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Zuviel und zuwenig

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Nun ist das Stück des heute 33jährigen deutschen Autors Rolf Hochhuth, um das herum sich bereits eine kleine Bibliothek an Streitschriften und zusätzlicher Dokumentation angesammelt hat, auch dem Wiener Theaterpublikum zugänglich gemacht worden. Schon die Nachricht darüber, daß eine Aufführung des Stückes auch in Wien bevorsteht, hat, wie auf Grund der Berichte über das Stück nicht anders zu erwarten war, zahlreiche Proteste und heftige Diskussionen ausgelöst. Die Aufführung selbst, über die der Theaterreferent der „Furche“ an gewohnter Stelle berichtet, ging unter lauten Protestrufen und stürmischen Ovationen eines in zwei Lager gespaltenen Premierenpublikums zu Ende. Unmittelbar nach diesem „heißen“ Theaterabend fand das hier mit annähernder Genauigkeit wiedergegebene Gespräch zwischen dem Direktor der Wiener Caritas, Prälat Dr. Leopold Ungar, und dem Vertreter der Redaktion der „Furche“ statt.

Frage: Herr Prälat, auf die diesbezügliche Anfrage einer Wiener Zeitung antworteten Sie kürzlich, sie glaubten nicht, daß das Theaterpublikum mit dem Stück „auf alle Fälle konfrontiert werden soll“. Wir haben soeben, bei allen Bedenken, die einem das Stück Hochhuths problematisch erscheinen lassen, einen denkwürdigen Abend erlebt. Wir sahen junge Menschen mit älteren, darunter bekannten Politikern, in heiße Diskussionen verwickelt. Wir sahen ein im Innersten aufgewühltes, leidenschaftlich Stellung nehmendes Publikum, und dieses wohl seltene Erlebnis ließ plötzlich vieles von dem, was man dem Wiener Theaterpublikum nachsagt, als unzulässige Verallgemeinerung erscheinen. Dieses Publikum flieht die Probleme nicht, es wird mit den Problemen nur viel zu selten konfrontiert. Hier ereignete sich eine solche Konfrontation. Halten Sie unter diesen Umständen Ihre eingangs zitierte Meinung aufrecht?

Antwort: Meine damaligen Worte sind so zu verstehen, daß ich die etwas zu emphatisch klingende Frage des Journalisten abschwächen wollte. Ich bin nach wie vor der Meinung, daß das Stück Hochhuths, trotz der überaus wertvollen Aspekte, die es auch, enthält, nicht auf alle Fälle aufgeführt werden soll; es gibt wohl nur wenige Theaterstücke, für die ein solches Soll oder Muß gelten mag, das Stück Hochhuths gehört nicht zu ihnen. Ich wiederhole, was ich auch anderswo schon gesagt habe: Das Andenken eines großen Freundes der Menschheit, der Deutschen und der Juden, wurde durch den Autor in eklatanter Weise beleidigt. Das muß jedem unvoreingenommenen Leser oder Zuschauer aufgefallen sein, unbeschadet einer zweiten Tatsache, daß nämlich Hochhuth neben den Szenen, die sein erstes Anliegen, die „Abrechnung“ mit diesem Papst, an den Mann bringen wollen, auch den in Auschwitz und anderswo bestialisch hingemordeten Juden ein Denkmal setzt. Es ist also, trotz dieser ergreifenden Szenen, eine grobe Vereinfachung, hier nur von einem „Requiem“ zu sprechen, dem nun Achtung zu zollen sei.

Frage: Hochhuths Hauptthese lautet bekanntlich wie folgt: Papst Pius XII. hat die Ermordung von Millionen Juden im Hitler-Reich durch sein beharrliches Schweigen ermöglicht. Hätte er protestiert, wären die Juden am Leben geblieben. „Es bleibt dabei“, schreibt Hochhuth dazu in einem Zeitungsartikel, „nimmt man die Kirche ernst, mißt man ihre Wirklichkeit an ihrem eigenen Anspruch, so war das Schweigen des Papstes ein Verbrechen.“ Hochhuth beruft sich auf seine historischen Quellenstudien, die ihn zu diesem Urteil gebracht hätten. Er entzieht sich auf diese Weise gleichsam der Diskussion. Hat er recht — in der Sache und in seinen Folgerungen?

Antwort: Hochhuth macht zweierlei: er schreibt ein Theaterstück, das durch die darin vorkommenden erfundenen, zum Großteil allegorisch gemeinten Gestalten und allein schon durch seine Sprache als Dichtung legitimiert werden soll, selbstverständlich mit der Konsequenz, daß man ihm, wenn man sich nicht als Befürworter einer geisttötenden Zensur entlarven lassen möchte, die volle dichterische Freiheit zubilligen muß. Er ist aber zugleich auch der Forscher zeitgeschichtlicher Phänomene, und als ein solcher stellt er sich nachdrücklich, etwa im umfangreichen Nachwort seines Stückes,vor, das der Verlag zusammen mit dem Text in Umlauf gesetzt hat. Er beruft sich immer wieder auf seine jahrelangen archivalischen Forschungen und will jede kleinste Äußerlichkeit dokumentarisch belegt habe. Er schreibt zum Beispiel zur wohl allegorisch gemeinten Pilatus-Szene der Handwaschung: Papst Pius XII. war, wie Hitler, ein Mann, der sich täglich oft die Hände wusch. Er zieht auch hier wie an mehreren Stellen in seinen Regieanweisungen ausdrücklich den Vergleich mit Hitler und leitet aus dem Umstand, daß sich der Papst etwa nach Audienzen die Hände wusch, sehr weitgehende und den Papst äußerst diffamierende psychologische Folgerungen ab. Man kann nicht umhin, festzustellen, daß dieser junge Deutsche, als er sein Stück schrieb, gegenüber diesem Papst von einem ausgesprochenen Haßkomplex belastet war, sonst hätte er ihm und seinem Stück nicht die Lausbübereien angetan, die er tatsächlich angetan hat, als er zum Beispiel den großen Auftritt des Papstes mit den wohl historischen Papstworten „mit brennender Sorge“ einleiten ließ. Die Worte „mit brennender Sorge“ verbinden sich in der Erinnerung nicht nur der Katholiken mit der Tatsache, daß der Vorgänger Pius' XII. seine Enzyklika, in der er mit dem Hitlerismus vollkommen eindeutig und endgültig abrechnete, mit diesen Worten begann. Bei Hochhuth ist der Papst „mit brennender Sorge“ erfüllt um die Bombardierung der italienischen Rüstungsbetriebe durch die Alliierten; hauptsächlich, weil er, laut Hochhuth, um das Schicksal seiner Wertpapiere bangt, und auch, weil ihm die bevorstehende Niederwerfung Hitlers angesichts der bolschewistischen Gefahr gar nicht lieb ist. Auf der Bühne faseln zwei Gestalten, die eine in der Maske des Papstes, die andere in der eines katzbuckelnden vatikanischen Beamten, über die Börsenprobleme des Vatikans und insbesondere dee Jesuitenordens. Ich glaube, daß solche Kanalweisheiten nichts mit dem angeblichen Anliegen des Autors zu tun haben, den ermordeten Juden ein Denkmal zu setzen.

Frage: Auch an dieser Stelle, wie bei allen Szenen, die im Vatikan, im Kloster oder in der Berliner Nuntiatur spielen, hat man den Eindruck, der Autor will dem heutigen Illustriertenleser einen Gefallen tun und den Vorhang endlich wegreißen, damit jene „dunklen Machenschaften“ ans Tageslicht kommen und das Schweigen des Papstes seine vernichtende Motivation erfährt. Dabei muß man kein Kenner des Vatikans sein, um zu wissen, daß die kirchlichen Stellen in allen Ländern, in denen die „Sonderbehandlung“ der jüdischen Einwohner in jenen Schreckensjahren anlief, also auch zum Beispiel im damals durch die deutsche Wehrmacht besetzten Ungarn, der letzte Hort der Hoffnung der Verfolgten waren und daß sie diese Hoffnung, soweit es unter den heute wohl abenteuerlich anmutenden Umständen in ihrer Macht lag, niemals enttäuschten. Es gibt umfassende Aktenveröffentlichungen, die von jüdischer Seite herausgegeben wurden und aus denen sowohl Größe und Breite der kirchlichen Hilfsaktionen als auch der unvorstellbar hphe Grad der Schwierigkeiten, auf die sie stoßen mußten, klar hervorgehen. Wäre es nicht an der Zeit, daß man sich, angesichts der immer wieder in die Öffentlichkeit gesetzten anderslautenden Behauptungen, einmal auch von Seiten kirchlicher Institutionen entschließen würde, die Geschichte jener Jahre in einer reichdokumentierten und zugleich auch die verschiedenen (auch geistesgeschichtlichen) Hintergründe aufdeckenden Darstellung zu veröffentlichen?

Antwort: Gewiß merkt man auch den Behauptungen Hochhuths an, daß über die Rolle, zumal über die Möglichkeiten und Grenzen der Kirche in jenen Jahren wie über das Wesen der Kirche und ihrer Institutionen überhaupt im Publikum weitgehende Unklarheit herrscht. Daraus ' ergeben sich in dem Stück nicht nur die absurden formalen Fehler, sondern auch die logischen Ungereimtheiten. Hier seien nur einige wenige angeführt: Wesen und Konturen der „Macht“ des Papstes werden maßlos verzerrt dargestellt. Der Papst soll einerseits der Herr der Welt sein, „der eine halbe Milliarde Katholiken in der Hand hat“, andererseits ist er von lächerlichen Hanswurstfiguren — siehe die völlig unglaubwürdige Bühnenfigur des Kardinalstaatssekretärs! — umgeben. Er verfügt in den Jesuiten über eine Armee, über ein „Elitekorps“ wie totalitäre Parteien und kann im übrigen „ex kathedra“ über edles und jedes verfügen. Trotzdem zählt er zugleich, wie ein ängstlicher „Rentier“ aus einem Roman von Balzac, seine Aktien... In Wirklichkeit beweisen zahlreiche Vorkommnisse aus jenen Jahren, wie wenig der Papst in der Lage war, auch nur die Bischöfe der durch die Deutschen besetzten Länder zu „beherrschen“. Der besonders mutige, keineswegs „kollaborierende“ polnische Kardinal Sapieha hat ein päpstliches Rundschreiben zerrissen, denn es hätte, in der Hand der Gestapo, die Kirche in letzte Not gebracht. Laute Proteste, etwa durch das Radio, hätten, wie dies auch geschah, brutale Strafmaßnahmen wegen der „Greuelhetze“ nach sich gezogen; aus diesem Grund haben zum Beispiel auch die Rabbiner von Polen laute Proteste mißbilligt. Der Lüge und der Erpressung waren damals keine Grenzen gesetzt. Die Kirche mußte selbst bei diplomatischen Aktionen die mögliche Wirkung, die oft eine entgegengesetzte war als die angestrebte, in Rechnung stellen. Und es ist schließlich nicht wahr, daß die Welt damals von dem Papst erwartet hätte, mit „Blitz und Donner“ Befehle zu erteilen und Diktatoren in jenem fortgeschrittenen Stadium in die Schranken weisen.

Frage: Ist aber mit dem Hinweis auf die Fehldeutungen und Verdrehungen in einzelnen Teilen dieses Theaterstückes auch das Urteil über das Ganze gesprochen? Müßten uns nicht gerade die Zeitungsmeldungen, die über den gegenwärtig in Frankfurt laufenden Auschwitz-Prozeß berichten, von der noch immer nicht wegzuleugnenden Aktualität des „Stellvertreters“ von Hochhuth überzeugen, etwa in dem Sinn, daß für das Grauen von damals zwar nicht der „Stellvertreter Christi“ verantwortlich, gemacht werden kann, daß aber für dieses Grauen und für die Untaten, ja alle Ungerechtigkeiten und Unmenschlichkeiten von heute jeder Christ, jeder Mensch in irgendeiner Weise „verantwortlich“ ist und sich um diese Verantwortung nicht drücken kann? Ist nicht die Anrufung des Gewissens auf der Bühne des Volkstheaters in unseren Tagen höher zu setzen als die noch so ärgerlichen, ja empörenden Geschichtsklitterungen eines jungen Autors und sein offenbar tiefsitzender Haßkomplex gegenüber dem verstorbenen Papst Pius XII.?

Antwort: Diese Bemerkung ist richtig, weil sie hilft, die verzerrten Maßstäbe zurechtzurücken und zwischen dem Zuviel und Zuwenig in diesem Stück des jungen deutschen Schriftstellers das richtige Verhältnis aufzuzeigen. Hochhuth tut des ..Guten“ zuviel, wenn er seinem Anti-Papst-Affekt gerade in diesem Stück freien Lauf läßt und damit von dem eigentlichen Kernproblem, das er zweifellos auch gesehen hat — davon zeugen mehrere feine Details, die vielleicht etwas zuwenig berücksichtigt wurden —, ablenkt. Dieses Hauptproblem ist nicht, wie der Papst mit seinem Gewissenskonflikt des Wollens und Nicht-Könnens fertig wurde, und auch nicht wie ein Christ von heute mit Angriffen, wie der von Hochhuth zweifellos einer ist, fertig wird. Das Hauptproblem ist, wie der Mensch, der von Natur aus schwach ist und oft sehr naiv sein kann — auch Bischöfe sind nicht und erwiesen sich damals nicht als unfehlbar —, mit den Herausforderungen der Welt — wie der Mord an den Juden damals eine war — fertig wird, wenn er nur schweigt oder wegschaut. Das ist das Problem. Das Stück von Hochhuth kennt bezeichnenderweise keinen Helden. Selbst der junge Priester, der sich schließlich „stellvertretend“ opfert, ist keine fehlerlos gezeichnete Figur, kein echter Antipode dieses Papstes auf der Bühne. Das und anderes mag die Dramaturgen beschäftigen. Uns ist aber wichtig: der Blick auf Auschwitz und in das eigene Gewissen. Es wäre schade, wenn in der Diskussion dieser Aspekt zu kurz käme.

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