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Englands Stellung im Mittelmeer

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Vor etwa zwanzig Jahren warf ein Mitglied des englischen Unterhauses in einer Debatte über das Marinebudget die Frage auf, ob jene englischen Staatsmänner nicht von einem richtigen Instinkt geleitet gewesen seien, die seinerzeit den projektierten Bau des Suezkanals mit allen Mitteln zu hintertreiben suchten. Von Natur aus beengt, sei das Mittelmeer im Zeitalter des Unterseebootes und des Flugzeuges noch enger geworden, und aus der Notwendigkeit, den Kanal zu kontrollieren, könnten für England und das Empire im Falle eines Krieges mehr Schwierigkeiten als Vorteile erwachsen. Im zweiten Weltkrieg traten die vorhergesehenen Schwierigkeiten tatsächlich ein, aber weder die den Briten numerisch stark überlegene italienische Schlachtflotte noch die vereinten deutsch-italienischen Unterwasser- und Luftstreitkräfte vermochten den Schiffsverkehr der Alliierten via Port Said-Suez gänzlich zu unterbinden, geschweige denn, daß sie imstande gewesen wärerij auch nur einem Fahrzeug der „Achse“ die Kanalpassage zu eröffnen. Andererseits lieferte dieser Erfolg der britischen Kriegführung keinen Beweis dafür, daß der zähe Widerstand, den die maßgebenden Kreise Englands in den fünfziger und sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts dem Suezkanalprojekt entgegen ctzten, einer sachlichen Grundlage durchaus entbehrt hätte.

Die ablehnende Haltung vor allem Lord Palmerstons und anderer Führer der englischen Politik beruhte nur zu einem geringen Teil auf zeitbedingten Erwägungen strategischer Natur und gewiß noch .weniger auf einer Vorahnung späterer Errungenschaften der Waffentechnik. Entscheidend war vielmehr die Sorge — wie aus einer Anweisung Palmerstons an den britischen Botschafter in Konstantinopel im Jahre 1851 klar hervorgeht —, daß die Durchführung des geplanten Kanalbaues das relative Stärkeverhältnis der europäischen Seemächte verschieben, die Lage des osmanischen Reiches in Mitleidenschaft ziehen und damit die Möglichkeit politischer Konsequenzen von größter Tragweite heraufbeschwören könnte. Man befürchtete, mit anderen Worten, eine Gefährdung des Status quoim Nahen Osten als unmittelbare Folge des Umstandes, daß durch die neue Verbindung mit dem Indischen Ozean das Mittelmeer auch für nichtmediterrane Mächte an Interesse und Bedeutung erheblich gewinnen mußte; konnten doch bei Benützung des Kanals zum Beispiel die Seerouten Hamburg—Bombay um fast 43 Prozent, Triest— oder Odessa—Bombay um mehr als 60 Prozent abgekürzt werden. Ohne Verzug unter-nahm daher England, sobald die Durchführung des Projekts eine vollendete Tatsache geworden war, alle nötigen Schritte, um einer Bedrohung seiner Mittelmeerposition vorzubeugen: die Festsetzung in Ägypten und am Oberlauf des Nils, die Verstärkung seiner Mittelmeerflotte, die Festigung seiner Stellung auf dem formell noch immer türkischen Zypern, der Ausbau von Gibraltar, Malta und — später — der Flottenbasis Alexandrien. Von vorübergehenden Spannungen, wie etwa der Fa- schoda-Krise, abgesehen, blieb Englands mediterrane Machtsphäre denn auch durch ein halbes Jahrhundert so gut wie unangefochten, ein Umstand, der wesentlich zur Aufrechterhaltung der politischen Stabilität im Mittelmeerraum beitrug.

Erst mit dem Ausgang des ersten Weltkrieges tragen weitgehende Verschiebungen ein, die sich in den folgenden Jahren noch schärfer und keineswegs zu Englands Gunsten akzentuierten. Mit der Auflösung der Donaumonarchie war ein seinem Wesen nach konservierender Und stabilisierender Machtfaktor ersten Ranges verschwunden. An- seiner Stelle lag ein inachtpolitisches Vakuum, welches früher oder später zwangsläufig zu Bestrebungen sowohl des pangermanischen wie des pan- slawischen Imperialismus führen mußte, den freigewordenen Sektor des mediterranen Raumes, und wohl noch mehr als diesen, zu besetzen. Wurde auch diese Gefahr in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch kaum erkannt, und in Whitehall vielleicht weniger noch als in anderen europäischen Staatskanzleien, so konnte sich die britische Staatsführung doch nicht lange der Tatsache verschließen, daß eine zweite Frucht des Sieges von 1918 , nämlich die Zertrümmerung des Osmanischen Reiches, den Keim bedenklicher Komplikationen in sich barg. England hatte sich der Aufstachelung nationalistischer Leidenschaften und des Appells an partikularistische Tendenzen im Kampfe gegen das vielsprachige Reich der Habsburger wie gegen die Hohe Pforte mit Erfolg bedient, dann aber traten hier wje dort die Folgen ein, die sich nicht mehr nach Wunsch des Siegers regulieren ließen. Die im Jahre 1922 unvermeidbar gewordene Umwandlung- des britischen Protektorats Ägypten in ein Königreich, dessen Verbindung mit England künftig nur mehr auf ‘vertrai fther Grundlage beruhen sollte, war das erste allgemein erkennbare Anzeichen, daß im mediterranen Raum ein neuer Machtfaktor in Entwiddung begriffen war: der ara bische Nationalismus.

Zunächst erschien dieser partielle Rüdezug aus Ägypten, und auch die relative Stärkung der Position Italiens, welches seit 1918 seines natürlichen Gegengewichtes am Ostufer der Adria entledigt war, durch die Einbeziehung Palästinas als Mandatsgebiet in die britische Machtsphäre mehr als wettgemacht. Der Besitz von Haifa und die Möglichkeit, die gesamte britische Mittelmeerflotte mit Brennstoff aus dem Irak zu versorgen, bedeutete einen Vorteil, der gegenüber der Lage vor dem ersten Weltkrieg nicht hoch genug eingeschätzt werden konnte. Dazu kamen das hohe Ansehen und die Sympathien, die sich Großbritannien in den arabischen Staaten erworben hatte, die ihre Begründung seinem Siege über die Türkei verdankten. Bald aber zeigte sich die Kehrseite der Medaille und nach wenigen Jahren schon mußte sich England fragen, ob es mit Palästina nicht ein Problem übernommen hatte, dessen Lösung, wenn eine solche überhaupt möglich war, einen unverhältnismäßig großen Aufwand an Opfern aller Art erfordern würde.

Wie so manche für Zwecke der Kriegführung gemachte Zusagen oder Erklärungen. war auch die sogenannte B a 1 f o u r- Deklaration vom 2. November 1917, die der späteren Errichtung des britischen Mandats in Palästina zur Grundlage diente, weder eindeutig formuliert, noch in allen ihren Implikationen genau überdacht worden. Indem er den Juden die Unterstützung Englands bei der Begründung einer „nationalen Heimat" in Palästina verhieß, verfolgte der damalige britische Außenminister die Absicht, das internationale Judentum zu erhöhtem Einsatz für die Sache der Alliierten zu gewinnen; zugleich wollte er dem mit ihm befreundeten Zionisvenführer Dr. Chaim Weizmann, der sich um die chemische Kriegsindustrie Englands außerordentliche Verdienste erworben hatte, seine persönliche Erkenntlichkeit erweisen. Abgesehen davon nun, daß jene Deklaration den Verlauf und Ausgang des Krieges in keiner Weise beeinflußte und den Sieg der Alliierten auch nicht um einen Tag beschleunigte, kam es über den Sinn und die Auslegung des Wortes „nationale Heimat" alsbald zu scharfen Differenzen. Die meisten jüdischen Wortführer und auch viele Nichtjuden bestanden darauf, daß das britische Versprechen nur durch die Errichtung eines ganz Palästina oder doch den größeren Teil des Landes umfassenden, völlig selbständigen und von Juden dominierten Staates Israel eingelöst werden könne; die Araber hingegen lehnten diesen Anspruch als indiskutabel ab, wobei sie sowohl auf die arabische Mehrheit der einheimischen Bevölkerung, wie auf die Tatsache hinweisen konnten, daß Palästina vom 7. bis zum 20. Jahrhundert, mit kurzen Unterbrechungen während der Kreuzzüge, unter islamitischer Herrschaft gestanden war. Sie waren bereit, den jüdischen und den von den Juden oft übersehenen christlichen Minderheiten vollen Schutz und weitgehende Selbstverwaltung zu gewähren, aber wenn Palästina ein selbständiger Staat werden sollte, dann mußte, das stand für sie fest, dem Umstand Rechnung getragen werden, daß zur Zelt der Errichtung der britischen Mandatsverwaltung der jüdische Bevölkerungsteil nur etwa 12 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte, das heißt, kaum mehr als der Anteil des christlichen Elements. ,

An diesen Gegensätzen, die sich, vor llern durch Einflüsse von außen immer mehr vertieften, ist das Mandat gescheitert. Daß England sich durch fast dreißig Jahre redlich bemühte, einen tragbaren Ausgleich zu finden und hiebei ungeachtet unerhörter Herausforderungen seitens der Terroristen von Irgun Zvai Leumi und deren in aller Welt agitierenden Gesinnungsgenossen eine geradezu beispiellose Geduld und Selbstüberwindung an den Tag legte, dafür wußte ihm weder die eine noch die andere Seite Dank. Die Juden bezichtigten die frühere Mfmdatsmacht des Rechts- und Wortbruches, weil sie die Einwanderung nach Palästina be schränkt und die Vorarbeiten für die Errichtung des Staates Israel behindert habe. Die Araber beklagen sich, und zweifellos mit mehr Recht, daß England bei aller formellen Unparteilichkeit praktisch den Juden und ihren Kriegsvorbereitungen Vorschub geleistet kabe. Tatsächlich hätten die Juden wohl keine Möglichkeit gehabt, sich den arabischen Plänen bezüglich der Zukunft des Landes mit Waffengewalt zu widersetzen, wenn London die schon längst beschlossene Terminierung seiner Mission um zwei oder drei Jahre oder auch nur um zwölf Monate vorverlegt hätte.

Für die weitere Gestaltung der britischen Position im Mittelmeer und damit auch für die Sache des allgemeinen Friedens, wird es von großer Bedeutung sein, ob es der britischen Staatsführung gelingt, das volle Vertrauen der arabischen Welt wiederzugewinnen. Es ist nicht belanglos — namentlich nach der Preisgabe von Haifa und der palästinensischen Stützpunkte der R. A. F. —, ob die beiderseits des Suezkanals liegenden Gebiete englandfreundlichen oder -feindlichen Regierungen unterstehen. Nicht minder wichtig ist die Frage, ob Palästina selbst schließlich zu den Freunden oder Feinden Englands und des Westens überhaupt zu zählen sein wird.

, Unter den rund 750.000 Juden, die sich heute im Lande befinden — ihre Zahl ist in rapider Zunahme begriffen —, sind nur etwa 40.000 orthodoxe Juden, von denen Respekt auch für die religiösen und politischen Überzeugungen anderer erwartet werden darf. Die große Mehrheit ist von einem säkularistischen Messianismus erfüllt, der sie totalitären Gedankengängen östlicher Prägung besonders zugänglich macht. Nicht allein aus humanitären Erwägungen müßten sich daher Großbritannien und alle Mächte des westlichen Kulturkreises jeder Regelung widersetzen, durch welche arabische Bevölkerungsteile einem unkontrollierten jüdischen Regime unterstellt würden. Jedes Zurückweichen in diesfem Punkte würde die Gefahren vergrößern, die den Weltfrieden gegenwärtig auch vom mediterranen Raum her bedrohen.

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