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Am Rande des Konklaves beobachtet

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Die Blamage war greifbar. Vierzehn Tage hindurch hatten die Vatikanastrologen die Wahl eines Kurienkardinals prophezeit. Der Einwand, alles sei noch offen, klang lediglich als Rückversicherung. Man sollte glauben, daß nur einer aus dem engsten Kreis in Frage käme. Baggio, Bertoli, Pignedoli waren die Spitzenreiter. Als schließlich der Genueser „Lavoro“ den kommenden Papst im Computer errechnete, ging Baggio mit 84,04 von 100 erreichbaren Punkten als erster „durchs Ziel“. Tags darauf „wählten“ die einzelnen Blätter ihre eigenen Hauspäpste.

Und dann kam es ganz anders. Der Außenseiter wurde gewählt, so früh wie niemand erwartet hatte. Der Jubel überdeckte die Blamage der Astrologen, die schon am nächsten Tag neues zu künden wußten. Nun war nicht der Venezianer in Konkurrenz zu den Römern gestanden. Es seien, berichteten die „Wissenden“, in letzter Phase zwei Ausländer als hoffnungsvolle Gegenkandidaten im Spiel gewesen, Willebrands aus Utrecht und Cordeiro aus Lissabon. Ihnen gegenüber habe der Italiener haushoch gewonnen. Womit der römische Leser wieder beruhigt sein konnte.

Wie hieß es doch in den Vorschriften Pauls VI. zur Papstwähl, auf die alle verpflichtet worden waren? Exkommunikation drohe jenem, der über die Einzelheiten des Konklave berichten würde! Und schon weiß man so genau, wer gegen wen stand: daß Papst Lu-ciani schließlich 88 Stimmen erhielt; daß der letzte Wahlgang einer Akklamation geglichen habe? Wer hat da geplaudert? Oder gilt hier das alte italienische Sprichwort: Se non e vero, e ben trovato - wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.

Menschenschlangen in der Peterskirche, wo die Stiege hinunterführt zum Grabe Petri, zu den letzten Ruhestätten vieler Päpste. Matt beleuchtete Gänge, Wandnischen, Seitenkapellen, Begräbnisstätten. Wer liegt hier? Kein Hinweis, keine Inschrift nennt die Namen.

Gegenüber dem Grab des Kephas, das erst in den fünfziger Jahren von Archäologen eindeutig festgestellt worden ist, das Grab Pius XII., jenes Papstes, unter dem die Gedächtnisstätte Petri gestaltet worden war. Frische Blumen, betende Menschen. Wenige Schritte daneben sein Nachfolger Johannes, noch mehr Blumen, noch mehr Beter. Wieder weiter das neueste Grab: Paul VI., schlicht und schmucklos, keine Blume. Wie er es in seinem Testament haben wollte. Hier drängen sich die Menschen, beten, schauen, Blitze leuchten auf, die Menschen ziehen weiter.

Er nannte sich Paulus, sein Name war ein Programm. Es war kühn, den Namen dieses Apostels zu wählen. Paulus - das ist das Neue, Weltoffene, Weltweite. Mit Paulus war das Christentum nicht mehr eine jüdische Sekte, es war etwas nie Dagewesenes.

Paulus sagte: „Wir sind Toren um Christi Willen - ihr seid Kluge in Christus. Wir sind schwach - ihr seid stark. Ihr seid berühmt - wir gelten nichts. Schmäht man uns, so singen wir; verfolgt man uns, so.dulden wir; beschimpft man uns\ so geben wir gute Worte.“

Paulus sagte: „Was an den Drangsalen Christi noch fehlt, will ich,an meinem Fleisch ausfüllen, zugunsten Seines Leibes, das ist die Kirche.“ Auch der sich Paul nannte, war ein Papst des Leidens.

Im Schatten des „guten Johannes“ steht er dunkel da. Johannes sagte:

,Jch bin nichts als eine leere Vase, in die Gott seine Blumen steckt, weil sie aufnahmebereit ist.“ War Paul nicht aufnahmebereit - oder war er ein Gefäß, das mit Dornen, statt mit Blüten gefüllt wurde? War es ihm aufgetragen, die Dornenkone anzunehmen, die Angst von Gethsemane, die Verlassenheit am Kreuz, stellvertretend für unsere Zeit, die dem Kreuz den Rük-ken zuwendet?

Paulus sagte: „Wenn denn gerühmt sein muß, so will ich mich meiner Schwachheiten rühmen.“

Auch der neue Papst nannte sich Paulus...

„Papa Montini - aiuta la chiesa del si-lenzio“ - Papst Montini - hilf der Kirche des Schweigens! Eine der vielen Wandschmierereien, mit Sprühdosen aufgetragen, unweit des Vatikan, ruft die Fürsprache des Verstorbenen für die Anliegen derer an, die der von ihm selbst eingeleiteten Ostpolitik skeptisch gegenübergestanden waren. „Kardinäle - ihr habt die Wahl zwischen Mindszenty und Kadar!“ greifen Flugblätter dieselbe Forderung auf.

„Ostpolitik“ - die italienischen Zeitungen verwenden den deutschen Ausdruck ... Der einzige Aspekt in dem, dem neuen Papst schon vorher abgesteckten Aufgabenkreis, den Johannes Paul in seiner Regierungserklärung nicht ausdrücklich erwähnt hat. Wie wird unter ihm das Verhältnis zu den kommunistischen Regierungen, zu den orthodoxen Kirchen in diesen Staaten gestaltet werden? Werden wieder Machthaber wie Podgorny und Gierek im Vatikan empfangen werden, oder wird man die Forderungen der kirchlichen Dissidenten unterstützen? Der Vertreter der Moskauer Orthodoxie war vom Begräbnis des alten bis zur Amtseinführung des neuen Papstes anwesend, aber in der Konferenz von Belgrad hatte der Vatikandelegierte erstmals wieder die Interessen der verfolgten Unierten angemeldet -wie paßt dies zusammen? Wird man nun etwas deutlicher zu erkennen geben, daß dem Entgegenkommen des Vatikan bei den jüngst erfolgten Bischofsernennungen in der CSSR auch echte Erleichterungen für die Gläubigen folgen müßten?

Und noch etwas: wenige Tage nach dem Tod Pauls VI. meldete ein zweit-

rangiger Sprecher der KPI wieder einmal, scheinbar ohne konkreten Anlaß, die Forderung der Kommunisten auf Mitbeteiligung an der italienischen Regierung an. Sollte hier ein leiser Wink gegeben werden, daß sich der neue Papst darauf einstellen müßte, in Kürze einem wenigstens teilweise aus Kommunisten bestehenden Gesprächspartner im Quirinal gegenüberzustehen? Der Patriarch von Venedig hat bereits seine Erfahrungen mit kommunistischen Lokalgrößen ...

Rote Plakate an allen Kandelabern der Via della Conciliazione, „Vogliamo un papa cattolico“ - wir wollen einen katholischen Papst, darunter der venezianische Markuslöwe. Für die

Wünsche der Traditionalisten zeichnet eine „Civiltä cristiana“. Die Randgruppen der Kirche melden ihre Wünsche zum Konklave an. An anderer Stelle die 47.000 verheirateten Exprie-Ster: Wir beten nicht, daß Gott der Kirche mehr Priester gebe, sondern einen Papst, der Sie wieder aufnimmt und sie von einer Verurteilung löst, nach Gesetzen, von denen im Evangelium nichts zu lesen sei.

Unter den Kolonnaden mischt sich ein deutscher Priester ins Gespräch, groß, gut aussehend, schwarzes Hemd mit Kollar, eine Luxuskamera um den Hals. Auch er ist der Meinung, die Kirche brauche einen „katholischen“ Papst. Er meint, die letzten beiden seien dies nicht gewesen, der neue werde vieles rückgängig machen müssen, den Pluralismus in der Kirche, den Ökumenismus, die Gleichstellung der einzig wahren Lehre mit allen anderen Weltanschauungen, die Entar-

tungen der Liturgie - Gott sei Dank haben wir noch die Tridentinische Messe. Auch die Lefeburianer sind in Rom.

Dann steigt der weiße Rauch auf. In der wartenden Menge verkündet einer,-der trotz des Zivil unschwer als Geistlicher kenntlich ist, in fulminanter Ad-hoc-Predigt die großen Verdienste der letzten beiden Päpste. Für ihn ist es sicher: der neue Papst, auf den die Menschen warten, werde sich Paulus VII. nennen, ob nun Pignedoli oder Pironio der Erwählte sei. Seine Hoffnung hat sich nur zum Teil erfüllt.

Aber auch die Hoffnungen der andern werden wohl zum guten Teil unerfüllt bleiben - „Don Albino“ hat nicht erst durch die Wahl seines Namens zu erkennen gegeben, daß er die Linie seiner Vorgänger fortzusetzen gedenkt. Auch wenn sich sicherlich über das eine oder andere reden läßt.

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