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Der Vatikan und Israel

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Der Vatikan unterhält bis heute keine diplomatischen Beziehungen mit Israel. So mancher, darunter der bekannte österreichische Publizist Friedrich Heer, hat aus dieser Tatsache auf das Vorherrschen einer antisemitischen Stimmung im Vatikan geschlossen. Dieser Schluß zeigt allerdings nur, daß die betreffenden Ankläger keine sehr große Kenntnis der diplomatischen Gepflogenheiten im allgemeinen und der des Vatikans im besonderen besitzen. Denn das Bestreben diplomatischer Beziehungen zwischen zwei Staaten besagt noch lange nicht, daß der eine Staat mit der Ideologie des von ihm anerkannten Staates einverstanden ist. Die Existenz einer russischen Botschaft in London ist doch wirklich noch kein Beweis, daß Rußland nicht antimonarchistisch ist, und die Existenz einer amerikanischen Botschaft in Moskau ist auch noch kein Beweis, daß die USA pro- kommunistisch sind. Die Nichtexistenz von diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel sind deshalb noch lange kein Beweis, daß im Vatikan eine antisemitische Stimmung vorherrsche.

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Der Vatikan unterhält bis heute keine diplomatischen Beziehungen mit Israel. So mancher, darunter der bekannte österreichische Publizist Friedrich Heer, hat aus dieser Tatsache auf das Vorherrschen einer antisemitischen Stimmung im Vatikan geschlossen. Dieser Schluß zeigt allerdings nur, daß die betreffenden Ankläger keine sehr große Kenntnis der diplomatischen Gepflogenheiten im allgemeinen und der des Vatikans im besonderen besitzen. Denn das Bestreben diplomatischer Beziehungen zwischen zwei Staaten besagt noch lange nicht, daß der eine Staat mit der Ideologie des von ihm anerkannten Staates einverstanden ist. Die Existenz einer russischen Botschaft in London ist doch wirklich noch kein Beweis, daß Rußland nicht antimonarchistisch ist, und die Existenz einer amerikanischen Botschaft in Moskau ist auch noch kein Beweis, daß die USA pro- kommunistisch sind. Die Nichtexistenz von diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel sind deshalb noch lange kein Beweis, daß im Vatikan eine antisemitische Stimmung vorherrsche.

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Legt man aber den von den Anklägern angewendeten Grundsatz auf die diplomatischen Beziehungen des Vatikans überhaupt an, dann müßte dieser nicht nur von einer antisemitischen Stimmung, sondern auch von einer antiarabischen, antiamerikani- schen, antischwedischen, antinorwegischen, antitürkischen usw. Stimmung beherrscht sein. Denn der Vatikan besitzt nicht nur mit Israel keine diplomatischen Beziehungen, sondern auch nicht mit Jordanien, nicht mit den USA, mit Schweden, Norwegen, der Türkei. Warum? Hier muß ein kurzes Wort über die Grundsätze der vatikanischen Diplomatie verloren werden: Der Vatikan bedrängt keinen Staat mit der Forderung, mit ihm diplomatische Beziehungen aulzunehmen. Wenn ein Staat diese nicht wünscht, dann ist der Vatikan der Letzte, der hier Schritte unternehmen würde, um diese dennoch zu erreichen. Aber wenn einmal diplomatische Beziehungen zwischen dem Vatikan und einer Macht bestehen, dann wird der Vatikan von sich aus diese so gut wie niemals abbrechen. Denn solange solche Beziehungen beste hen, besteht auch die rechtliche Möglichkeit, daß der Nuntius für die Rechte des Heiligen Stuhls und die Rechte der Katholiken sich einset- zen kann, was ja in erster Linie seine Aufgabe ist. Von diesem Standpunkt aus versteht man, warum der Vatikan zum Beispiel seinen Nuntius im Dritten Reich nicht abberief und der Nuntius das kommunistische Rumänien erst verließ, als er dort ausgewieisen wurde.

Die Diplomaten des Papstes

Der Papst ist ja das einzige Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft, das das aktive und passive Gesandtschaftsrecht besitzt. Seine Gesandten genießen bei den akkreditierten Staaten den internationalen Status von Diplomaten. Gemäß den Bestimmungen des Wiener Kongresses besaßen die Nuntien sogar eine bevorzugte Stellung innerhalb des diplomatischen Korps, denn sie fungierten als die Doyens derselben. Diese Bestimmung gilt heute noch und wurde 1961 nur teilweise modifiziert.

Das aktive und passive Gesandtschaftsrecht des Papstes hat seine

Wurzel in der Tatsache, daß der Papst auch ein weltlicher Souverän ist. Bis ziur Mitte des 19. Jahrhunderts war er der Herrscher über einen mittelgroßen italienischen Staat, der dann unter den Angriffen des nationalen Italien immer mehr zusammenschmolz und de facto verschwand, bis durch die Lateranverträge von 1929 der Papst wieder die voll Souveränität, wenn auch nur über einen sehr kleinen Staat, erlangte.

Die Diplomaten des Papstes haben allerdings andere Aufgaben als die Diplomaten weltlicher Mächte. Ihre Aufgabe ist es, nicht den Papst als Oberhaupt eines Staates, sondern als Oberhaupt der katholischen Kirche zu vertreten und dde Rechte der katholischen Kirche wahrzunehmen sowie die Katholiken zu schützen und zu fördern.

Die Nuntien haben daneben noch innerkirchliche Aufgaben. Sie haben zum Beispiel den Verkehr zwischen den Bischöfen und dem Heiligen Stuhl zu besorgen, Informativprozesse für Bischöfe durchzuführen, sie besitzen vielfache Dispensvollmachten und auch andere Rechte.

Der Papst wird, so sagten wir schon, in der Regel keine Nuntien ernennen, wenn nicht ein Land die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit dem Vatikan wünscht. Nun weiß jedermann, daß Israel sehr viel an der Aufnahme solcher Beziehungen gelegen ist. Denn die Anerkennung durch den Vatikan wird von ihm als ein großer Prestigeerfolg gewertet. Außerdem scheinen keine zu lösenden Probleme zwischen dem Vatikan und Israel zu bestehen, die die Aufnahme solcher Beziehungen hindern könnten.

Wenig Katholiken in Israel

Im Staat Israel lebten bis zum 6-Tatge-Krieg 1967 nur relativ wenige katholische Christen. Die meisten Katholiken befanden sich im jordanischen Teil des Landes. Die Katholiken Palästinas, und zwar sowohl des israelischen wie des jordanischen Teiles, unterstehen dem lateinischen Patriarchat von Jerusalem, das 1847 durch Pius IX. wieder ins Leben gerufen wurde. Da diesem Patriarchat auch der Gaza-Streifen untersteht, reicht es somit nach Ägypten herein. Zum Patriarchat von Jerusalem gehört außerdem noch die ganze Insel Zypern. Dieses Riesengebiet, das durch seine staatliche Vierteilung sicherlich nicht leicht zu regieren ist, besitzt aber nur im ganzen 55.000 Katholiken. Von diesen 55.000 lebten die meisten bis zum 6-Tage-Krieg im jordanischen Teil, und nur wenige in Israel. Sie wurden offiziell seitens Israels in keiner Weise in ihrer Reli- giomsübung behindert. Denn Israel, dessen Bewohner heute nur noch zu 16 Prozent gläubige Juden sind, ist ein religiös indifferenter Staat und besitzt beileibe nicht eine Staatsreligion, wie zum Beispiel Spanien, Großbritannien, Dänemark oder Persien. Warum, wird so mancher mit Recht fragen, konnte Israel sich bis heute nicht entschließen, diplomatische Beziehungen mit Israel, die dieses wünscht, aufzunehmen?

Aber die Aufnahme solcher Beziehungen würde logischerweise auch die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Jordanien nach sich ziehen müssen. Dieses hätte fast noch ein größeres Recht darauf, denn bis zum 6-Tage-Krieg von 1967 lebte der größte Teil der palästinensischen Christen unter der Herrschaft König Husseins und ebenso standen 90 Prozent der Heiligen Stätten unter jordanischem Zepter. Die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen allein mit Israel könnte deshalb Jordanien kränken und würde wahrscheinlich die Lage der Christen in den arabischen Ländern radikal verschärfen. Diese Tatsache darf in keiner Weise außer acht gelassen werden.

Die Heiligen Stätten

Natürlich spielt für den Vatikan auch die Frage der heiligen Stätten beziehungsweise ihres besonderen Schutzes eine große Rolle. Der Vatikan versuchte bereits 1948 nach der Gründung des Staates Israel eine Intemationalisierung der heiligen Stätten zu erreichen. Die katholischen Staaten machten bei der UNO einen diesbezüglichen Vorstoß, der auch zu einem Entschluß führte, der aber, wie so viele UNO-Beschlüsse, in der Praxis nicht durchgeführt wurde. Seit 1967 wird in den Publikationen des Vatikans die Intemationalisierung Jerusalems nicht mehr erwähnt. Bin Hinweis, daß sich der Vatikan vielleicht mit einer internationalen Garantie oder internationalen Abmachungen über die heiligen Stätten zufriedengeben würde. Die heiligen Stätten befanden sich ja vor dem 6-Tage-Krieg zum größten Teil unter jordanischer Herrschaft, wie zum Beispiel Bethlehem und die Altstadt von Jerusalem. Jetzt sind sie von Israel okkupiert, und erst ein Friedensschluß wird die Frage der Zugehörigkeit dieser Gebiete regeln. Aber wann ist für diese Gebiete der endgültige Friedensschluß in Sicht? So ist es begreiflich, daß der Vatikan irgendwelche internationale Abmachungen zum Schutz der heiligen Stätten wünscht.

Es ist bekannt, daß der Vatikan, bevor er diplomatische Beziehungen mit einem Staat aufnimmt, auch immer wünscht, daß die Katholiken des betreffenden Landes ein Minimum an Rechten besitzen, die es ihnen ermöglichen, Idie religiösen Pflichten zu erfüllen. Nun hat Israel, wie schon erwähnt wurde, seinen Staatsbürgern volle Religionsfreiheit garantiert, und die Katholiken können ein völlig freies religiöses Leben führen. Sie haben sehr viele katholische Institutionen, wie Schulen und Hospize. Aber dies gilt in erster Linie für Katholiken, die nicht Israelis sind. Es soll anderseits vorgekommen sein, daß Israelis, die sich taufen ließen, die israelische Staatsbürgerschaft angeblich verloren haben, und ebenso sollen Israelis, die eine Christin heiraten wollten, sich nicht unerheblichen Schwierigkeiten gegenübergesehen haben.

Wie Immer, so muß auch der Vatikan hier vor Aufnahme diplomatischer Beziehungen viele Umstände bedenken. Im konkreten Fall die Lage der Christen in den arabischen Staaten, den Schutz der heiligen Stätten, die Rechte der Katholiken in Israel und Jordanien. Diplomatische Beziehungen nur mit Israel aufzunehmen, würde in den arabischen Staaten zu Reaktionen gegen die Christen führen. Sie mit Israel und Jordanien gleichzeitig aufzunehmen, wäre wiederum den Israelis nicht recht. So ist es in dieser1 'Situation sicherlich klüger, an die Ernennung eines Nuntius für Israel nicht zu denken, sosehr dies vielleicht die Israelis sich auch aus Prestigegründen wünschen. Aber hinter dieser Haltung stehen allein seelsorgliche und kirchliche Überlegungen. Zu behaupten, daß hier antisemitische Gründe vorliegen, ist völlig aus der Luft gegriffen.

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