6703123-1963_40_01.jpg
Digital In Arbeit

Kurie und Konzil

Werbung
Werbung
Werbung

Als Papst Paul VI. seine lange Ansprache an die Mitglieder der römischen Kurie beendet hatte, mit der er die Reform dieses „komplizierten und einzigartigen Organismus“ ankündigte, und die Kardinale, Beamten und Angestellten mit dem Apostolischen Segen entließ, stieß ein älterer Monsignore in den hinteren Reihen seinen jüngeren Kollegen neben ihm an und sagte: „Eine gewaltige Rede. Haben Sie gemerkt;, wie er Gottvater, Gottsohn und dem Heiligen Geist befohlen hat, uns zu segnen?“

Das Nachlesen der Ansprache, die zum erstenmal den persönlichen Stil Montinis enthüllt hat, läßt noch hier und da die ironische Äderung durchscheinen, aber es fehlen der manchmal streng erhobene Zeigefinger und die gebieterische Bestimmtheit, mit der Paul VI. gewissen Stellen seiner Rede Nachdruck verliehfti hat. Im Grunde hat Montini Dinge angekündigt, die der Kurie wenig angenehm in den Ohreft klingen mußten: viel Althergebrachtes soll als unnützer Ballast abgeworfen werden, die Verminderung ihrer zentralen Kompetenz muß unzw(ifelhaft zu einer Redimensionie- rung der Kurie führen, ihre Internatid- nalisierung die „Italianität“ der kirchlichen Zentralverwaltung zurückdrän- i?en. Die rechtsorientierte italienische Presse, unheilbar nationalistisch selbst in diesen Dingen, hat über den Reformplan Montinis im Pianissimo berichtet.

Dennoch: Niemals hat die gewaltige Aula delle Benedizioni im Apostolischen Palast von solchem Beifall widergehallt, wie er aus den Reihen der jüngeren Kurialen aufgerauscht ist und in den auch die älteren eingestimmt haben. Die Kurie hat Montinis Appell verstanden und ist mit Begeisterung oder in Gehorsam bereit, ihm zu folgen.

Die innere Erneuerung der katholischen Kirche, wie sie das ökumenische Konzil anstrebt, bedarf notwendigerweise eines modernen und den Erfordernissen unserer Zeit mehr entsprechenden Werkzeugs, um die Beschlüsse der Konzilväter in die Wirklichkeit umzusetzen. Es obliegt das in erster T inie der römischen Kurie. Aber die Kurie ist. wie Paul VI. sich ausgedrückt hat, „von der Last ihres ehrwürdigen Alters beschwert" und benötigt der Anpassung an die neuen Funktionen. Ihr heutiges Gerüst ist noch das gleiche, das Sixtus V. im Jahre 15 88 mit seiner berühmten Konstitution „lmmensa aeterni Dei“ aufgerichtet hat, das Pius X. 1908 mit der Konstitution „Sapienti consilio“ überholte und 1917 durch den Kodex des Kanonischen Rechtes ergänzt worden ist. Trotzdem ist die kirchliche Zentralverwaltung weit weniger statisch, als man annehmen sollte. Eine Reform ist immer im Gange gewesen, kein Papst hat die Kurie so zurückgelassen, wie er sie gefunden hat, aber diese Reform vollzog sich so langsam, daß sie mit den Bedürfnissen der neuen Zeit nicht Schritt hielt. Wie viel sich im Lauf der Zeit geändert hat, zeigt ein Vergleich: Heute gibt es an der Kurie zwölf Kongregationen, während nach und nach 37 andere auf gelassen worden sind. Ein Teil davon hatte freilich nur vorübergehende Aufgaben zu erfüllen oder hing mit dem weltlichen Regime über den Kirchenstaat zusammen.

Papst Montini hat erzählt, wie er sich in dreißigjähriger Tätigkeit von dem bevorzugten Beobachtungsposten des Staatssekretariates aus immer wieder Gedanken über die Struktur und die Funktion der Kurie gemacht hat. wie in ihm der Vorsatz herangereift ist, sie sowohl in ihren juridischen Grundlagen wie in ihrem geistigen Bewußtsein zu erneuern. Gewiß, in den letzten hundert Jahren hat das Kirchenregiment an Konsequenz, Regel und Ansehen immer mehr zugenommen, und heute würden der heilige Bernhard von Clairvaux und ebensowenig die großen Reformatoren des 16. Jahrhunderts sicherlich keine flammenden Worte mehr über den römischen Klerus finden. Aber kritisiert ist die römische Kurie immer worden, und der Papst ermahnt sie ernst, über die Kritiken nachzudenken. Auch die Kritiken können providentiell sein, zur Wachsamkeit anspornen, zur Reform ein- laden. Als Johannes XXIII. an alle Bischöfe ein Rundschreiben richtete und sie aufforderte, ihre Wünsche, Anliegen und Ratschläge für das kommende Konzil bekanntzugeben, forderte eine große Anzahl von ihnen die Reform der Kurie im Sinne einer Dezentralisierung der Verwaltung. Als dann das Konzil versammelt war, ergab sich sofort ein scharfer Kontrast zwischen der Kurie mit ihrem Bestreben, nichts von der Kontrolle zu verlieren, die sie bislang und über alles ausgeübt hat, was in der Kirche geschieht, und den Bischöfen in der Welt, die die Schwerfälligkeit, Überflüssigkeit und das Nachträgliche der Konzentration von Zuständigkeiten ausgemerzt sehen wollten.

Papst Montini hat angedeutet, in welchen Bahnen sich die Kurienreform bewegen soll:

1. Dezentralisierung: „Die Kurie wird nicht eifersüchtig auf ihre anderen Zeiten angehörenden weltlichen Prärogativen sein noch auf die nicht mehr geeigneten äußeren Formen, sie auszuüben, noch damit geizen, ihre Vollmachten, wo dies ohne die allgemeine kirchliche Ordnung zu verletzen möglich ist, an die Bischöfe abzutreten, weil sie lokal besser ausgeübt werden. Und nie und nimmer werden wirtschaftliche Zwecke und Vorteile die Organe des Heiligen Stuhles veranlassen, auf Vorbehalten und Zentralisierungen zu beharren, die nicht unbedingt zum Wohle der kirchlichen Ordnung und des Seelenheiles erforderlich sind.“ Die päpstlichen Vertreter im Ausland erhalten ein kleines, aber dickes Büchlein mit all den Vollmachten, die normalerweise bei der Kurie liegen, aber ihnen übertragen sind. Sie betreffen Dinge, die die Bischöfe ohne weiteres und aus besserer und direkter Sachkenntnis heraus allein erledigen könnten, etwa die Gewährung von Dispensen. Wenn ein Novize sein Noviziatsjahr zu unterbrechen gezwungen war, wenn Weltpriester oder Ordensleute ihres Alters wegen einer Dispens bedurften, dann mußte immer in Rom darum angesucht werden, auch wenn die Kurie dann ohnedies den Ratschlägen des Bischofs folgte.

2. Koordinierung: „Fallen lassen, was hinfällig geworden ist, bewahren, was vital und nützlich." Koordinierung bedeutet Vereinfachung, Rationalisierung, aber nicht unbedingt Einschrän- küng. Es kann auch möglich sein, daß neue Aufgaben neue Organe verlangen. Doch gibt es altehrwürdige Einrichtungen der Kurie, die, historisch entstanden, heute geringe Funktionen zu erfüllen haben und ohne weiteres aufgelassen werden könnten. Die päpstliche Datarie zum Beispiel hat das unverständlich gewordene Privileg bewahrt, jene Pfarreien besetzen zu dürfen, in denen der Vorgänger Prälat, Monsignore oder Protonotar gewesen war, auch wenn der Nachfolger auf keinen dieser Titel Anspruch hat; mit dem Pfarrwesen selbst beschäftigt sich die Konzilkongregation, die, ihrem Namen zum Trotz, mit den Konzilien nichts mehr zu tun hat. Oder die Päpstliche Kanzlei, die heute noch in Rom einen riesigen Palast innehat, aber fast ohne Arbeit geblieben ist, denn sie hat im wesentlichen nur noch die Bullen auszufertigen, während alle die Unterschrift des Papstes tragenden Dokumente vom Staatssekretariat vorbereitet werden. Bullen finden aber nur noch bei Bischofsernennungen Verwendung. Die Zeremonienkongregation könnte sehr gut ihre Aufgabe an das Protokoll des Staatssekretariates abtreten, besteht sie doch ohnehin nur mehr aus einem Sekretär und einem Beamten. Die „Ehrwürdige Apostolische Kammer“ war einmal wichtig gewesen, weil sie das gesamte Vermögen zu verwalten hatte; heute verwaltet sie es nur während der Sedisvakanz, also durchschnittlich alle fünf Jahre einmal auf drei Wochen. Die Wohltätigkeit wird nur noch zum geringsten Teil vom Päpstlichen Almosenamt ausgeübt, sondern durch das Staatssekretariat. Die Dispenserteilung bei nichtkonsumierter Ehe ist Sache der Sakramentenkongre- gation, die Nichtgültigkeit einer Ehe wird vom päpstlichen Gericht, der Sacra Rota ausgesprochen, das Privilegium Paulinum vom Heiligen Uffizium erteilt, während die Überwachung der Eheprozesse wieder durch die Sakra- mentenkongregation ausgeübt wird!

Umgekehrt figuriert das Staatssekretariat, eine relativ junge Einrichtung, rangmäßig nach allen anderen Kongregationen und Ämtern, obwohl „das ausgezeichnete, teure und treue Amt dem Papst in seiner persönlichen Tätigkeit beisteht“, wie Paul VI. hervorheben wollte.

3. Internationalisierung: „Die Kurie wird keine Furcht davor haben, daß ihr Nachwuchs unter einem weiteren übernationalen Gesichtspunkt rekrutiert, noch daß er in einer eingehenderen ökumenischen Vorbereitung herangezogen wird“, sagte Montini und zitiert wieder den Bernhard von Clairvaux: „Warum nicht aus aller Welt jene auswählen, die berufen sind, einst die ganze Welt zu richten?“ Der Papst hat das Wort „übernational“ dem Ausdruck „international“ vorgezogen. Tatsächlich ist die Kirche weder national noch international, sondern steht über den Nationen. Die von Pius XII. eingeleitete „Internationalisierung“ hat sich nur auf das Kardinalskollegium bezogen, während in den Kurienämtern das italienische Element nahezu Monopolstellung hatte und sie behielt. Erst in den letzten Jahren ist, sehr zögernd, das „Ausland“ zugelassen worden. Jene Stelle, die merkwürdigerweise am internationalsten betrachtet werden kann, ist das Heilige Uffizium: von seinen insgesamt 33 Beamten sind acht Nichtitaliener. In der Kongregation für die Ostkirche sind von den 16 Beamten drei „Ausländer“, in der Propaganda Fide von 37 nur sechs Nichtitaliener, alle in untergeordneten Stellen. Im Staatssekretariat befindet sich in der ersten (politischen) Sektion unter den 28 Beamten ein Schweizer, in der zweiten Sektion (für „Ordentliche kirchliche Angelegenheiten“) sind von den 80 Beamten 16 Nichtitaliener. Von den ständigen Funktionären des Päpstlichen Hofes ist ein einziger Nichtitaliener, der Holländer Van Lierde, Sakrist und Generalvikar für die Vatikanstadt. Nur sechs der leitenden Stellen der Kurie sind von Nichtitalienern besetzt, nämlich durch die Kardinale Agagianian, Laraona, Philippe, Copello, Tisserant und den flämischen Jesuitenpater Raes; aber die Stellen der drei letztgenannten sind ohne wirkliehen Einfluß. Int auswärtigen Dienst sind nur zehn der insgesamt 60 Missionschefs keine Italiener, nämlich McGeough (Amerikaner) in Südafrika, Knox (Australier) in Indien, Fürstenberg (Belgier) in Portugal, Maury (Franzose) in Senegal, Forni (Schweizer) in Uruguay, Caroll (Irländer) in Liberia, Blanquet du Chayla (Franzose) im Irak, Heim (Schweizer) in Skandinavien und Gordon (Irländer) in Thailand. Die Übernational!sierung der Kurie ist natürlich ein Ding, das gut Weile braucht, sie kann nicht von heute auf morgen herbeigeführt werden, weil eine jahrelange Ausbildung notwendig ist.

4. Neue Organismen: „Wenn das Ökumenische Konzil den Wunsch zeigen sollte, dem Papst in gewisser Weise und für bestimmte Fragen im Einklang mit der kirchlichen Doktrine und dem kanonischen Recht Vertreter des Episkopats beizugesellen, vor allem aus den Diözesanbischöfen, damit sie ihm beim Studium und in der Verantwortung des Kirchenregiments behilflich sind, dann wird die römische Kurie sicherlich dem keinen Widerstand entgegensetzen.“ Unter allen Ankündigungen hat dieser Satz Pauls VI. das meiste Rätselraten ausgelöst. Hier handelt es sich nicht mehr um organisatorische Maßnahmen, sondern um eine juridische Strukturveränderung, d’enn es scheint nicht mehr und nicht weniger als ein permanentes oder periodisch in Funktion tretendes Organ des Weltepiskopats bei der Kurie ins Auge gefaßt zu sein. Von einem solchen Wunsch des Konzils war während der ersten Sitzungsperiode zweimal gerüchteweise vernommen worden, in sehr vager Form allerdings. Das eine Mal war es ein Vorschlag des Kurienkardinals Pietro Ciriaci, der einem Beirat für politische Angelegenheiten das Wort sprach. Das andere Mal ein Vorschlag des Essener Bischofs Franz Hengsbach, der mit anderen an ein beratendes Gremium der Bischöfe an der Seite des Papstes dachte. In beiden Fällen handelte cs sich nicht darum, die volle Autorität des Papstes in irgendeiner Weise einzuschränken oder gar eine Kontrolle über ihn auszuüben, wie eine stark rechtsorientierte und gegen die’Politik Johannes XXIII. voreingenommene Presse unterstellt hat, sondern darum, die Verbundenheit des Episkopats mit der kirchlichen Zentrale auch praktisch zu stärken.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung