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Durchhalten heißt handeln

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Am 21. Juni— am Fronleichnamsfest — jährte sich zum zehntenmal der Tag, an dem Giovanni Baptista Montini, Erzbischof von Mailand, vorher langjähriger Mitarbeiter Pius XII., zum Papst gewählt wurde und den Namen Paul VI. annahm.

Seit Jahren befindet sich dieser Papst fast ununterbrochen dm Kreuzfeuer der Meinungen. Von allen Seiten, von Kardinal Ottaviani bis zu den extremsten holländischen „Neuerem“ wird er, wenn auch in der Tonart verschieden, schärfstens kritisiert. Da gleichzeitig nur wenige zustimmende Äußerungen veröffentlicht werden, mußte bei vielen der Eindruck entstehen, der Papst sei allein, ohne Hilfe, und werde an seiner Aufgabe zerbrechen. Genährt wird diese Stimmung durch taktlose Spekulationen über einen angeblich bevorstehenden Rücktritt. Diskussionen innerhalb der römischen Kirche

sind für uns ein verhältnismäßig neues Phänomen. Wenige wissen, daß es im Laufe der Geschichte immer wieder Zeiten gab, in denen derlei gang ung gäbe war. Um so eher ist man schockiert und verliert jene größere Perspektive, die allein ein sachliches Urteil erlaubt.

Daß eine Wandlung in der katholischen Kirche notwendig geworden war, leugnet auch der Konservative nicht. Die Kirche ist nicht nur Trägerin eines göttlichen Auftrags, sie ist auch eine menschliche, in dieser Welt wirkende Organisation. Geänderten Zeitumständen muß auch die jeweilige Arbeitsweise angepaßt werden, im Atomzeitalter war es also notwendig, das Organisationsschema, das einst vom Trienter Konzil aufgestellt worden war, entsprechend umzubauen, eine Aufgabe, die das Zweite Vatikanum zu erfüllen hatte. Kenner der Geschichte wissen,

daß solche Reformen an Haupt und Gliedern vorerst immer Unruhe und Unsicherheit stiften. Neue Begriffe und Arbeitsformen bedürfen der Übung und der Gewöhnung. Ein Werk wie das von einem Kozil geschaffene, ist mit dem Abschluß der Sitzungen nicht vollendet. Die wahre Arbeit liegt noch in der Zukunft, da es leichter ist, die großen Linien einer Neuerung festzulegen, als diese dann in geduldiger Kleinarbeit dem praktischen Leben anzupassen. Reform, soll sie erfolgreich sein, kann nicht über Nacht durchgeführt werden.

Inmitten dieser stürmischen Ereignisse, umbrandet von vielerlei Meinungen, steht die Person des Papstes. Er muß die letzten Entschlüsse fassen. Das Problem des Oberhauptes der Kirche liegt nicht so sehr im Dogmatischen, denn dort herrscht Sicherheit; es liegt viel eher dort, wo sich Grundsätzliches mit praktischer Auslegung der Moral überschneidet, den Menschen also am fühlbarsten in seinem alltäglichen Leben betrifft. Dort herrscht heute überhaupt die größte Unklarheit — nicht nur innerhalb der Kirche, sondern gleichermaßen auch im Leben der Gesellschaft.

Zu dieser gewaltigen Schwierigkeit kommt noch der geschichtsbedingte Standort Pauls VI. Seine beiden Vorgänger waren stark ausgeprägte und grundverschiedene Gestalten: hier Pius XII., der Aszet und Mystiker, der autoritäre, hierarchisch denkende Mann, der keinen Widerspruch duldete und die Kirche mit eiserner Hand lenkte; dort Johannes XXIII., der lebensfreudige Reformer — und manchmal weltfremde Idealist, der in hoher Begeisterung und im Sturmschritt auf Gebieten mit der ganzen Wucht seiner massiven ländlichen Natur hereinbrach,

wo erfahrenere Männer sich kaum getraut hätten, zu atmen.

Als Johannes XXIII. starb, war die Kirche zutiefst gespalten. Es gab jene, die einen neuen Pius XII. ersehnten, und es gab die anderen, die auf dem Wege Johannes XXIII. fortschreiten wollten. Das Konklave aber wählte einen Mann, der weder dem einen, noch dem anderen Ideal entsprach und daher von beiden Flügeln mit Enttäuschung aufgenommen wurde. Heute läßt sich feststellen, daß eine Lösung im Sinn der einen oder anderen Fraktion mehr denn wahrscheinlich der Kirche schwersten Schaden zugefügt hätte. Die Wahl eines neuen Pius XII. mitten im Aufbruch, hätte fast mit Sicherheit zu einem Schisma geführt. Eine Fortsetzung des Tempos, wie es einem Johannes XXIII. eigen war, hätte die Kirche über das Ziel hinausschießen lassen. Eine Synthese der beiden Extreme wäre allerdings kaum möglich gewesen. So war es denn ganz offensichtlich die Aufgabe des neuen Papstes, durchzuhalten, Zeit zu gewinnen, die Dinge sich beruhigen zu lassen — und daher am Ende von allen Seiten Undank zu ernten.

Paul VI. hat diese Aufgabe begriffen und erfüllt. Seine Enzyklika „Populorum Progressio“ erfreute die „Fortschrittlichen“; als dann „Hu-manae vitae“ erschien, waren die „Progressiven“ zutiefst enttäuscht, während die „Konservativen“ jubel-

ten. Und doch: wenn man diesen oft-; mals schwer überschaubaren Weg, dieses angebliche Schwanken ohne Vorurteil studiert, wird man erkennen, daß sich ganz beachtliche Erfolge eingestellt haben. Die Gefahr einer Glaubensspaltung ist sehr gering geworden. Der Verlust an Substanz wurde immerhin noch in Grenzen gehalten. Neue Institutionen lebten sich ein und dürften sich nach Beendigung der Anlaufzeit bewährt haben. Der ärgste Stoß, die erste schwere Erschütterung ist überwunden. Es gibt freilich noch unzählige Nachbeben. Sie erreichen aber nicht mehr die ursprüngliche Intensität. Das Gebäude steht. Der Nachfolger Pauls VI. wird es zweifellos schon leichter haben.

Man hat den Papst „Amleto“, einen „Hamlet“, genannt, einen unentschlossenen Zauderer. Gewiß, er zögert und er bleibt Diplomat. Aber das war eben auch die einzige Art, in der die letzten Jahre erfolgreich durchgestanden werden konnten.

Die katholische Kirche brauchte eine Ruhepause. Paul VI. hat sie ihr gegeben. Es gelang ihm, auseinanderstrebende Kräfte zusammenzuhalten — was viel schwerer ist, als eindrucksvolle Taten zu setzen. Die Kirchengeschichte wird eines Tages nachweisen, daß gerade, in diesen Jahren durch das zähe Durchhalten, durch das aufreibende „Zeitgewinnen“ Gewaltiges geleistet wurde.

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