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Was will der Nuntius?

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Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution, deren 200-Jahr-Feier mit so großem Pomp begangen wurde, forderte Dulderpapst Pius VL (1775-1799) aus der Verschleppung ins französische Valence zu einem Zeitpunkt, da Napoleon seine Militärdiktatur aufbaute: „Der Papst hat das Recht, auch an weit entfernten Orten Gesandte zu haben, die ihn und seine Autorität nach entsprechender Übereinkunft vertreten. Dieses Recht leitet sich aus den grundlegenden Ansprüchen und aus der ständigen Praxis seit den ersten christlichen Jahrhunderten her.“

Im Rahmen der fast zweitausendjährigen Geschichte des Papsttums war das Imperium Napoleons - wie jene Reiche seiner nicht nur europäischen Nachahmer - ein kurzlebiger Zwischenfall, der allerdings das alte Europa umgekrempelt und zu seiner Neuordnung auf dem Wiener Kongreß geführt hat. Dieser bestätigte am 19. März 1815 den Ehrenvorrang des jeweiligen päpstlichen Botschafters, der seit dem 16. Jahrhundert in den alten europäischen Staaten der Doyen, der Sprecher des jeweiligen Diplomatischen Korps war - von seinen diplomatischen Kollegen ob seiner unpolitischen Haltung schon in einer Epoche geschätzt, in der es auch noch die weltlichen Interessen des Kirchenstaats zu vertreten galt. Der ist bekanntlich im Zug der Einigung Italiens im Jahre 1870 zerfallen. Und heute weint ihm kein Papst mehr nach.

Wiederum in Wien, Brückenstadt zwischen Ost und West, bestätigte 1961 eine Internationale Konferenz unter den Auspizien der Vereinten Nationen die Beschlüsse von 1815, betonte erneut die völkerrechtliche Unabhängigkeit des Apostolischen Stuhls. Der gibt nie ein erworbenes Recht auf. Nicht aus unnötiger Eigenbestätigung, sondern immer im Sinne des Auftrags einer weltweit anerkannten Autorität, die für das friedliche Miteinander aller Völker und Nationen wirkt, erfolgreich wirkt, und heute in 118 Staaten einen päpstlichen Gesandten hat.

Ihr stilles, eben diplomatisches Wirken, trägt neuerdings immer mehr ungeahnte Früchte, die vor Jahrzehnten auf das vermeintlich ausgetrocknete Feld der Ost-West-Beziehungen gesät wurden. Bei der ersten Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) in Helsinki waren es die päpstlichen Gesandten, die mit ihrem Einsatz für die Menschenrechte die Grundlage für ein neues Europa erkämpft haben.

Zu solchen internationalen Konferenzen entsendet der Papst heute eher Sondergesandte, natürlich unter der Leitung seines ständigen Vertreters im j e weiligen Land. Denn die diplomatischen Aufgaben der ständigen päpstlichen Gesandten sollen immermehr hinter ihre kirchlichen zurücktreten. Sie sind, gleich welchen Titel sie tragen - als beim jeweiligen Staatschef akkreditierten Nuntien oder als vom Staat geduldete Delegaten mit' halboffiziellem diplomatischem Status -immer und in erster Linie Repräsentanten des Papstes bei der jeweiligen Ortskirche.

Das ist eine Frucht des Zweiten Vatikanischen Konzils. Als während der zweiten Sitzungsperiode dieser ins nächste christliche Jahrtausend weisenden Versammlung über die Kollegialität im Bischofsamt und damit über die gemeinsame Verantwortung aller Bischofe für die Weltkirche diskutiert wurde, griff (am 16. Oktober 1963) der aus der Schweiz stammende und damals schon im Ruhestand lebende Bischof Joachim Ammann das Thema Nuntien und Delegaten auf. Ihr Dasein, meinte er im Namen vieler Missionsbischöfe, erwecke den Eindruck, die Kirche sei eine politische Macht, was das Verständnis ihres wahren Wesens nicht erleichtere. Weitere Einwände und Kritiken folgten. So .monierte der indische Kardinal Valerian Gracias, Erzbischof von Bombay, am 5. November 1963, es dürfe nicht vorkommen, daß päpstliche Botschafter in ein Land entsandt werden, von dessen Sprache und Kultur sie keine Ahnung haben.

Die Gesandten des Papstes werden heute weltweif rekrutiert Sie werden in der im Jahre 1701 eigens errichteten, heute Päpstliche Kirchliche Akademie genannten Schulungsstätte an der Piazza della Minerva in Rom ausgebildet Früher war es eine „Akademie für die Adeligen“, weil der päpstliche Diplomaten-Nachwuchs fast ausschließlich aus Adelsfamilien kam. Heute bringt der alte europäische Adel nichts mehr ein. Und gerade die Bischöfe des deutschen Sprachraums zeigten sich - trotz amtlicher Bitten und persönlicher Erläuterung - wenig geneigt, einen guten Mann für den Dienst an der Kurie freizugeben. Doch gibt es Anzeichen eines Umdenkens.

Erzbischof Cesare Zacchi aus dem italienischen Arezzo, der seine außer-vatikanischen Lehrjahre in Wien gemacht hatte, den Papst viele Jahre als gewandter Geschäftsträger im Kuba Fidel Castros vertreten und dann bis zu seiner Pensionierung die päpstliche Diplomatenschule geleitet hat - er hat viel zur Internationalisierung des päpstlichen Diplomatischen Dienstes beigetragen.

Die Gesandten des Papstes sprechen heute auch „fremde“ Sprachen als ihre Muttersprache, etwa vietnamesisch und chinesisch, kommen aus der entsprechenden Kultur. Alle werden im Lauf ihrer praktischen Ausbildung rundum geschickt. Den „typischen“ Nuntius italienischer Art gibt es nicht mehr (obwohl gerade er, wie die Geschichte beweist, nicht der schlechteste war). Sein Werdegang war vorgezeichnet: Einstieg als Sekretär in einer kleineren päpstlichen Vertretung, zwei oder drei Versetzungen und dann die Ernennung zum Missionschef in einer sogenannten „kleinen“ Nuntiatur, beiBewährung Erhebung in eine sogenannte „große“ (etwa Wien, Brüssel, Paris oder Lissabon) - und als Krönung den Kardinalshut

Paul VL hat damit aufgeräumt Seit seiner großen Kurienreform des Jahres 1968 kann auch ein „großer“ Nuntius nicht automatisch mit dem Kardinalspurpur rechnen. Hat er seinen Dienst gut erfüllt dann wird er mit Erreichung der ebenfalls von Paul VI. eingesetzten Altersgrenze des 75. Lebensjahrespensioniert und erhält vielleicht noch einen Beraterposten in der Römischen Kurie, zur Auf rundung seiner kargen Pension. Ein Nuntius, der „aufstieg“, war Eugenio Pacelli: Er wurde aus Deutschland als Kardinalstaatssekretär zurückberufen und kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Papst gewählt

Heute muß jeder päpstliche Gesandte die Ausbildung in der päpstlichen Diplomatenakademie durchgemacht haben. Es gibt wenige Ausnahmen einer Ernennung von Persönlichkeiten, die einen Schnellkurs in Diplomatie zu bewältigen hatten. Ihr Auftrag ist ja immer zutiefst kirchlicher Natur. Papst Paul VI. hat ihn vor zwanzig Jahren entsprechend den Wünschen und Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils völlig neu definiert Sein entsprechendes Dekret beginnt mit den bezeichnenden Worten „Solli-citudo omnium Ecclesiarum“ und spricht sehr klar vom päpstlichen Auftrag, für die Gesamtkirche Sorge zu tragen.

Heute hat der Petrus-Nachfolger die Möglichkeit, mit Pastoralreisen, und ständigem Austausch - die Technik ermöglicht es - weltkirchlichen Kontakt zu halten. Doch er frr>n nicht alles allein tun. „Der Petrusdienst“, sagte der heutige Papst am 7. Mai dieses Jahres anläßlich eines Besuchs in der Apostolischen Nuntiatur in Italien, also vor seiner eigenen Haustür, „sein persönlicher Dienst vor Ort macht den seiner Vertreter nicht überflüssig. Sie vergegenwärtigen den Papst nach wie vor in den Ortskirchen mit viel Treue und Liebe, oft in der Stille und nicht ohne Opfer.

Sie tragen dazu bei, daß sich auch die Ortskirchen in den entferntesten Winkeln, in denen das Evangelium verbreitet wird, spontan nach Rom ausrichten, dem Zentrum und Herzen der Katholizität... Sie sprechen für den Papst Sie geben seiner Sorge lim den Weg des Menschen und um die Bestimmung der Völker Ausdruck.“

Darin hegt heute die Hauptaufgabe eines päpstlichen Gesandten. Das neue Kirchenrecht, das die Konzilsbeschlüsse in Gesetzesnormen faßt, listet sie auf und betont immer das „enge Einvernehmen mit den Ortsbischöfen“. Bei allen Verhandlungen oder Bemühungen ist der päpstliche Gesandte gehalten, „die Beurteilung und den Rat der Bischöfe des (jeweiligen) kirchlichen Wirkungsbereichs zu erfragen und sie über die Entwicklung der Angelegenheiten zu unterrichten“, sagt das 1983 promulgierte Kirchenrecht.

Reden wir hier nicht von all den unendlichen Diensten am Menschen, die von den päpstlichen Gesandten ganz konkret vermittelt und geleistet werden (der heutige päpstliche „Außenminister“ Erzbischof Ange-lo Sodano hat in seiner Zeit als Nuntius in Chile Dutzenden vom Regime gefährdeten Personen Asyl gewährt). Reden wir lieber im Sinne des Konzils vom Miteinander zwischen römischer Zentrale und Ortskirchen.

Der Verfaaaeriat Vatikan-Journalist und Autor des kürzlich erschienenen Buch es „Der Papst und die Kurie - Wie eine Weltkirche regiert wird“ (Herder).

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