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Wir werden gelassen bleiben

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Sex ist abgedroschen. Politik ist gefährlich. Kirche ist wieder gefragt. Oder immer noch. Soutanen auf der Filmleinwand machen sich. Für Farbfilm und Illustrierte wirken Lila und Purpur recht gut. Auch auf der Bühne ist ein Kardinal nicht zu verachten. Aber warum denn nicht gleich ... ? Freilich, wer wird denn letzte Zurückhaltung üben, warum nicht gleich den Papst? Immer nur her mit der Kirchen-Zeitgeschichte!

Also kam Pius XII. von Rolf Hoch-huths Gnaden auf die Bühne und die Bestsellerliste. Das Unternehmen läuft in Berlin „verheißungsvoll“ an, und wir glauben nicht, daß sich der Film das pikante Thema entgehen lassen wird. Was Josef Meinrad als Kardinal Innitzer kann, wird auch Dieter Borsche als Papst Pius können. Zunächst ist einmal für Österreich die Zusage Leon Epps sicher, der das umstrittene Stück des Bertelsmann-Lektors Hochhuth „Der Stellvertreter“ auf die Bühne des Wiener Volkstheaters bringen will.

Die deutschen Katholiken — und nicht nur sie! — haben für das Erstlingswerk des zweiunddreißigjährigen Autors keine schlechte Reklame gemacht. Es hagelte Proteste, Boykotte, offene Briefe, Stellungnahmen und Flugblätter. Die Vorstellungen waren und sind ausverkauft.

Wir wollen der Auseinandersetzung mit dem „Stellvertreter“ in Österreich nicht vorgreifen. Viele Zeitgenossen können es schon nicht mehr erwarten, bis wir den kulturellen Rückstand, der bis zur Aufführung bej uns herrscht, aufholen. Nur um die' Spannung eini-

germaßen zu mildern, dürfen wir bemerken, daß man von Rolf Hochhuth hierzulande nichts Neues an Wahrheiten erfahren wird. An Unterstellungen wird es hingegen eine gute Menge geben. Daß der Nationalsozialismus das Leben einiger Millionen Menschen auf dem Gewissen hat, ist einem Teil der Österreicher bekannt. Der Teil, der es nicht weiß, wird es auch von Hochhuth nicht zur Kenntnis nehmen. Sechs bis sieben Millionen der Opfer waren Juden. Der schlimmste Progrom der Geschichte läßt die Frage nach dem Schuldigen begreiflicherweise nicht verstummen. Wer ehrlich ist, wird zuerst an die eigene Brust klopfen und die Schuld des eigenen Schweigens bekennen. Trotz Eichmann und Genossen. Es war nicht jedermanns Sache, Märtyrer zu sein. Die katholische Kirche hat das fünfte Gebot Gottes laut verkündet. Spezielle Proteste gegen den Judenmord gab es nicht. Die Tragik der Diplomatie hat auch den Vatikan nicht verschont.

Im Gebet für den Papst ist der Glaube eingeschlossen, daß auch der Stellvertreter Christi auf Erden nach seinem Tod vor dem ewigen Richter erscheinen muß. Mit Badehose und Tiara, ganz armselig, wie es die mittelalterlichen Maler mitunter treffend darstellten. Auch Pius XII. war ein Mensch. Gott ist sein Richter.

Nicht Rolf Hochhuth. Was er uns bringen kann, ist „Theater“. Mit allen Einschränkungen dieses Mediums. Wir empfehlen deswegen, überflüssige Aufregungen zu vermeiden und von der Gelassenheit der Christen Gebrauch zu machen.

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