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Ein Papst im Zerrbild -und wie er wirklich war

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„Am 21. Februar 1963 stellte in der Volksbühne am Berliner Kurfürstendamm Erwin Piscator das Stück eines unbekannten Autors, Rolf Hochhuth, vor. Es trug den Titel ,Der Stellvertreter', bediente sich einer geschichtlichen Persönlichkeit, Pius' XII., zum Zweck der dramatischen Dichtung und stellte den Papst in seinem Wesen, seinen Motiven, seinen Handlungen an den Pranger. Der Autor wandte die gleiche Methode später auch auf andere historische Figuren wie Winston Churchill an, was ihm Verleumdungsklagen und schwere Geldstrafen einbrachte. Aber ,Der Stellvertreter' löste bloß eine weltweite Debatte aus; und das nicht nur unter Juden. Intellektuelle und andere, die sich früher kaum für katholische Sachen interessiert hatten und darüber auch nur wenig Wissen besaßen, fanden plötzlich, der verstorbene Papst sei ein interessantes Objekt für ihre Aufmerksamkeit. Die Wirkung war selbst in katholischen Kreisen nachhaltig.“

Der Jesuitenpater Robert A. Graham, Mitglied der Redaktion der „Ci-viltä cattolica“, setzte das Erscheinen jenes Theaterstücks an den Beginn eines Umschwungs in der öffentlichen Meinung, mit dem das Bild Pius' XII. entscheidend „umgeprägt“ worden ist. Eugenio Pacelli, der „Pastor angeli-cus“ - wie sieht ihn die Welt heute, bald 20 Jahre nach seinem Tod, wenn man nicht selbst zu jenen gehört hat, die ihn erleben durften? Im Schatten seines Nachfolgers Johannes XXIII., der den „Ausbruch“ der Kirche aus einer Ära der Verkrustung in eine neue Zeit des „Aggiornamento“ gewagt hat; als den Papst, der zu den Greueln der Nationalsozialisten schwieg, aber die Mitglieder der Kommunistischen Partei bannte; als den Papst, der, weil „vor-konziliar“, zum Inbegriff der Reaktion, des Uberholten geworden ist.

Es war der damalige Nuntius in Österreich, der heutige Kardinal Opi-lio Rossi, der bei der Gedenkfeier zum 100. Geburtstag Eugenio Pacellis 1976 die Anregung gab, Forscher aller Richtungen sollten sich mit dieser so bedeutenden Figur der kirchlichen Zeitgeschichte befassen, um ein wahrhaftigeres Bild zu geben. Herbert Schambeck, Ordinarius für Verfassungsrecht in Linz und Stellvertretender Vorsitzender des österreichischen Bundesrates, griff die Anregung auf. Vor wenigen Wochen konnte er Paul VI., dem zweiten Nachfolger Pius' XII, den Sammelband überreichen, in dem er im Vorwort ausführt:

„Die Jahre seines Wirkens reichen von Leo XIII. über zwei Weltkriege bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, das er noch geistig vorzubereiten suchte. Als Diplomat und Seelsorger war er in einer Zeit vielfaltiger Auseinandersetzungen um die Erhaltung des Friedens in einer Welt bemüht, in der besonders durch den technischen Fortschritt und das damit verbundene Näherrücken der Menschen auch deren Konfliktsituationen zunahmen. Noch in der letzten großen Friedensphase Europas aufgewachsen und durch verschiedene Friedensmissionen im Ersten Weltkrieg geschult, hatte er die Kirche durch den Zweiten Weltkrieg hindurchzuführen, um dann den beginnenden Blockbildungen in der Politik der Völker zu begegnen. Gemäß seinem Wahlspruch .Opus justitiae pax' bemühte er sich um die Entfaltung einer umfassenden christlichen Sittlichkeit, welche die Individual-und Sexualmoral in gleicher Weise umfaßte und sowohl den Einzelmenschen als auch die Völkergemeinschaft anzusprechen suchte, um durch Weiterentwicklung des Ordnungsdenkens zur Erreichung und Sicherung des Friedens beizutragen.“

Wie aber konnte es dann zu dieser Verzerrung kommen, will man nicht von vornherein bewußte, politisch-ideologisch motivierte Brunnenvergiftung als gegeben annehmen? Graham erklärt: In jenen Jahren, als Hochhuth sein Stück schrieb, zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen, von denen es handelt, sei „ein neues Gefühl auf der Weltbühne erschienen“. Es hatte mit der Person dieses Papstes di-

rekt nur wenig zu tun. Man hatte keine neuen Dokumente entdeckt. Was sich geändert hatte, war das Gewissen vieler Menschen angesichts der Gewalttaten und der Ungerechtigkeit der Gegenwart. Man hatte das Eichmann-Verfahren in Jerusalem -1961 - erlebt. Der Krieg in Vietnam, die Rassenfrage in den USA und in Südafrika, die Probleme der Dritten Welt begannen die Gewissen zu erregen, sie waren Anlaß zu Selbstanklagen geworden.

„Pius XII., nicht der geschichtliche, sondern der symbolische Papst, wurde plötzlich zu einem Surrogat, einem Symbol für das Gewissen des Menschen. Es war, als repräsentiere das .Schweigen' des Papstes das Schwei-

gen, die Gleichgültigkeit der Menschheit gegenüber dem Bösen und der Ungerechtigkeit, die sie umgeben, mit der daraus folgenden Inaktivität, was ein den Betroffenen Zu-Hilfe-Kom-men anlangt.“

Wie aber waren die Tatsachen?

Natürlich war Eugenio Pacelli ein Freund Deutschlands und der Deutschen, war er doch durch seine Tätigkeit als Nuntius in München und Berlin, durch die Abschlüsse der Konkordate mit Bayern, Preußen, Baden und dem Deutschen Reich aufs engste mit dem Kernland Mitteleuropas verbunden. „Als im Jänner 1933 Hitler Reichskanzler wurde, war Pacelli- seit 1929 Kardinal-Staatssekretär - tief beunruhigt,“ berichtet Audomar Scheuermann, Kirchenrechtler in München, über jene Zeit. Denn Pacelli erinnerte sich, daß die NSDAP die beiden Konkordate abgelehnt hatte. Und während Pius XI. in Hitler vor allem den Kommunistengegner sah, führte Pacelli die bald darauf einsetzenden Konkordatsverhandlungen mit Vizekanzler Franz von Papen hart und mißtrauisch, mit-unter gereizt.

Sechs Jahre später war Pacelli selbst Papst. In dieser Zeit war der Konflikt mit dem NS-Regime offen ausgebrochen. Pius' XI. Enzyklika „Mit brennender Sorge“ bedeutete 1937 eine scharfe Verurteilung des Nationalsozialismus. An ihrer Abfassung war der Staatssekretär entscheidend beteiligt gewesen. Sie lehnte die Philosophie von einer absoluten Macht des Staates ebenso ab wie die Lehre von der rassischen Überlegenheit

Auch in Berlin wußte man, daß man im Vatikan keinen Freund sitzen hatte. Schon 1941 schrieb Heydrich in einem Rundschreiben an die lokalen Gestapoführer über eine Botschaft des Pap-

stes zum Marienmonat, sie gehe „fast ausschließlich von der Mentalität der Feindstaaten aus. Er spricht fast nur von den Qualen und der Pein des gegenwärtigen Krieges,... von dem Wüten der Verwüstungen und von dem Leid der Flüchtlinge...“ Das Schreiben solle offenbar dazu beitragen, die geschlossene Front des deutschen Volks durch pazifistische Gedankengänge zu lähmen und die Widerstandskraft der Feindvölker aufzustacheln.

Warum aber protestierte der Papst dann nicht schon 1939 in jener Schärfe, die die Betroffenen so gerne von ihm gehört hätten? 1942 klagte Bischof Radonski von Wloclawek im britischen Exil, in Polen würden Kirchen profaniert, die Religion geschmäht, Bischöfe vertrieben, Hunderte Priester getötet, Ordensfrauen den Leidenschaften verkommener Diebe überlassen - „und der Papst schweigt, als kümmere ihn seine Herde nicht!“

Bischof Radonski gab in seinem Londoner Exil zu, daß er selbst nicht sprechen könne, um seinen Diözesa-nen nicht zu schaden - aber es fiel ihm nicht auf, daß Gleiches auch für den Papst zutraf, stellt nun Graham klar. „Es war nicht Mangel an Mitgefühl oder an Wissen, sondern die Gegenwart der Gewalt, die seinen Mund verschloß. Die Wahrscheinlichkeit, daß eine formelle Verurteilung der Nazi-Greueltaten durch den Papst die Lage der Opfer erleichtert hätte, war sehr gering. Dagegen war es möglich, daß ein so gezeigtes Interesse des Papstes noch größere Grausamkeiten verursacht hätte. Die Verantwortung dafür hätte man auf den Papst gelegt.“

Was aber ohne flammende Verurteilungen vor der Weltöffentlichkeit in Wirklichkeit für die Opfer der Verfolgung getan wurde, das schildert Graham detailliert am Fall der Bemühungen um das Schicksal der ungarischen Juden, die noch in letzter Kriegsphase zur Vernichtung bestimmt worden waren Diese Aktivitäten - die noch nicht auf dem erst nach Kriegsende voll verfügbaren Informationsstand über das tatsächliche Ausmaß der Aktionen des NS-Regimes aufbauen konnten - wurden nach dem Krieg von den jüdischen Hilfsorganisationen auch voll und dankbar anerkannt.

War es angesichts dieser Erfahrungen dann zu verwundern, wenn Pius XII. nach dem Krieg nicht viel Anlaß fand, die kommunistische Diktatur mit weniger Skepsis zu betrachten als die verflossene nationalsozialistische? Der Papst, der den Gläubigen verbot, der Kommunistischen Partei anzugehören, hatte seine Gründe dazu.

„Für Pius XII. führen sich die Geistesströmungen des Sozialismus und

des Kommunismus, ob sie sich nun marxistisch oder reformistisch geben, auf ein und dieselbe weltanschauliche Wurzel zurück“, analysiert nun Rudolf Weiler, Ethiker der Universität Wien, die kollektivistische Ideologie im Urteil des Papstes. „Sie sind ein kollektivistischer Pragmatismus oder führen ... als Ergebnis des kollektiven Egoismus zum totalitären Staat, damit zur Leughung der Ubernatur wie ebenso des Naturrechts und zwangsläufig zum Gegensatz mit der Kirche und den Ansprüchen von Glaube und Religion... Ist für den Papst die na-turrechtlich-christliche Tradition von der Erkenntnis der Würde des Menschen als Person der Schutz vor jedem Absolutismus und Totalitarismus, so führen nach ihm sowohl der Individualismus als auch der Kollektivismus zur totalen Staatsherrschaft.“

Ende 1954 erklärte Pius XII.: „Wir lehnen jeden Kommunismus als Gesellschaftsordnung kraft der christlichen Lehre ab.“ 15 Monate später kritisierte er den kämpferischen Materialismus, für den der „Friede“ nur einen Waffenstillstand darstelle, währenddessen er auf den wirtschaftlichen und

sozialen Zusammenbruch der anderen Völker warte. Zu dieser Zeit hatte der Papst auch die Erfahrungen von mehr als zehn Jahren Nachkriegszeit in der Ära des Stalinismus zur Verfügung.

Was aber bleibt vom Image der „ Vorkonziliarität'' ?

Johannes XXIII. wird immer mit Konzept und Durchführung des Zweiten Vatikanischen Konzils verbunden bleiben. Niemand beschneidet sein Verdienst. Aber schon mehr als zehn Jahre, bevor Johannes den Entschluß verkündet, das Konzil durchzuführen, sprach Pius XII. mit Kardinal Ruffini und dem späteren Kardinal Ottaviani über diese Notwendigkeit. Im Frühjahr 1948 wurde eine Vorbereitungskommission eingesetzt,« der auch Bischof Hudal von der „ Anima“ angehörte. Ein umfassender Themenkatalog umfaßte bereits eine Vielzahl von Fragen, die später tatsächlich zur Behandlung kamen. Als aber 1951 die Vorbereitungen so weit abgeschlossen waren, daß man an die Einberufung herangehen konnte, und es zu Meinungsverschiedenheiten über Akzentuierung und Durchführung kam, da fühlte sich Pius XII. schon zu alt und verließ sich darauf, daß sein Nachfolger diese Aufgabe weiterführen werde.

Eugenio Pacelli - der Mensch muß hinter dem Papst zurücktreten. Nur stellenweise, in Nebensätzen, kann durchbrechen, wie oft er sich in den fast 20 Jahren seines Episkopats am Ölberg gefühlt hat Der Nuntius, der Staatssekretär in seiner diplomatischen Aktivität, der Papst als Philosoph, als Theologe, in seinen wegweisenden Äußerungen, die kaum ein Gebiet des menschlichen Lebens ausließen Zwei Dutzend Autoren halfen zusammen, um auf fast 800 Seiten das Bild diese großen Papstes nachzuzeichnen, «richtigzustellen. Es war notwendig.

PIUS XII. ZUM GEDÄCHTNIS. Herausgeber Herbert Schambeck. Mit Beiträgen von Pierre B let SJ, Giovanni Caprile SJ, Gustav Ermecke, Wendelin Ettmayer, Joachim Giers, Robert A. Graham, Josef-Fulko Groner OP, Heribert F. Köck, Karl Korinek, Johannes Messner, Rudolf Morsey, Oswald von NelUBreuning SJ, Pietro Pa-rente, Robert Prantner, Anton Rauscher SJ, Gottfried Roth; Antonio Sa-more', Herbert Schambeck, Audomar Scheuermann, Georg Schwaiger, Arthur-Fridolin Utz OP, Alfred Verdroß, Wolfgang Waldstein, Wilhelm Weber, Rudolf Weiler. Verlag Duncker & Humblott, Berlin, 768 Seiten, öS 688,-.

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