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Das andere Palästina

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Man hörte nur von Verhandlungen zwischen Juden und Arabern, Einvernahmen arabischer und jüdischer Vertretungen; blutige Kämpfe zwischen Juden und Arabern sind seit 1936 kaum abgerissen. Aber von dem anderen Palästina, vom christlichen Volke im Heiligen Lande, ist nidit die Rede. Und doch leben dort unter etwa 1.200.0 Arabern und schon 600.000 Ju; den über 90.000 Christen, und sind die Heiligen Stätten für 770 Millionen Christen des Erdballes und insbesondere für 398 Millionen Katholiken heute mehr denn je Gegenstand ernstester Sorge. Uber 50.0 Katholiken und griechisch-unierte Melchiten betreut der Lateinische Patriarch; sie verfügen über 67 Kirchen, 286 Priester, 458 Ordensbrüder und Schwestern, 115 Klöster, 43 Knabenschulen mit zirka 7000 Schülern und 45 Mädchenschulen mit über 10.0 Schülerinnen, und 26 charitative Institutionen. Das Lateinische Patriarchat, 1099 begründet, hat seine historische Aufgabe gegenüber den arabischen Sultanen erfüllt; während seiner Suspendierung wachte die Kustodie des Heiligen Landes, die Franziskaner, denen die Sultane gar das Recht einer eigenen Handelsflagge gewährten und die heute „Wächter” aus aller Herren Länder umfaßt, eine wahre „internationale Brigade” der katholischen Welt. Daneben haben in Palästina Jesuiten und Dominikaner, Benediktiner und Trappisten, Passionisten, Lazaristen, Salesianer, Assum- tionisten und die Weißen Väter und ebenso viele Frauenorden ihre Ansitze, von denen — vielfadj schon viele Jahrhunderte lang — die Verbreitung von Glauben und Kultur ausging und mit mildtätigen Werken ebensolange auch Moslim und Juden umfassen.

Auch die anderen christlichen Riten haben dort ihr Werk entfaltet, die syrischen Katholiken, unierten Armenier und Abessynier, die syrischen und griechischen Orthodoxen, Armenier (Gregorianer), Ja- kobiten, Kopten, Maroniten, Chaldäer, im letzten Jahrhundert auch die Evangelischen, Anglikaner und deutschen Templer.

Sie alle und ihre Werke und Aufgaben sind nun in den chaotischen Wirbel gerissen, den die politische Entwicklung in Palästina zur Folge hat. Die Teilung des Landes in einen arabischen und in einen Judenstaat wirft sie wahllos in diesen oder jenen Teil, liefert sie einer der beiden Regierungen aus, sieht man ab von ihren Niederlassungen im neuen internationalen Bezirk von Jerusalem, für den eine eigene Konstitution geschaffen wurde.

Gewiß, solange der Kampf ging, suchten beide Teile sich der Mithilfe der christlichen Kirchen zu vergewissern. So sprach auch eine Abordnung des Arabischen Komitees im August 1946 beim Oberhaupt der Christenheit in Rom vor, und Papst Pius XII. antwortete: „Es ist überflüssig zu sagen, daß wir alle Anwendung von Gewalt, woher immer sie komme, mißbilligen, sowie wir einen fanatischen Antisemitismus verdammt haben, der sich gegen das jüdische Volk austobte. Wir haben immer diese Haltung eingenommen, in vollkommener Unparteilichkeit, auch bei verschiedensten Gelegenheiten, und wir gedenken dies ebenso in Zukunft zu tun. Aber man soll wissen, daß diese Unparteilichkeit, die uns kraft unseres apostolischen Ministeriums auferlegt ist und die uns über die Konflikte stellt, mit denen die menschliche Gesellschaft geplagt ist, und zwar gerade heute nicht als Indifferenz aufgefaßt werden kann.”“

Diese Haltung hat auch die Kirche in Palästina gewahrt, sosehr auch die christlichen Araber im nationalen Kampf ihre Solidarität erwiesen haben. Aber das „Christliche Komitee in Palästina”, das katholische wie nichtkatholische Führer vereinigt, hat in einer Denkschrift festgestellt: „Es ist nicht Aufgabe der christlichen Kleriker in Palästina, den Fall vom politischen Gesichtspunkt aus zu behandeln. Aber als Christen sind sie an der Zukunft Palästinas höchlichst interessiert, insoferne es das Heilige Land für Millionen Christen im Ausland ist.” Über diese Gefühle, aber zugleich auch über die Tatsache der Einigkeit aller christlichen Konfessionen in dieser Frage, geht eine Stimme einer „Esco Foundation” mit Jingo-Argumenten hinweg, die behauptete: „Das Christentum ist in Palästina keine einheimische Kraft. Als organisierte Religion ist cs die Schöpfung Roms und stellte im Osten immer die Einführung einer ausländischen Zivilisation dar. Die meisten Kirchen sind ausländischen Ursprungs und ausländischer Autorität untertan.” Dies im Geburtsland Christi!

Es sei zugegeben, daß in der UN solche Gehässigkeiten kein Ohr gefunden haben. Im Gegenteil, die Wiedergabe der Debatte über die Sicherung der religiösen Rechte in den beiden neuen Staaten hat im Subkomitee der UN, das den Auftrag an die Palästinakommission der UN zu formulieren hatte, im April und Mai 1947 mehr Platz erfordert als die ganze übrige Textierung. Dies zufolge einer Verbindung der Formel „allgemeine Interessen der Einwohner” mit „religiösen Interessen des Islams, des Judentums und der Christen in Palästina”. Der vom Franzosen Boisanger angeregte Antrag Salvadors, den Herschel Johnson, der ständige Delegierte der USA im Sicherheitsrat, mit der Forderung unterstützte, daß die christliche Gemeinschaft in Palästina von der Untersuchung nicht ausgeschlossen werden dürfe, wurde besonders von den katholischen Staaten Südamerikas unterstützt, von Argentinien, Chile, Peru, Nikaragua, Bolivien und Kolumbien, ferner von dem Philippinen, während Australien, Uruguay, die UdSSR und Grönland sich dagegen stellten. Ein australischer Antrag, den einschlägigen Paragraph 6 zu streichen, wurde mit 25 gegen 19 Stimmen abgelehnt, bei Stimmenthaltung Ägyptens, Afghanistans, Kanadas, Indiens, Mexikos, Polens und der Sowjets. Die Formel, die nur von den „religiösen Interessen” ohne Bezugnahme auf die „allgemeinen Interessen” sprach, wurde sodann mit 27 gegen 9 bei 16 Stimmenthaltungen und 3’Absenzen angenommen. Die Opposition bestand aus den arabischen Staaten, Türkei, Australien, Indien, Belgien, Luxemburg und Holland.

Das Subkomitee hat die Zulassung der offiziellen jüdischen und arabischen Vertretungen zu den Beratungen beschlossen, doch alle anderen „n i c h t o f f i z i e ll e n” Memoranden und Eingaben nicht zur Kenntnis genommen, darunter alle Memoranden christlicher Vereinigungen, besonders das instruktive Memorandum der Catholic Near East Welfare Association, die unter Vorsitz Kardinal Spellmans die allein autorisierte Aytntur der Orientkongregation des Hl. Stuhles darstellt und somit für die materiellen und moralischen Hilfsaktionen im Heiligen Lande zuständig ist. Die Forderung der Association gipfelten darin, daß die Katholiken in den neuen Staaten nicht nur „garantierte Freiheit der Religion” genießen sollen, die sooft verzerrt und parteiisch neutralisiert wurde,

sondern eine spezifizierte Freiheit religiöser Versammlung, religiöser Organisation und Entwicklung sowie Sicherung vor Wegbesteuerung und vor gesetzlicher Verhinderung des Baues oder der Unterhaltung von Kirchen, Schulen und Wohlfahrtseinrichtungen, dies unter einer ausdrücklichen G a- rantie der UN.

Die nach ihrer Bereisung Palästinas nach Genf zurückgekehrte UN-Kommission hat in ihren am 31. August 1947 abgeschlossenen Vorschlägen im Paragraph 5 diesen Forderungen Rechnung zu tragen versucht, und der Beschluß der Vollversammlung der UN vom 29. November über die Teilung Palästinas hat diese Bestimmungen übernommen.

Danach soll „der geheiligte Charakter der Heiligen Stätten in Palästina gewahrt und der Zutritt zu ihnen gemäß bestehenden Rechtes (eine Einschränkung?) in Anerkennung sowohl der besonderen Interessen von Millionen Christen, Juden und Moslim des Auslandes wie auch der Einwohner von Palästina gesichert werden”. Ferner heißt es: „Bestehende Rechte der verschiedenen Religionsgemeinschaften in Palästina sollen weder geschädigt noch verweigert werden, da deren Erhaltung für den religiösen Frieden des Landes nach Erreichung der Selbständigkeit wesentlich ist.”

Da bisher Streitfälle zwischen den Religionsgemeinschaften von der britischen Mandatsmacht entschieden wurden, soll nun hiefür ein entsprechendes Organ geschaffen werden. In den Verfassungen der neuen Staaten sollen insbesondere gesellützt werden: bestehende Rechte der Religionsgemeinschaften, der freie Zutritt zu den Kultstätten, ihre bauliche Erhaltung auf Kosten der Gemeinschaften, Steuerfreiheit, „soweit sie bisher bestand”, dann Gewissensfreiheit und freie Religionsausübung und Gleichstellung aller Rassen, Religionen und Sprachen, Achtung des Familidn- und Personenrechtes der einzelnen Konfessionen. Damit sollen „die Sorgen zerstreut werden, die vielenorts hinsichtlich des Status und der Rechte der religiösen Gemeinschaften nach Errichtung unabhängiger Staaten in Palästina bestehen”.

Die UN übernimmt auch einen Schutz der Heiligen Stätten in Jerusalem. Bethlehem, Nazareth und anderen Orten durch Schaffung einer internationalen Körperschaft, bestehend aus drei Vertretern der UN und je einem Vertreter der Religionsgemeinschaften und ausgestattet mit dem Rechte, bei Verletzung dieser Bestimmungen den Regierungen der beiden Staaten Vorstellungen zu machen und an die Vollversammlung der UN zu berichten.

Überdies — und das ist ein entscheidender Fortschritt — müssen die Verfassungen der neuen Staaten, unbeschadet ihrer Normen über Verfassungsänderungen,’ diese Bestimmungen zum Schutze der Heiligen Stätten, der religiösen Gebäude, Niederlassungen und Interessen a 1 unabänderlich erklären. Auch im Mandat waren diese Interessen schon als „perpetual” fixiert worden. Artikel 13 und 14 betraf aber in weit engerem Sinne nur die Heiligen Stätten und Gebäude.

Der gute Wille für den Schutz der christlichen Interessen ist also anzuerkennen. Doch verbleiben einige Lücken und Bedenken. Einmal wurde in territorialer Hinsicht wohl Jerusalem internationalisiert, auch Bethlehem dabei eingeschlossen, nicht aber Nazareth, das seinerzeit nach Vorschlag der Kgl. Kommission ebenfalls eine Enklave sein sollte. Auch die von dieser Kommission empfohlenen Sonderrechte für kirchliche Niederlassungen im übrigen Lande fanden keine Berücksichtigung. Es heißt nur im allgemeinen, daß der Gouverneur von Jerusalem auch ihretwegen darüber wachen solle, daß der jüdische, beziehungsweise arabische Staat seine Verpflichtungen erfülle.

Ferner wäre zu bemerken, daß bezüglich des staatlichen Unterrichts Sprache und Kultur der jüdischen und arabischen Minderheiten geschützt werden, nicht aber die der christlichen, obwohl andererseits ihr Recht auf Privatschulen ausdrücklich anerkannt wird.

Das Memorandum der Catholic .Near East Welfare Association führt mit Recht an, daß solche Minderheitsgesetze schon theoretisch verkündet und selbst gesetzlich garantiert, dann aber verletzt und durch eine auf Umgehung berechnete Gesetzgebung ausgelöscht wurden. So könnte eine übelwollend Auslegung zum Beispiel die katholischen Schulen als „ausländische” erklären und einer Diskriminierung unterwerfen. Oder sie könnte die Zulassung ausländischer Lehrer in diesen Schulen verbieten. Würde die UN-Garantie in diesem Falle wirksam werden? Wird immer der heutige politische und soziale Zustand auch die Durchsetzung der Garantien garantieren?

Gesetze sind Menschenwerk und der Evolution unterworfen. Die heutigen Kämpfe in und um Palästina geben vorläufig nicht einmal die Gewißheit, daß dieses UN-Werk eines Tages in Kraft treten wird. Die Garantien, die es für die christlichen Interessen im Heiligen Lande zu schaffen sucht,

werden aber mit Gottes Hilfe von den Millionen Christen der Erde geschützt werden, welche Zukunft immer Palästina beschert sein möge.

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