großzügige Kapitalsanlagen recht bald verzinsbar gestalten würden. Ein Zauberwort aber flimmert über der Landkarte der Iberischen Halbinsel: Uranium! Über die Uraniumvor- kommen auf der Iberischen Halbinsel sind wenig präzise Nachrichten in die Welt gedrungen. Zuweilen verraten spanische Provinzzeitungen etwas von lokalen Bohrungen, in Katalonien, in Kastilien, bei Madrid, aber sobald ein unachtsamer Provinzredakteur eine solche Nachricht veröffentlicht, breiten höhere Instanzen sogleich den Mantel des Schweigens über alle weiteren Einzelheiten: Staatsgeheimnis! Spanien steht zur Zeit nach Belgisch-Kongo, Kanada, der Tschechoslowakei an vorderster Stelle der Länder mit Uraniumvorkommen. Spaniens Uraniumvorkommen werden auf eine Million Tonnen geschätzt; Portugal ist mit 250.000 Tonnen angegeben.
Im Licht der sich langsam abzeichnenden Lage verdient nun auch die Reise Francos nach Portugal Beachtung. Wenn auch offiziell verlautet, daß sie eine Erwiderung des seit 1929 unerwidert gebliebenen Staatsbesuches Carmonas in Spanien ist, so ist doch mit größter Sicherheit zu vermuten, daß die beiden Staatsoberhäupter der Iberischen Halbinsel die aus der neuen Situation resultierenden Gegebenheiten besprechen. Es dürfte auch interessant sein, zu beobachten, ob Franco mit Exponenten aus Kreisen des Estoril Fühlung nehmen wird, denn die tatsächliche Wiedereinführung der Monarchie scheint in weitere Ferne gerückt denn je. Franco hat es schließlich verstanden, in Spanien eine politische Stabilität aerzustellen, die den schwersten Belastungen itandgehalten hat. Das Volk gehorcht ihm, seufzend zwar, aber es denkt nicht daran, sich gegen sein System lufzulehnen — und am wenigsten ’egen Franco an sich, dessen Staatskunst und würdiger persönlicher Lebensstil auch bei Gegnern Anerkennung findet. So lange Franco lebt, ist er daher für die Amerikaner die beste Garantie für Ruhe und Ordnung in einem Land und Volk, dessen starker Individualismus weder von der Monarchie noch von der Republik gebändigt werden konnte. Jede Schwächung dieses zuverlässigen Garanten könnte unabsehbare Folgen im so mühsam bewahrten Gleichgewicht Westeuropas haben, und wer wollte den Amerikanern dafür einstehen, daß ein neues, wenngleich demokratisches System imstande wäre, die Kontinuität der Ruhe und entsagungsvollen Arbeitsamkeit dieses Volkes zu gewährleisten?
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